Von Tobias Wenzel

Die "SZ" gibt die Laudatio des Schriftstellers Franzobel auf die diesjährige Joachim-Ringelnatz-Preisträgerin Nora Gomringer wieder. Eine "FAZ"-Literaturkritikerin beschreibt ihren Versuch, am Welttag des Buches 30 Exemplare eines Gedichtbandes zu verschenken. Außerdem gratuliert das Feuilleton Barbra Streisand, die heute siebzig wird.
"Sie hat (...) einen großen, ja für Lyriker fast unverzeihlichen Nachteil", "

schreibt der Schriftsteller Franzobel über die diesjährige Joachim-Ringelnatz-Preisträgerin Nora Gomringer:

""Sie leidet nicht. Im Gegenteil, auf Fotos grinst sie oder lacht. Ist das nicht ungehörig?"

Fragt der österreichische Autor schelmisch in seiner Laudatio, die die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG wiedergibt. Der Leser sieht das abgedruckte Foto der Dichterin an, auf dem sie tatsächlich lächelt, und liest weiter, was Franzobel schreibt:

"Haben nicht gerade Lyriker ihr anämisches Gesicht in den knochigen Händen zu vergraben und dreinzusehen, als hätten sie eine hartnäckige Harnwegsentzündung gepaart mit einem Bandscheibenvorfall und Migräne?"

Nein, ruft Fanzobel aus, der auf dem von ihm abgedruckten Foto für sich genommen dem Lächeln schon recht nahe kommt, im Vergleich mit dem Foto von Nora Gomringer aber eher als Spaßbremse wirkt. Nein, Dichter müssten nicht leiden. Dieser "Lyrikerin gewordene Pumuckl" (gemeint ist Nora Gomringer) beweise das Gegenteil:

"Sie strahlt etwas aus, was sie in ihren Gedichten macht: Freude."

So "ungeheuerlich" wie für manche eine frohe Dichterin, war für Hollywood, was Barbra Streisand wagte:

"Die selbst für wesentlich zierlichere Näschen obligatorische Operation hat sie verweigert", "

schreibt Susan Vahabzadeh in der SZ, "und am Ende wurde sie nicht trotzdem, sondern deswegen zur Ikone". An diesem Dienstag wird die Sängerin, Schauspielerin und Regisseurin siebzig.

Die Feuilletons gratulieren fleißig und erinnern daran, dass sie zwei Oscars erhielt und 140, andere sagen: 179 Millionen Alben verkaufte. Eine gehörige Portion Respekt liest man aus den Titelzeilen heraus:

""Die Unbeugsame" (SZ),

"Die natürlichste Diva" (FRANKFURTER RUNDSCHAU),

"Herrscherin in ihrem eigenen Universum" (DIE WELT),

"Die Wandelbare" (NEUE ZÜRCHER ZEITUNG).

Die Wandelbare ist für Bettina Spoerri von der NZZ "der letzte lebende Multisuperstar".

Mit neunzehn hatte sie ihre erste Broadwayrolle, und auch über die Stimme, nämlich in den Musicalfilmen "Funny Girl" und "Hello, Dolly!", schaffte sie ihren internationalen Durchbruch als Schauspielerin. "Ihre nuancenreiche Vier-Oktaven-Stimme" habe Glenn Gould einmal "ein Naturwunder" genannt, so Bettina Spoerri weiter. Nur mit der Ehrlichkeit soll Barbra Streisand es nicht immer so ernst genommen haben.

"Geboren in Madagaskar, aufgewachsen in Rangun"

habe sie in einer Kurzbiografie für ein Musicalprogrammheft geschrieben. Zu sagen, dass sie aus Brooklyn stamme, sei Barbra Streisand einfach zu langweilig vorgekommen.

Ein paar süße Lügen oder zumindest ein bisschen weniger gnadenlose Ehrlichkeit hätte sich wohl Felicitas von Lovenberg gewünscht. Die Literaturkritikerin der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG beschreibt ihre Erfahrungen bei dem Versuch, am Welttag des Buches in Frankfurt am Main dreißig Exemplare eines Gedichtbandes von Mascha Kaléko zu verschenken. Leicht an dieser Aktion waren nur die Verse Kalékos.

Die meisten der zu beschenkenden Unbekannten reagierten derart ablehnend, als wollte die Kritikerin im Namen der Salafisten den Koran unters Volk bringen. Passanten begegneten der sicher liebenswürdig vorgebrachten Frage

"Guten Tag, würden Sie sich über ein Buch freuen?" mit

"Ich lese nicht"

oder

"Ich lese nur noch Internet"

oder

"Ist heute nicht auch Welttag des Bieres? Dann können Sie mir ja ein Bier schenken."

Man leidet als Leser dieses Feuilletonartikels, dieses Selbstversuchs, leidet mit dieser feinfühligen Kritikerin, stellt sich vor, wie Felicitas von Lovenberg nach jeder verbalen Ohrfeige eines die Literatur verschmähenden, groben Wesens mit den Tränen kämpfte, den Kaléko-Gedichtband aufschlug, um Halt, um Trost in den schönen Versen zu suchen.

Um einen Fahrkartenverkäufer der Deutschen Bahn für das Buch zu gewinnen, las ihm die FAZ-Kritikerin, wenn auch ohne Erfolg, folgende Verse vor:

"Wie glücklich ist der Pessimist / Wenn etwas schiefgegangen ist! / Und geht es aller Welt auch schlecht, / Ihm bleibt der Trost: Er hatte recht!"