Von Robotern und Vampiren

25.01.2012
Der britische Science-Fiction-Autor Richard Calder ist 1991 in seiner Heimat mit den "Dead Girls” bekannt geworden. Diesen Roman hat er zu einer Trilogie ausgebaut. Nun sind Calders "Dead Girls" auch bei uns angekommen - sie handeln von einer unglücklichen Liebe.
Wir schreiben das Jahr 2071, in England herrscht die "Reinheitsfront", London steht unter Quarantäne. Ignatz Zwakh und seiner Freundin Primavera gelingt die Flucht aufs Festland und schließlich nach Bangkok. Gerade einmal fünfzehn Jahre alt, sind die beiden höchst gefährlichen Ausbrecher. Vor allem vor Primavera sollte man sich in acht nehmen, sie ist eine sogenannte "Lilim", eine "Puppe". Ehemals ein Mensch, hat ein Virus sie in eine Maschine verwandelt, einen mit übermenschlichen Kräften ausgestatteten Roboter.

Wegen Wesen wie ihr ist die ehemalige Hauptstadt des Königreichs zum Sperrgebiet erklärt worden: Man fürchtet die "Puppenplage", denn alle Männer, die von den überaus verführerischen Robotern gebissen werden, tragen fortan den Virus in sich und können darauf selbst nur noch Maschinen zeugen. Der Menschheit droht die Auslöschung.

Ein anderer Autor hätte wahrscheinlich einen positiven Helden ins Zentrum seines Romans gestellt, jemanden, der die Welt rettet und dabei selbst nur ein paar Schrammen davonträgt. Der Brite Richard Calder dagegen schreibt zwar Science-Fiction, man sollte sich aber hüten, seinen Roman unter der Rubrik Unterhaltung zu subsumieren.

"Tote Mädchen" ist so mitreißend wie abgründig: Primavera arbeitet als Killerin im Auftrag von Madame Kito, der Herrscherin über Bangkoks Unterwelt. Ignatz, der Erzähler, ist ihr ständiger Begleiter, ihre menschliche Tarnung, nicht viel mehr offenbar als ein nützliches Wirtstier. Er ist Primavera gänzlich verfallen, sein mit Bisswunden übersäter Körper zeugt von seiner bedingungslosen Hingabe.

So könnte man "Tote Mädchen" leicht für einen feministischen Roman halten, denn die "Lilim" begreifen sich als Töchter Liliths, als Alternativentwurf zu Eva also, der biblischen Urmutter. Aber diese wie jede andere Schwarz-Weiß-Kategorie will bei Calder einfach nicht greifen. Seine Heldin mitsamt ihrem Verehrer entzweit sich mit Madame Kito, gerät ins Fadenkreuz der Amerikaner und zweifelt schließlich an ihrer Mentorin Titania, dem ersten aller weiblichen Überroboter. So wird die Handlung immer verwickelter, die Motive werden immer weniger nachvollziehbar.

In Rückblicken wird zudem von der Erschaffung der künstlichen Wesen und von der jugendlichen Verwandlung Primaveras in eins dieser "toten Mädchen", dieser weiblichen Vampire erzählt. Wie es sich für einen Science-Fiction-Roman gehört, ist dabei vom "unvorhersehbaren Verhalten subatomarer Partikel" die Rede, von "Tachyonen, Leptonen, Hadronen, Gluonen, Quarks", doch halten sich die Anforderungen ans physikalische Vorstellungsvermögen in Grenzen.

Auch war Calder so klug, keine technischen Einzelheiten zu erfinden, die heute, zwanzig Jahren nach Erscheinen des englischen Originals, überholt oder gar lächerlich wirken würden. Vielmehr zeichnet sich der Roman durch eine starke, fremdartige und unterschwellig doch wohlvertraute Atmosphäre. Denn am Ende handelt "Tote Mädchen" eben nicht von Robotern und Vampiren, sondern vom Tod und von Mädchen. Was nichts anderes heißt als: von unglücklicher Liebe.

Besprochen von Tobias Lehmkuhl

Richard Calder: Tote Mädchen
Aus dem Englischen von Hannes Riffel
Suhrkamp, Berlin 2012
242 Seiten, 11,99 Euro
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