Von Tobias Wenzel

Die „Welt“ berichtet davon, dass Microsoft seine Online-Enzyklopädie „Encarta“ Ende Oktober einstellen will. In der „Süddeutschen“ macht sich Gustav Seibt Gedanken über Humanität am Beispiel des Bettelns. Die „Berliner Zeitung“ interviewt Vera Bischitzky, die Nikolai Gogols „Tote Seelen“ neu übersetzt hat und dabei allerhand Hintergründiges über kulinarische Köstlichkeiten im Roman recherchiert hat.
Zecken machen lustig. Nicht nur im April. Zumindest, wenn man einen alten „Brockhaus“ aufschlägt: Da wird ein besonders blutrünstiges Exemplar beschrieben: die gemeine Steuerzecke. Sie entpuppt sich als Theo Waigel, der einstige Bundesfinanzminister. Solche Scherze in Nachschlagewerken dienen heute vor allem der Belustigung des Lexikographen und jenes Lesers, der gerne ziellos in Enzyklopädien blättert und auf solche Scherze stößt.

Früher aber hatten diese Späße auch einen ernsten Hintergrund: So konnten jene, die den Scherzeintrag nicht als solchen erkannten und ihn, wenn auch mit Umformulierungen, in ihr eigenes Lexikon übernahmen, des Plagiats überführt werden. Scherze wird es in Microsofts Internetlexikon „Encarta“ bald keine mehr geben können. Denn das gesamte Lexikon soll Ende Oktober eingestellt werden, wie Hendrik Werner in der WELT berichtet.

„Encarta“ sei „vor 16 Jahren löblicherweise angetreten, um den naturgemäß behäbigen Platzhirschen des gedruckten Wissens Paroli zu bieten“. Die „Pionierarbeit“ wurde nicht belohnt. Der Grund: Encarta kostete immer Geld, während, so Hendrik Werner, die meisten anderen Online-Nachschlagewerke, allen voran Wikipedia, „von Anfang an ihr gesammeltes Wissen“ verschenkten.

Geben ist seliger denn nehmen. Aber Betteln ist auch ‚ne feine Sache. „Vom Recht des Bettelns, das zum Menschsein gehört“ schreibt Gustav Seibt in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG. Der Anlass: In Göttingen wurden einem Hartz-IV-Empfänger vorübergehend seine zusätzlichen Einnahmen als Bettler auf seine Sozialhilfe angerechnet. Darin sieht der studierte Historiker Seibt einen „Anschlag auf die Humanität“ und belegt dies sogleich mit einer Kurzen Geschichte des Bettelns, dann argumentiert Seibt weiter:

„Die Obdachlosen halten so auch die Erinnerung an die nomadische Stufe der Menschheit wach.“

Unklar ist, ob Seibt dafür plädiert, das Recht auf Betteln ins Grundgesetz aufzunehmen. Das käme dem Schriftsteller Martin Becker zugute. Sucht er doch seine Leser neuerdings unter Obdachlosen. Das jedenfalls schreibt Otto Jägermeier im „Rheinischen Boten“. Auf Einladung des Literaturhauses Köln tragen Autoren Werke, die sie bei keinem Verlag unterbringen konnten, an ungewöhnlichen Orten vor. Becker las unter der Hohenzollernbrücke den Beginn eines Romans, in dem eine essbare Gummischlange spricht.

Ebenso lecker wie eine Gummischlange soll Njanja schmecken. Dabei „handelt es sich um einen mit Füßchen, Hirn und ganz gründlich anderen Zutaten gefüllten Hammelmagen, den man zur Kohlsuppe reicht“, erzählt die Übersetzerin Vera Bischitzky in der BERLINER ZEITUNG in einem Gespräch mit Ulrich Seidler. Zum 200. Geburtstag des Schriftstellers Nikolai Gogol hat sie dessen Roman „Tote Seelen“ neu übersetzt und vorher gründlich recherchiert. So auch zum Wort „Njanja“, das Gogol neben anderen kulinarischen Köstlichkeiten in dem Buch erwähnt.

Gogol, erfahren wir, war Ukrainer und machte „allerlei Fehler“ grammatikalischer Art. Die Russen amüsierte oder verwunderte es. Gogol war es egal. „Wenn es schön klingt, soll es stehen bleiben“, habe seine Devise gelautet.

Gut, dass Gogol nun schon tot ist. Denn eine moderne Textverarbeitung mit automatischer Rechtsschreib- und Grammatiküberprüfung hätte seine Arbeit nur sabotiert. Gleiches gilt für das Internet. Das allerdings hat der Gogol-Übersetzerin offensichtlich große Dienste geleistet. Denn sie ruft im Interview aus:

„Gesegnet seien das Internet und die vielen anderen Nachschlagewerke.“

Und die Scherze darin, möchte man ergänzen.