Von schlüpfrig bis Weltliteratur
Die Lit.Cologne ist vorbei. Die letzte der 162 Veranstaltungen stand im Zeichen des türkischen Literaturnobelpreisträgers Orhan Pamuk. Der stellte seinen Debütroman vor, der fast 30 Jahre nach seinem Erscheinen nun auch in deutscher Übersetzung vorliegt.
"There are all sorts of ssss in the Italian texxxxt. And the sssssinger usesssss them."
Keine Sorge, Donna Leon hat keinen Sprachfehler. Sie möchte nur verdeutlichen, wie Georg Friedrich Händel in einer Arie die Schlange lautmalerisch lebendig werden ließ. Die Krimiautorin, deren große Leidenschaft die Oper ist, stellte auf der Lit.Cologne ihr Buch "Tiere und Töne" vor. Viele Tiere bevölkern Händels Arien. Von der Schlange, über den Löwen und die Turteltaube bis zum Elefanten. Donna Leon interessiert sich auch dafür, wie Menschen vor 1000 Jahren Tiere wahrgenommen haben:
"Wenn man die Zeichnungen von Elefanten in mittelalterlichen Manuskripten betrachtet, sieht man, wie das Hörensagen zur Tatsache wird. Menschen sind aus den Ländern, in denen es Elefanten gibt, zurückgekehrt und haben von diesem unglaublichen Tier mit großen Ohren gesprochen und von diesem Staubsauger-Ding, das aus seiner Nase herauskam, und von den Füßen, die wie Baumstümpfe aussahen. Die Menschen, die diesen Erzählungen lauschten, versuchten dann, Elefanten zu zeichnen. Aber das Ergebnis sah nicht wie ein Elefant aus. Man kann nämlich keinen Elefant nach dem Hörensagen zeichnen."
"Ein Elefant poppt alles auf der Welt,
weil ihm das Poppen so gefällt.
Am liebsten poppt er Spatzen,
weil sie am Schluss so lustig platzen."
Jürgen Tarrach und Jasmin Tabatabai lasen am Freitagabend vor 650 Besuchern "Untenrumlyrik". Also kein Zitat aus dem neuen Buch von Donna Leon. Und das, obwohl sie das Kapitel über den Elefanten mit den Worten beginnen lässt: "Der Elefant mag als Beispiel für korrektes Sexualverhalten wenig geeignet sein". Aber die Literatur ist Donna Leon zufolge ein gutes Beispiel, um zu erklären, warum die Deutschen im Gegensatz zu den Engländern Bach lieber hören als Händel:
"Die Haltung der Engländer gegenüber dem Roman ist sehr unbeschwert. Man erwartet von einem Roman, dass er einen unterhält, amüsiert. Ganz anders die Haltung der Deutschen gegenüber dem Roman. Es gibt nicht viele komische deutsche Romane. Jane Austen, Fielding, Sterne, das sind alles komische Schriftsteller, Dickens ist einer. Das Komische ist tief verwurzelt im englischen Roman, nicht aber im deutschen. Ich glaube, Deutsche erwarten von der Kunst mehr Ernsthaftigkeit als Engländer."
"Wer vögelt, dass die Nülle schwitzt
und aus dem Arsch die Scheiße spritzt..."
Och nöö! Können wir das vielleicht etwas schneller hinter uns bringen?
"... die Klöten aneinander rasseln,
die Gebärmutter sich wendet und bäumt
..."
Danke! Dafür ist die Zeit dann doch zu schade. Wie hätte wohl der arme Cevdet auf solch plumpe Sex-Lyrik reagiert? Schließlich läuft er schon rot an, wenn er nur die hübsche Freundin seines Bruders ansieht. Cevdet ist die Hauptfigur in Orhan Pamuks Debütroman "Cevdet und seine Söhne". Daraus las der türkische Literaturnobelpreisträger am Samstagabend just in dem Saal, in dem am Tag zuvor die "Untenrumlyrik" herausposaunt worden war.
Sieben Jahrzehnte umfasst der realistische Roman, den Orhan Pamuk mit 22 Jahren zu schreiben begann, drei Generationen, beginnend mit dem herrlich tragikomischen muslimischen Eisenwaren- und Lampenhändler Cevdet und einem Sommertag im Jahr 1905:
"Er fühlte sich von einem unsichtbaren Panzer umgeben, der ihn unangreifbar machte. Da sah er das Ladenschild über der Tür:
CEVDET UND SÖHNE
EINFUHR – AUSFUHR – EISENWAREN
Mit seiner Ausfuhrtätigkeit hatte er noch nicht begonnen, und Söhne
hatte er auch noch keine, aber beides würde noch werden."
Das Geschäft und die Gründung einer eigenen Familie - nur das interessiert Cevdet. Politik ist nicht seine Sache. Dafür die seines Bruders und vieler andere Figuren in dem 650 Seiten starken Roman, der den Übergang vom Osmanischen Reich zur kemalistischen Republik darstellt. Wie Tolstoi in "Krieg und Frieden" schrieb auch Pamuk über zurückliegende Jahrzehnte und füllte die nicht erlebte Vergangenheit mit eigenen Familien-Geschichten.
"Wenn ich 'Cevdet und seine Söhne' lese, erinnere ich mich an meine Kindheit, an die Bestrebungen meines Vaters, ein Schriftsteller zu werden, an das Missmanagement jenes Geldes, das mein Großvater verdient hatte, daran, wie meine Großmutter weinte, wie der Koch ein Gericht zubereitete, an meinen Schulweg - auf all das blicke ich nun melancholisch zurück. Deshalb bin ich so froh, dass ich damals alles minutiös aufgeschrieben habe, als meine Erinnerung daran noch ganz frisch war. "
Die elfte Lit.Cologne ist mit Orhan Pamuk zu Ende gegangen. Krimi-Stars wie Simon Beckett und Donna Leon haben einmal mehr die Massen angelockt. Aber die Spannbreite der Lit.Cologne reichte von peinlicher Genital-Lyrik über Roger Willemsens urkomische Gedanken zu Querulanten bis zu Lesungen von Weltliteraten wie Cees Nooteboom und eben Orhan Pamuk. Der hat letztlich Übersetzungen seines autobiografischen Debütromans zugelassen, für den er sich nun wirklich nicht schämen muss:
"Ich bin froh, dass das Buch veröffentlicht ist. Noch heute sprechen mich Leser in der Türkei an: 'Herr Pamuk, wir lieben Ihren Cevdet! Warum schreiben Sie nicht mehr solche Bücher anstatt dieses - wie heißt das noch mal? - postmoderne Zeug? Das ärgert uns. Warum schreiben Sie nicht einen weiteren Cevdet-Roman?!'"
Keine Sorge, Donna Leon hat keinen Sprachfehler. Sie möchte nur verdeutlichen, wie Georg Friedrich Händel in einer Arie die Schlange lautmalerisch lebendig werden ließ. Die Krimiautorin, deren große Leidenschaft die Oper ist, stellte auf der Lit.Cologne ihr Buch "Tiere und Töne" vor. Viele Tiere bevölkern Händels Arien. Von der Schlange, über den Löwen und die Turteltaube bis zum Elefanten. Donna Leon interessiert sich auch dafür, wie Menschen vor 1000 Jahren Tiere wahrgenommen haben:
"Wenn man die Zeichnungen von Elefanten in mittelalterlichen Manuskripten betrachtet, sieht man, wie das Hörensagen zur Tatsache wird. Menschen sind aus den Ländern, in denen es Elefanten gibt, zurückgekehrt und haben von diesem unglaublichen Tier mit großen Ohren gesprochen und von diesem Staubsauger-Ding, das aus seiner Nase herauskam, und von den Füßen, die wie Baumstümpfe aussahen. Die Menschen, die diesen Erzählungen lauschten, versuchten dann, Elefanten zu zeichnen. Aber das Ergebnis sah nicht wie ein Elefant aus. Man kann nämlich keinen Elefant nach dem Hörensagen zeichnen."
"Ein Elefant poppt alles auf der Welt,
weil ihm das Poppen so gefällt.
Am liebsten poppt er Spatzen,
weil sie am Schluss so lustig platzen."
Jürgen Tarrach und Jasmin Tabatabai lasen am Freitagabend vor 650 Besuchern "Untenrumlyrik". Also kein Zitat aus dem neuen Buch von Donna Leon. Und das, obwohl sie das Kapitel über den Elefanten mit den Worten beginnen lässt: "Der Elefant mag als Beispiel für korrektes Sexualverhalten wenig geeignet sein". Aber die Literatur ist Donna Leon zufolge ein gutes Beispiel, um zu erklären, warum die Deutschen im Gegensatz zu den Engländern Bach lieber hören als Händel:
"Die Haltung der Engländer gegenüber dem Roman ist sehr unbeschwert. Man erwartet von einem Roman, dass er einen unterhält, amüsiert. Ganz anders die Haltung der Deutschen gegenüber dem Roman. Es gibt nicht viele komische deutsche Romane. Jane Austen, Fielding, Sterne, das sind alles komische Schriftsteller, Dickens ist einer. Das Komische ist tief verwurzelt im englischen Roman, nicht aber im deutschen. Ich glaube, Deutsche erwarten von der Kunst mehr Ernsthaftigkeit als Engländer."
"Wer vögelt, dass die Nülle schwitzt
und aus dem Arsch die Scheiße spritzt..."
Och nöö! Können wir das vielleicht etwas schneller hinter uns bringen?
"... die Klöten aneinander rasseln,
die Gebärmutter sich wendet und bäumt
..."
Danke! Dafür ist die Zeit dann doch zu schade. Wie hätte wohl der arme Cevdet auf solch plumpe Sex-Lyrik reagiert? Schließlich läuft er schon rot an, wenn er nur die hübsche Freundin seines Bruders ansieht. Cevdet ist die Hauptfigur in Orhan Pamuks Debütroman "Cevdet und seine Söhne". Daraus las der türkische Literaturnobelpreisträger am Samstagabend just in dem Saal, in dem am Tag zuvor die "Untenrumlyrik" herausposaunt worden war.
Sieben Jahrzehnte umfasst der realistische Roman, den Orhan Pamuk mit 22 Jahren zu schreiben begann, drei Generationen, beginnend mit dem herrlich tragikomischen muslimischen Eisenwaren- und Lampenhändler Cevdet und einem Sommertag im Jahr 1905:
"Er fühlte sich von einem unsichtbaren Panzer umgeben, der ihn unangreifbar machte. Da sah er das Ladenschild über der Tür:
CEVDET UND SÖHNE
EINFUHR – AUSFUHR – EISENWAREN
Mit seiner Ausfuhrtätigkeit hatte er noch nicht begonnen, und Söhne
hatte er auch noch keine, aber beides würde noch werden."
Das Geschäft und die Gründung einer eigenen Familie - nur das interessiert Cevdet. Politik ist nicht seine Sache. Dafür die seines Bruders und vieler andere Figuren in dem 650 Seiten starken Roman, der den Übergang vom Osmanischen Reich zur kemalistischen Republik darstellt. Wie Tolstoi in "Krieg und Frieden" schrieb auch Pamuk über zurückliegende Jahrzehnte und füllte die nicht erlebte Vergangenheit mit eigenen Familien-Geschichten.
"Wenn ich 'Cevdet und seine Söhne' lese, erinnere ich mich an meine Kindheit, an die Bestrebungen meines Vaters, ein Schriftsteller zu werden, an das Missmanagement jenes Geldes, das mein Großvater verdient hatte, daran, wie meine Großmutter weinte, wie der Koch ein Gericht zubereitete, an meinen Schulweg - auf all das blicke ich nun melancholisch zurück. Deshalb bin ich so froh, dass ich damals alles minutiös aufgeschrieben habe, als meine Erinnerung daran noch ganz frisch war. "
Die elfte Lit.Cologne ist mit Orhan Pamuk zu Ende gegangen. Krimi-Stars wie Simon Beckett und Donna Leon haben einmal mehr die Massen angelockt. Aber die Spannbreite der Lit.Cologne reichte von peinlicher Genital-Lyrik über Roger Willemsens urkomische Gedanken zu Querulanten bis zu Lesungen von Weltliteraten wie Cees Nooteboom und eben Orhan Pamuk. Der hat letztlich Übersetzungen seines autobiografischen Debütromans zugelassen, für den er sich nun wirklich nicht schämen muss:
"Ich bin froh, dass das Buch veröffentlicht ist. Noch heute sprechen mich Leser in der Türkei an: 'Herr Pamuk, wir lieben Ihren Cevdet! Warum schreiben Sie nicht mehr solche Bücher anstatt dieses - wie heißt das noch mal? - postmoderne Zeug? Das ärgert uns. Warum schreiben Sie nicht einen weiteren Cevdet-Roman?!'"