Von tiefen Gedanken und dicken Soßen
Die Deutschen sind genügsam, schlicht und dörflich - und haben von stilvoller Gastronomie und Lebensart keine Ahnung. Mit solchen Vorurteilen möchte der Restaurantkritiker Erwin Seitz in seinem Buch "Die Verfeinerung des Deutschen" aufräumen.
Als der Wiener Komponist Alban Berg einmal nach Berlin reisen musste, soll er schon in Nürnberg mit der Bemerkung aus dem Zug gestiegen sein: "Die fressen doch nur Dreck, die Deutschen." Seit Tacitus die Germanen als genügsam, schlicht und dörflich beschrieben hat, halten sich derlei Bilder. Prima Ingenieure und Romantiker, aber dem städtischen, geselligen Leben und dem stilvollen Konsum abhold - so erscheinen die Deutschen seit jeher. Tiefe Gedanken und dicke Soßen. Selbst auf das Wirtschaftswunder folgte nicht ein neuer Lebensstil, sondern die "Fresswelle". Und als die abgeklungen war, brauchten wir Franzosen, Italiener und Spanier, um kulinarisch, architektonisch und modisch wenigstens ein bisschen zu gewinnen.
Das Buch des fränkischen Kulturhistorikers Erwin Seitz ist gegen all diese Vorurteile geschrieben. Seitz, der gelernter Metzger und Koch ist, über Goethe promoviert wurde und als Restaurantkritiker arbeitet, trägt Indizien aus 1000 Jahren zusammen, die Sympathie für die Deutschen als Leute von Lebensart wecken können. Dadurch ist eine zumeist katholische, städtische, höfische Welt, die Seitz als wesentliches Moment der deutschen Geschichte betont. Der Süden und Westen ist für Seitz wichtiger als der Norden, die Sachsen und Österreicher wichtiger als die Preußen. So wird man durchaus einseitig informiert. Aber ehrlich einseitig, denn Seitz lässt gar keinen Zweifel, dass er sich ganz seinem Geschmack überlassen hat.
Indem dieser Geschmack barocke Züge hat, ist das Vorgehen nicht wählerisch. Das Buch ähnelt mehr einem Gaisburger Marsch - jener schwäbischen Suppe, in die alles hineinkommt, was gerade zur Hand ist - als einer geklärten Consommé. Es verehrt deutsche Kräuter, besingt die mittelalterlichen Städte, geht vom Ursprung des Riesling über zum Lob der römischen Kolonisation, streitet mit Luther und Potsdam, verehrt die Leistungen der Mönchskultur und all die Ottos, Heinrichs, Karls der vormodernen Agrarkultur, erzählt, wo Rauchbier, Lebkuchen, Weiß- und Erbswurst sowie die ersten aktenkundigen Soßen herkommen - "nimm Wein und Honig, mehr Ingwer als Pfeffer und etwas Knoblauch" -, bewundert das Hamburger sowie das Wiener Kaffeehaus und berichtet von den ersten Kochbüchern, die hierzulande entstanden. Lange vor den angeblich innovativen französischen.
So entsteht ein Trumm von Buch, das auf jeder Seite rückwärts schwärmerisch belehrt, sich dauernd vergaloppiert, viele Lücken hat und keiner systematischen Ordnung folgt, sondern eine historische Speisenfolge Hausmacher Art anbietet. Es wäre ganz falsch, es wissenschaftlich hart zu prüfen. Man sollte es vielmehr von seinem Warenregister her lesen und aufschlagen, wo es von Forellen handelt, vom Kapaun und von der Kartoffel oder der Auster. Für Vegetarier wäre es das falsche Weihnachtsgeschenk. Für Leute, die wissen wollen, was es mit dem Rebhuhn, dem Pfalzen, den Fuggern und dem Matjeshering auf sich hat, genau das richtige.
Besprochen von Jürgen Kaube
Erwin Seitz: Die Verfeinerung des Deutschen. Eine andere Kulturgeschichte
Insel Verlag, Berlin 2011
823 Seiten, 28 Euro
Das Buch des fränkischen Kulturhistorikers Erwin Seitz ist gegen all diese Vorurteile geschrieben. Seitz, der gelernter Metzger und Koch ist, über Goethe promoviert wurde und als Restaurantkritiker arbeitet, trägt Indizien aus 1000 Jahren zusammen, die Sympathie für die Deutschen als Leute von Lebensart wecken können. Dadurch ist eine zumeist katholische, städtische, höfische Welt, die Seitz als wesentliches Moment der deutschen Geschichte betont. Der Süden und Westen ist für Seitz wichtiger als der Norden, die Sachsen und Österreicher wichtiger als die Preußen. So wird man durchaus einseitig informiert. Aber ehrlich einseitig, denn Seitz lässt gar keinen Zweifel, dass er sich ganz seinem Geschmack überlassen hat.
Indem dieser Geschmack barocke Züge hat, ist das Vorgehen nicht wählerisch. Das Buch ähnelt mehr einem Gaisburger Marsch - jener schwäbischen Suppe, in die alles hineinkommt, was gerade zur Hand ist - als einer geklärten Consommé. Es verehrt deutsche Kräuter, besingt die mittelalterlichen Städte, geht vom Ursprung des Riesling über zum Lob der römischen Kolonisation, streitet mit Luther und Potsdam, verehrt die Leistungen der Mönchskultur und all die Ottos, Heinrichs, Karls der vormodernen Agrarkultur, erzählt, wo Rauchbier, Lebkuchen, Weiß- und Erbswurst sowie die ersten aktenkundigen Soßen herkommen - "nimm Wein und Honig, mehr Ingwer als Pfeffer und etwas Knoblauch" -, bewundert das Hamburger sowie das Wiener Kaffeehaus und berichtet von den ersten Kochbüchern, die hierzulande entstanden. Lange vor den angeblich innovativen französischen.
So entsteht ein Trumm von Buch, das auf jeder Seite rückwärts schwärmerisch belehrt, sich dauernd vergaloppiert, viele Lücken hat und keiner systematischen Ordnung folgt, sondern eine historische Speisenfolge Hausmacher Art anbietet. Es wäre ganz falsch, es wissenschaftlich hart zu prüfen. Man sollte es vielmehr von seinem Warenregister her lesen und aufschlagen, wo es von Forellen handelt, vom Kapaun und von der Kartoffel oder der Auster. Für Vegetarier wäre es das falsche Weihnachtsgeschenk. Für Leute, die wissen wollen, was es mit dem Rebhuhn, dem Pfalzen, den Fuggern und dem Matjeshering auf sich hat, genau das richtige.
Besprochen von Jürgen Kaube
Erwin Seitz: Die Verfeinerung des Deutschen. Eine andere Kulturgeschichte
Insel Verlag, Berlin 2011
823 Seiten, 28 Euro