Von Seelentorturen und Wohlstandskatastrophen

21.05.2012
Die Short Story ist das Parkett der Autorin Gariele Wohmann. Eine Auswahl mit Arbeiten aus ihrer gesamten Schaffenszeit legt nun der Aufbau Verlag vor. Das Besondere ihrer Texte ist die gnadenlose Erzählstrategie: Dialogarmut. Es regiert das monologisierende Selbstgespräch.
Seit fast sechs Jahrzehnten setzt Gabriele Wohmann ihr Fabulierwerkzeug in Bewegung, um schwarzhumorig von Seelentorturen und Wohlstandskatastrophen zu berichten. Und das in nahezu allen Genres: in Romanen und Theatertexten, Essays und auch in lyrischer Form.

Vor allem die Short Story aber ist das Parkett, auf dem sie sich gern und mit großem Erfolg präsentiert. Rechtzeitig zum 80. Geburtstag der Autorin liegt deshalb ein Band mit den, wie es im Untertitel heißt, "schönsten Erzählungen" vor. Es ist eine Auswahl, die aus mehr als 600 Prosatexten getroffen wurde. Die jüngste, entstehungsgeschichtlich also älteste, "Ein unwiderstehlicher Mann", stammt aus dem Jahr 1956, zwei Erzählungen – "Schweizer Messer" und "Ich hab doch ganz andere Sorgen" – sind noch unveröffentlicht.

Vielleicht hätte "schaurig-schön" den Kern dieser gnadenlosen Erzählstrategie besser getroffen. Mit diesem Prädikat wurde Wohmanns Lesung bereits auf der Tagung der "Gruppe 47" versehen. Gemeinsam mit Gisela Elsner und Helga M. Novak provozierte sie mit einem widerständigen Schreiben, das den bürgerlichen Müßiggang im Nachkriegsdeutschland unter das Seziermesser nahm und sich in den Nichtigkeiten zwischenmenschlicher Tristesse einnistete.

Von all dem ist nun in den 26 Erzählungen etwas zu finden. Wobei die altbewährten Räume – Wohnzimmer, Kaffeehaus, Friseursalon oder Nachbars Garten – eine amüsant-schaurige Bühne darstellen, auf der Wohmanns Figuren - jede für sich ein "Portiönchen Elend" - agieren. Überfordert vom alltäglichen Einerlei, reagieren sie merkwürdig gereizt und stehen sich oft selbst im Weg. Außerdem fehlt ihnen stets etwas. Meist handelt es sich dabei um Banalitäten. Wobei der konstatierte Minimalverlust schnell ins Grundsätzliche umschlagen kann: vom missratenen Apfelstrudel zum missgelaunten Ehemann – beide sollte man meiden oder schnellstmöglich ersetzen.

In der Titelgeschichte konfrontiert sich Astrid mit ihrem Konterfei im WC-Spiegel, um zu prüfen wie groß ihre Verführungskraft auf die Männerwelt noch ist. Im Grunde ermutigt vom Anblick, schlägt ihr bei der Rückkehr an den Kaffeehaustisch jedoch jene "heitere Verdammnis" entgegen, die sich gegen alle Frauen "jenseits der biologischen Reizschwelle" zu richten scheint.

Für Holly Myers ist "Vanessas Salon" eine Zuflucht, wo sie sich zwischen Haarpracht und Haarersatz zwar mickrig, aber geborgen fühlt. Und in "Wer kommt in mein Häuschen" seziert Wohmann die leidige Paarhierarchie zwischen Mutter und Sohn. Sein Kummer, nicht erwünscht zu sein, aber doch existent, führt zu einer "brutalisierenden Ausrüstung" seines Gemüts.

Unter Wohmanns gnadenloser Regie wird das Innerste nach außen gekehrt. Ihre Texte sind dialogarm, es regiert das monologisierende Selbstgespräch. Jeder Versuch, ein Gespräch in Gang zu setzen, wird zugleich kolportiert. Die Figuren reden grandios aneinander vorbei, erstarren in Sprachhülsen oder verschlucken sich an ihrem Schweigen.

Besprochen von Carola Wiemers

Gabriele Wohmann, Eine souveräne Frau. Die schönsten Erzählungen
Hrsg. & mit einem Nachwort von Georg Magirius,
Aufbau Verlag, Berlin 2012, 286 Seiten, 19,99 Euro

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Gruseliges Seelentheater - Gabriele Wohmann: "Wann kommt die Liebe"