Von Tobias Wenzel

Die Vergabe des Literaturnobelpreises an Herta Müller ist Thema in den überregionalen Blätter. Die "Welt" und die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" schreiben über den Fall Roman Polanski und seine Folgen für den französische Kulturminister und Schriftsteller Frédéric Mitterand.
"Ein eigenartiger Boomerang-Effekt"," so Sascha Lehnartz in der WELT, habe dafür gesorgt, dass der französische Kulturminister und Schriftsteller Frédéric Mitterand, der - Zitat - ""in seiner Eigenschaft als Kulturminister vor zehn Tagen mit sehr persönlichen Worten Partei für den in der Schweiz verhafteten Regisseur Roman Polanski ergriffen hatte, nun selbst am Pranger steht. In diversen Diskussionsforen im Internet wurde beklagt, dass die Kaste der Intellektuellen offenbar davon ausginge, dass für Ihresgleichen andere Gesetze gelten als für Normalsterbliche."

Stein des Anstoßes ist nun "La mauvaise vie", "Das schlechte Leben", ein Roman Mitterands, in dem der Erzähler seine Erfahrungen in Homosexuellen-Bordellen in Thailand und Indonesien kundtut. Mitterand sagt, das Buch sei nicht autobiografisch, gab aber im Fernsehen zu, er habe mit jungen Männern in Asien Sex gehabt, allerdings nur mit volljährigen. Fazit von Sascha Lehnartz:

"Es kann sein, dass Mitterand diese Geschichte politisch überlebt, doch am Donnerstag kämpfte er im Fernsehen einen aussichtslosen Kampf. Er verteidigte sich als Autor gegen eine Welt, die längst verlernt hat zu lesen."

Von einer "Schlammschlacht" um die sexuellen Praktiken des Kulturministers spricht Jürg Altwegg in seinem Artikel für die "Frankfurter Allgemeine Zeitung", kritisiert aber auch Frédéric Mitterand für sein Buch, das er, Altwegg, offensichtlich für autobiografisch hält:

"Es ist von Arroganz gegenüber seinen bezahlten Gespielen geprägt. Mitterrand genießt die Macht, die ihm das Geld auf dem Markt der homosexuellen Dienstleistungen verleiht - sie gehört zum Kick. Leider hat der Skandal um seine Person auch zur Folge, dass in Frankreich kaum ein Mensch vom Literaturpreis für Herta Müller Kenntnis genommen hat."

Anders in Rumänien.

"Versöhnt die höchste literarische Auszeichnung die Rumänen mit sich selbst - und mit der Welt?","

… fragt Wolfgang Scheida in der WELT und gibt gleich die Antwort:

""Es sieht nicht danach aus. Am Tag nach der Nobel-Entscheidung streiten die rumänischen Autoren vor allem über die Frage: Gehört Herta Müllers Preis nach Rumänien?"

Die FAZ hat dieser Frage gleich vier Artikel gewidmet.

"Sie ist keine Rumänin, was hat sie schon Furchtbares erlebt."

Mit diesen Worten zitiert Frieder Schuller den rumänischen Schriftsteller und Dissidenten Paul Goma, der Herta Müller offensichtlich als Zweite-Klasse-Exilantin versteht. Während die Zeitung "România Libera" titelte, "Herta Müller, ein Nobelpreis gegen die Securitate", machte der rumänische Journalist Cristian Tudor Popescu der Rumäniendeutschen genau das zum Vorwurf und zwar, so Hans Herbert Gruenwald in der FAZ, mit …

"dem Kommentar, man könne behaupten, dass der Hauptbeitrag zu Herta Müllers Nobelpreis von Nicolae Ceaucescu geleistet worden sei"."

Häme und Missgunst gegen eine Autorin, die unter der Securitate litt. Die FAZ hat mit Genehmigung Herta Müllers einen Auszug aus der Akte des rumänischen Geheimdienstes übersetzen lassen. Der Securitate-Offizier kommentierte am 16. März 1982 Müllers Prosaband "Niederungen", der sich um das "schwäbische Dorfleben im Banat" drehe, mit den Worten:

""Kritik und immer wieder Kritik, eine so vernichtende Kritik, so dass man sich fragt, welchen Sinn solche Texte haben können?!"

Der Securitate-Mann weist darauf hin, dass Leser in einer Regionalzeitung gegen das Buch protestiert hätten, mit der Begründung,

"dass Herta Müller in der Geschichte auch die Sitte der Schwaben beschreibt, dass die gesamte Familie im selben Badewasser badet!"

Ob das Badewasser des kleinen Max aus dem Buch "Wo die wilden Kerle wohnen" auch trüb war, weiß niemand. Aber trübsinnig, so Jörg Häntzschel in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG, war das Elternhaus schon. Deshalb begibt sich Max lieber in die albtraumhafte Welt der wilden Kerle. Häntzschel ist begeistert von der Kino-Verfilmung des Buchklassikers, die allerdings anfangs Probleme machte:

"die Monster sprachen nicht wie Monster, sondern wie Erwachsene, wenn sie nachts lange telefonieren."