Von Tobias Wenzel

Ein bisher unbekannter Leitartikel von Albert Camus und ein allzu devotes Interview mit Margot Honecker sind die Fundstücke des Tages in den Feuilletons. Zum Schluss: das Wetter (in Paris).
"Man kann sich kaum vorstellen, dass Hitler sich der sokratischen Ironie bedient", schrieb Albert Camus einst in einem Leitartikel. "Sie bleibt eine Waffe gegen die Allzumächtigen. Sie gehört zur Verweigerung und ermöglicht es, nicht nur die Lüge zu verwerfen, sondern die Wahrheit zu sagen."

Dieser Leitartikel des Schriftstellers und Journalisten Camus über die Freiheit der Medien und die Aufgabe jedes einzelnen Journalisten hätte am 25. November 1939 in einer Tageszeitung in Algier erscheinen sollen, wie Jürg Altwegg in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG berichtet. Hätte. Denn der Artikel schaffte es nicht durch die Zensur und wurde erst jetzt wiederentdeckt. Es sei "schwierig, heute über die Freiheit der Presse zu schreiben, ohne gleich als Mata-Hari angeklagt zu werden", notierte Albert Camus damals. Über vier Eigenschaften müsse ein kritischer Journalist verfügen, der sich für die Pressefreiheit einsetze: über Klarheit, Verweigerung, Hartnäckigkeit und eben jene erwähnte sokratische Ironie.

Der Verleger und Publizist Frank Schumann hat zwar Journalismus studiert, aber nach den Kriterien von Albert Camus dürfte er sich wohl kaum kritischer Journalist nennen, müsste vielmehr nachsitzen oder gleich zur Kopierhilfe degradiert werden, um keinen Schaden in diesem Beruf anzurichten. Jedenfalls meint man das Wort "Geschichtsklitterung" aus Regina Mönchs FAZ-Artikel über ein Gespräch zwischen der ehemaligen DDR-Volksbildungsministerin Margot Honecker und Frank Schumann herauszulesen. Dieses Gespräch ist nun unter dem Titel "Zur Volksbildung" als Buch erschienen. Die medienscheue, in Chile lebende Witwe Erich Honeckers habe nun, so Regina Mönch, "einen Publizisten empfangen, der ihr in der zuweilen bizarr anmutenden Sicht auf die Ereignisse vor und nach dem November 1989 ebenbürtig ist". Regina Mönch weiß gar nicht, über wen sie sich mehr empören soll: über die unverbesserliche Stalinistin Honecker oder den Publizisten mit rosaroter Sozialistenbrille.

So lobe Schumann im Gespräch mit Margot Honecker immer wieder ihre Arbeit als Ministerin und formuliere die schräge These, die Finnen hätten im PISA-Test so gut abgeschnitten, weil sie ihre Pädagogen und Bildungspolitiker in den 70er-Jahren in die DDR geschickt hätten. Schumann spreche außerdem von zufriedenen Menschen, die einst im Jugendwerkhof Torgau gewesen seien und heute ein "normales Leben" führten. Regina Mönch erläutert dies so: "Es handelt sich um den Geschlossenen Jugendwerkhof Torgau, ein Kindergefängnis, das heute Gedenkstätte ist, im Gedenken an die Opfer brutaler Umerziehung im Honeckerschen Geiste. Schumanns erbarmungslose Ignoranz dieses dunklen Kapitels realsozialistischer Disziplinierung qualifiziert ihn als Gesprächspartner Margot Honeckers, die den Sollzustand ihrer ‚Volksbildung’ rekapitulieren will und an Reflexion nicht interessiert ist."

Im Gespräch würden Honecker und Schumann die Bürgerrechtler der DDR als "fremdgesteuerte Wesen" vorführen. 1989 sei für sie nichts anderes als eine "einzige große Verschwörung" gewesen. Das Gesprächsbuch also nur abstruse Gedanken zweier verblendeter Wesen? Nicht ganz. In den Worten von Regina Mönch: "Margot Honeckers Sicht auf ihre ‚Volksbildung’ ist ein historisches Dokument ganz eigener Art, eine Zeitreise in einer lebensluftleeren Raumkapsel, in die keine Erschütterung dringt und nichts das perfekte Bild vom glücklichen Leben in sozialistischen Tagen stört."

Im Vergleich zu Margot Honecker und ihrem Fan Schumann erscheinen Regenmacher gar nicht mal so weltfremd, ja fast schon pragmatisch. Uwe Schultz berichtet in der WELT über die Pariser Ausstellung "La pluie"/"Der Regen" und unter anderem über die Masken der Regenmacher: "Mit den grellen Farbfratzen dieser Masken sollten die Regengötter nicht nur erschreckt werden, sondern es sollte hinter ihnen auch das Erschrecken des Menschen über die eigene Machtlosigkeit verborgen werden."