Von Rangern und Jägern

Von Annette Riedel. |
Bis 1990 verlief die deutsch-deutsche Grenze durch den Schaalsee. Nach der Wende wurde das Gebiet zum Biosphärenreservat ernannt und wird nun von Rangern überwacht.
Die Rangerin:

"Es gibt hier am Schaalsee mehrere Badestellen. Mensch und Natur sollen ja auch zusammengefügt werden und es soll erprobt werden, wie der Mensch mit der Natur im Einklang leben kann, ohne sie zu zerstören."

Der Jäger:

"Wichtig war mir, dass wir was sehen heute – also wenn ich den nicht geschossen hätte, wäre ich auch nicht traurig. Ich bin froh, dass ich ihn habe, dass er nicht krank abgehauen ist. Das ist das Allerwichtigste."

Torsten Wäder ist Ranger im Biosphärenreservat Schaalsee. Tagsüber. Und er ist Hobbyjäger im Biosphärenreservat Schaalsee. Abends. In der Jagdsaison geht er nicht selten fast jeden Abend zum Ansitzen.
Was nicht heißt, dass er jedes Mal auch etwas schießt. Manchmal bekommt er 15, 20 Mal hintereinander kein Stück Wild – er sagt ‚Stück’ Wild - vor die Flinte.

"Ich gehe nicht unbedingt raus, um was zu schießen. Ich beobachte die Natur auch gerne. Bevor ich Jäger wurde, habe ich mich schon als kleines Kind dafür interessiert, obwohl bei mir in der Familie überhaupt kein Jäger ist, muss ich sagen. Also wie ich dazu gekommen bin, kann ich nicht mal so richtig sagen. Ich weiß, nur, dass ich seit ich zwölf bin, immer zur Jagd mitgenommen wurde und dass mir das großen Spaß gemacht hat."

Mitten durch den Schaalsee verläuft bis 1990 die Grenze zwischen der Bundesrepublik und der DDR. Torsten Wäder hat Zeit seines Lebens hier im Mecklenburgischen gelebt. Seit 22 Jahren jagt der 40-Jährige. Also auch damals zu DDR-Zeiten schon – mit Sondererlaubnis, einer "Grenz-Jagd-Genehmigung". Seine Jagdflinte musste er damals spätestens alle 72 Stunden den Behörden vorzeigen. Es war eben Sperrgebiet. Das bedeutete Einschränkung für die Menschen. Lebensraum für Tiere und Pflanzen.

"In der Hinsicht ist es natürlich ein Segen für die Natur gewesen. Es ist dünn besiedelt hier und deshalb gibt es auch noch so eine reiche Naturausstattung."

In Jeans, Gummistiefeln - jägergrün wie die Faserfelljacke - sitzt der große Mann mit dem gebräunten Gesicht und dem graumelierten Fünf-Tage-Bart am Steuer seines Wagens, einem dunkel-türkisblauen Lada Niva Jeep. Auf dem Kopf: ein sichtbar gern getragener Forsthut aus Filz – Typ DDR, sagt Torsten Wäder, grinst.

Der Jeep hat Vier-Rad-Antrieb. Muss hier sein. Sonst wäre der Wagen auf dem sumpfigen Feldweg längst steckengeblieben.
Torsten Wäders Jagdflinte liegt gesichert auf dem Rücksitz. Es ist kurz nach 19:30 Uhr. Es verspricht ein sonniger, windstiller Abend zu werden. Ideal für die Jagd.

"So, da wären wir."

"Das Jagen ist Hobby. Das gehört nicht zu unserem Beruf, nicht wie beim Förster. Muss natürlich gemacht werden. Das gehört einfach so dazu, weil es keine natürlichen Feinde mehr gibt. Wir haben keinen Wolf mehr hier, wir haben keinen Bär mehr hier oder einen Luchs, sondern der Mensch muss in das Ökosystem eingreifen, um es ein wenig im Gleichgewicht zu halten. Deswegen muss auch Jagd betrieben werden."

Kerstin Dit und Torsten Wäder sind Kollegen. Ranger im 309 km2 großen Biosphärenreservat Schaalsee. Als solches seit 2000 offiziell von der UNESCO anerkannt. Etwa jeweils zur Hälfte auf dem Gebiet von Schleswig-Holstein und Mecklenburg Vorpommern gelegen. Eines von 13 Biosphärenreservaten in Deutschland.
Es stürmt heftig an diesem Morgen in Zarrentin in Mecklenburg-Vorpommern, ein Kilometer entfernt von der Landesgrenze zu Schleswig-Holstein.
Hier ist der Sitz der Verwaltung und eines der beiden Infozentren des Reservats. Die mädchenhaft wirkende 41-jährige Kerstin Dit ist eine von zwei Frauen unter den insgesamt 13 Rangern. Alle auf den ersten Blick zu erkennen an ihrer Kleidung.

"Das ist Arbeitskleidung – also in Grüne gehaltene Jacke, grüne Hose und ein Rangerhut, wie er aus amerikanischem Vorbild stammt. Das ist ein Filzhut, der oben vierkantig ist. Das ist so, dass alle Ranger deutschlandweit eine einheitliche Kleidung haben. Das heißt, wenn Besucher in andere Gebiete kommen, dass die wissen: Aha, das ist ein Ranger. So sehen die also aus. Dass der Wiedererkennungseffekt einfach das ist."

Vorbei an einem kleinen Schaufelbagger, der herab gefallene Äste wegräumt, läuft Kerstin Dit auf dem Uferweg des 24 km2 großen Schaalsees entlang zur Bootsanlegestelle. Sie will eine Touristengruppe bei einer Bootsfahrt auf dem See begleiten und ihnen unterwegs etwas über die Natur und die Konzepte des Biosphärenreservats erzählen. Das gehört zu den vielfältigen Aufgaben der Ranger. Ihre Arbeitszeit: in der Regel 6:30 Uhr bis 16 Uhr. In der Sommer-Saison oft länger, auch mal am Wochenende.

"Man muss ein Allround-Talent sein, wenn man so will. Wir machen ja auch Führungen mit Schulklassen und Besuchergruppen. Das heißt, es muss auch eine gewisse Artenkenntnis vorhanden sein. Es müssen ökologische Zusammenhänge auch erkannt werden, weil wir auch Monitoring-Aufgaben zu erfüllen haben – also Umweltbeobachtung machen. Wir müssen handwerklich sehr begabt sein. Wir machen ja auch sehr viele Beschilderungen im Gebiet, im Rad- und Wanderwegnetz … Jetzt wird’s ein bisschen laut …
Und wir bauen auch Besucherhochstände auf und bauen auch Moorstege durch vernässtes mooriges Gebiet."

"Mit der Bezahlung lässt sich – na ja – auskommen. Der Spaß an der Arbeit mit Menschen entschädigt sie für Vieles", sagt Kerstin Dit und rückt ihren Rangerhut zurecht, den ihr der Wind immer wieder vom Kopf bläst. Ein Lederriemen unterm Kinn hindert ihn am Wegfliegen.
Kerstin Dit lacht gern. Dann blitzen ihre blauen Augen hinter der randlosen Brille, deren Gläser am oberen Rand treppenartig geschliffen sind.
Sie liebt ihren Beruf als Rangerin. Er hält sie jung, sagt sie. Obwohl sie ihn sich nicht wirklich ausgesucht hat. Sie ist gelernte Forstwirtin. Ranger ist ein Weiterbildungsberuf, den sie nach der Vereinigung – nicht ganz freiwillig – ergreift.

"Eigentlich war’s aus der Not geboren. Die Forstwirtschaft hat Stellen abgebaut. Die Frauen zuerst, weil wir im Waldbau tätig waren, nicht erwirtschaftet haben und sozusagen überflüssig waren. Dann hat man uns angeboten: Entweder ihr seid arbeitslos oder ihr habt die Möglichkeit, in ein Großschutzgebiet zu gehen. Und dam man immer schon sehr verbunden war mit der Natur, war’s naheliegend, hier dann einfach anzufangen. Also es war wirklich ein ganz großes Glück."

Der Uferweg zur Bootsanlegestelle ist gesäumt mit Schilf, Weiden, Linden, einigen Buchen, ein paar Birken. Auf einer Wiese weiden Kühe. Gleich neben dem frisch hergerichteten Freibad Schaalsee mit neuer Rutsche – Wassertemperatur an diesem Juni Morgen: 18 Grad. Luft Temperatur knapp 15 Grad. Im Biosphärenreservat darf Landwirtschaft betrieben und auch gebadet werden.

"Es gibt hier am Schalsee mehrere Badestellen. Mensch und Natur sollen ja auch zusammengefügt werden und es soll erprobt werden, wie der Mensch mit der Natur im Einklang leben kann, ohne sie zu zerstören. Das ist unsere Aufgabe und eine Herausforderung für uns alle. Das ist ganz doll wichtig, den Menschen nicht auszugrenzen, sondern mitzunehmen. "

Eine Handvoll Berufsfischer mit ihren kleinen Kähnen, die DLRG und die Wasserschutzpolizei dürfen Boote mit Verbrennungsmotoren auf dem Schaalsee fahren. Sie sind die Ausnahme. Ansonsten sind Ruderboote, Tretboote, Segelboote und Elektroboote erlaubt - und auch nur hier registrierte. Solche wie "Duffy", eines der beiden Elektro-Ausflugsboote von Klaus Kuntoff. An diesem Morgen ist "Duffy" mit zwölf Rentnern und einem jungen Paar mit Säugling voll besetzt. Klaus Kuntoff erklärt und scherzt gern. Und viel.

"Vielleicht am Anfang mal ein paar allgemeine Sachen über den See, damit sie überhaupt wissen, wo sie waren. Nicht, dass sie nachher von Bord gehen und sagen: Es war so eine schön Fahrt auf der Nordsee. Da sind wir nicht. Wir sind auf dem Schaalsee. Der Schaalsee ist hier vor circa. 50.000 Jahren entstanden, während der letzten Eiszeit, die hier war. Sie müssen sich vorstellen, vor 50.000 Jahren etwa zwei Kilometer in die Höhe war hier Eis. Er ist der tiefste Klarwassersee Deutschlands, mit 71,5 Metern. Dieses Boot gilt aber als unsinkbar. Wie die Titanic - selbe Werft. Schwimmwesten sind ausreichend vorhanden, vorne im Stauraum und auch hier hinten. Es sind die billigen aus Blei. Man quält sich nicht so lange."

Die Touristen amüsieren sich, scherzen zurück. Klaus Kuntoff versteht es, Menschen zu unterhalten. Nicht nur ihm sind die Gäste äußerst willkommen. Es könnten gern noch mehr kommen, vor allem länger, denn 80 % sind Tagestouristen wie die an diesem Morgen auf der "Duffy". Sie lassen zu wenig Geld in der strukturschwachen Region.

Tourismus – sanfter Tourismus – passt ins Biosphärenreservat. Da sind sich Bootseigener und Rangerin einig. Kerstin Dit bewertet die Einschränkungen durch den besonderen Schutz der Umwelt für die Besucher sehr entschieden als extrem geringfügig im Verhältnis dazu, was die Natur ihnen dafür zu bieten hat.

"Es ist so, dass man nicht überall an den See rankommt, was viele Vögel, die hier in der Ufernähe brüten, auch stören würde. Deshalb gibt es bestimmte Schutzzonen, die extra dafür eingerichtet wurden. Vom Biosphärenreservat Schaalsee ist auch ein Teil als europäisches Vogelschutzgebiet ausgewiesen worden. Es gibt bestimmte Vogelarten hier, die sehr selten sind, die hier zur Mauser einfallen, gerade im August und September, die die Ruhezonen hier auch gern nutze, weil sie vier Wochen flugunfähig sind. In dieser zeit bilden sich die neuen Flugfedern aus und sie können halt nicht wegfliegen. Deshalb brauchen sie solche Bereiche, wo sie ungestört sind."

Viele Menschen leben in Zarrentin und in den Nachbardörfern wie Klaus Kuntoff ganz direkt vom Tourismus. Der Wind zaust am sich lichtenden dunklen, grau melierten Haar des Endvierzigers mit den denkbar blausten Augen, die aus dem gebräunten Gesicht strahlen. Ihm gehören neben zwei Elektro-Ausflugsbooten auch noch Ferienwohnungen. Er zieht den Reißverschluss am Kragen seines olivgrünen Sweatshirts hoch. Lässt dafür für Sekunden das Steuerrad des kleinen Ausflugsbootes los. Klar gab es auch einige Einwände als die Gegend um den Schaalsee 2000 Biosphärenreservat wurde, auch noch in den ersten Jahren danach, erzählt Klaus Kuntoff, lässt dabei den Blick fast mit Besitzerstolz über ein Pärchen Kolbenenten streifen, das wenige Meter vom Boot entfernt auf dem Wasser schaukelt. Kolbenenten gehören zu den seltenen Vogelarten, die hier brüten. Inzwischen sehen die meisten in der Region weniger die Risiken durch den Naturschutz als vielmehr die Chancen, so wie Klaus Kuntoff selbst - da ist er sicher, nickt bestätigend mit dem Kopf.

"Es gibt Einschränkungen hier – ganz automatisch. Sie sehen ja auch, wenn Sie sich hier umgucken: Es sind verhältnismäßig wenig Boote unterwegs. Gut, wir sind unter der Woche, aber es ja doch ein schöner Tag. Aber es ist auf der anderen Seite auch eine Chance. Ich finde zum Beispiel, mein Unternehmen ist ein sehr schöner Konsens zwischen Naturschutzbelangen und wirtschaftlichen Interessen. Das heißt, man auch mit Naturschutz Geld verdienen. Und das ist ja auch das, was man eigentlich mit dem Biosphärenreservat versucht.
Aber dadurch, dass es unter Naturschutz steht, wird es für manche Aktivitäten, die manche machen möchten Einschränkungen geben, automatisch. Da muss man gucken, was passt. Was auf jeden Fall passen würde, wäre, dass man in Richtung Reiten noch was macht. Und es gibt noch keinen richtigen Fahrradverleih hier. Minigolf – das wären so Sachen, die sich auch mit Naturschutz vertragen würden und andere Sachen, die man sich vielleicht noch einfallen lassen müsste."

Am Abend desselben Tages. Hobbyjäger Torsten Wäder stellt sein Auto ab, geht zu Fuß weiter.

"Also, es ist mein Hobby, von Beruf bin ich genauso Ranger wie meine Kollegin heute Morgen. Die Jagd mache ich als Hobby nach Feierabend. Gejagt werden muss auch im Biosphärenreservat. Was sich natürlich ausschließt ist bei uns in den Naturschutzgebieten: keine Federwildjagd. Und das muss man auch einsehen. Irgendwo muss auch das Federwild seine Ruhe haben. Wir haben hier sehr viel nordische Gänse im Herbst und Winter und sie brauchen ihre Ruhe-Zonen. Das ist klar, wenn man sie ständig hin und her jagt … So, jetzt müssen wir aber mal leise sein …"

Torsten Wäder vermeidet es, auf Äste zu treten, die sein Kommen verratend, knacken könnten, bewegt sich möglichst geräuscharm durch den Wald und über die Wiesen. Seine fast 50 Jahre alte Flinte, auf die er sehr stolz ist, trägt es an einem hundeleinenähnlichen, geflochtenen Lederriemen über der Schulter.

"Jetzt habe ich mir eine Zigarette angesteckt, um zu prüfen, wie der Wind kommt. Das Wild wittert uns sehr gut und deshalb müssen wir sehen, dass wir gegen den Wind rankommen, dass der Wind auf uns zukommt.
Ich kann zu dem Gewehr was sagen. Das ist eine Bockbüchsflinte. ‚Bock’ heißt erst mal, dass sie übereinander ist – also die Läufe gebockt sind. Büchse bedeutet, dass es ein Kugellauf ist. Ich kann Ihnen das mal zeigen: Der kleinere Lauf, da wird dann diese Kugel rein gesteckt, die sehr treffgenau ist und man damit auch bis 150 Meter, vielleicht sogar bis 200 Meter sehr genau schießen. Und dann ist in dem Namen noch ‚Flinte’ drin, weil man damit diese Ladung verschießen kann, Flintenlaufgeschosse heißen die. Das ist ein Schrotlauf, mit dem man auch Flintenlaufgeschosse verschießen kann. Zielfernrohr habe ich auch drauf, das dann auch in der Dämmerung das ein bisschen erhellt – also das verstärkt das Restlicht."

Zwischen zwei sanft hügeligen Wiesen mit einem kleinen moorigen Tümpel steuert er auf einen Ansitz in einer Weißbuchenhecke zu. Nein, kein Hochsitz, sondern ein Ansitz: eine einfache Bank am Boden, lediglich von einem Bundeswehr-Tarnnetz abgeschirmt. Torsten Wäder jagt Schwarzwild – für Nichtjäger: Wildschweine. Oder Rotwild – für Nichtjäger: Rehe.

Der Wind steht gut. Gegen den Ansturm der Mücken teilen wir seine Zigaretten und mein Mückenspray, seines ist ihm unterwegs aus der Tasche gefallen. Wir benutzen den Mückenschutz großzügig fürs Gesicht, für die Hände, im Nacken. Auch auf den Hosenbeinen. Die Schaalseemücken sind zahlreich, groß, lästig. Wir flüstern. Torsten Wäder lebt in Lassahn, etwa zehn Kilometer von Zarrentin entfernt. Mitten im Biosphärenreservat. Jeder im Dorf weiß natürlich, wo er arbeitet: bei der Behörde, die für die Umsetzung des Biosphärenkonzepts und entsprechender Vorschriften zuständigen ist. Das macht naturgemäß nicht nur Freunde.

"Klar gibt es heute noch Gegner. Wir sind eine Behörde, die auch mal was verbieten muss. Das kommt dann nicht so gut an: Vorschriften, wie man Hecken pflegt, zum Beispiel. Es gibt Dinge – also ich kann nicht durch jede Ecke, die mir gefällt, einen Wanderweg legen. Damit müssen die Leute auch klarkommen und das auch einsehen. Also, da gibt es dann Streitereien.
Und da wird dann von unserer Behörde gesagt. Wanderweg, ja – aber da nicht. Das wären dann so Dinge, die man verbieten muss. Oder eben so Einschränkungen auf dem See, dass da auch ein Schutzgebiet ist, wo man nicht mit dem Boot rein fahren darf. Ist mir eigentlich auch immer unverständlich – 95 %des Sees sind zu befahren und diese %% nicht, oder noch weniger. Aber in diese Ecke wollen dann einige auch noch rein."

Und dann warten wir still. Und warten. Und warten

Die Jagd ist ihre Sache nicht, wehrt Rangerin Kerstin Dit auf dem Rückweg von der Bootspartie auf dem Schaalsee zum Infozentrum des Biosphärenreservats ab und schüttelt bestimmt den Kopf mit dem blondgesträhnten Pferdeschwanz, der unter ihrem Rangerhut hervorlugt.
Genauso wenig wie Torsten Wäders Kinder für die Jagdleidenschaft des Vaters kann sich Kerstin Dits Tochter wirklich für die Freizeitaktivitäten der Mutter begeistern.

"Ich habe wie viele Ranger auch ein Hobby – das sind die Kräuter. Wir bieten hier ja auch Kräuterführungen und Kräuterradtouren, auch Kräutervorträge. Da ist es dann schon so, dass ich zuhause mal ein bisschen was brutzeln muss oder ich muss auch mal was kochen. Und da kommt meine Tochter schon uns sagt: 'Mutti, wie riecht das denn heute hier schon wieder?!' Aber das sind auch Dinge, die zuhause auch ein bisschen abfärben. Dass sie dann kommt und sagt: Au Mann, ich habe mir das Knie gestoßen – hast Du irgendwas, dass ich mir da rauf tun kann. Ich habe einen Mückenstich – hast Du irgend was, eine Salbe?"

Sie läuft an einer Hundetoilette vorbei, aus der gerade eine ältere Dame eine Plastiktüte zieht, um die Notdurft ihres Vierbeiners zu entsorgen.
Passiert einen Tret- und Segelbootverleih und steht dann vor dem Pfahlhaus, dem Pahlhuus, wie die Zarrentiner das Infozentrum des Biosphärenreservats Schaalsee bei einem Namenswettbewerb taufen.

"Also das Pahlhuus steht ja auf Pfählen. Man sieht das hier ganz deutlich. Das sind 43 Pfähle. Nicht dass Sie jetzt denken, wir erwarten in nächster Zeit Hochwasser. Dies ist eine ehemalige Mülldeponie gewesen. Hier wurde der ganze Hausmüll und Industriemüll von Zarrentin verkippt, zu DDR-Zeiten. Nach der Wende, 1990, war es den Zarrentinern dann peinlich. Hat man dann mit Lehm und Ton verfüllt. Wir haben damals nach einem Bauplatz gesucht für unser Infozentrum. Die Stadt hat uns dieses Gelände für ‚’nen Appel und ’nen Ei angeboten, weil es eine Fläche ist, die nicht mehr nutzbar ist."

Oder eben doch. Kerstin Dit zeigt mit spürbarer Freude das Außengelände vom Pahlhuus: ihren geliebten Heilkräutergarten. Dann: die Lehmpfütze, aus der die Mehlschwalben sich ihr Material zum Nestbau holen können. Die Solarpyramide mit Photovoltaikanlage. Das "grüne Klassenzimmer" – eine Art grüner Iglu aus in Form geschnittenen Weiden, mit Bänken drin. Die bewusst ungemähten Wiesen, die vielem, was da kreucht und fleucht, Lebensraum bieten.
Und das Insektenhotel.

"Also wir haben hier mal ein Insektenhotel. Insektenhotel ist einfach ein großer Baukasten aus verschiedenen Materialien: Wir haben Holz, Rundholz, dann haben wir Sägespäne, Lehm, Schilfrohr und auch Ziegel. Wir haben auch solche Glasröhren. Da gucken wir jetzt mal rein…Ich habe den Schlüssel mal mit … Ich habe nämlich gesehen, einige dieser Röhren sind auch schon verkittet. Es haben also schon Insekten hier ihre Eier abgelegt. Die entwickeln sich hier auch gerade.

Das sind oftmals ‚Solitärbienen’, also Wildbienen – nicht so, wie wir sie können unsere Honigbienen im Volk und die haben da ihre Aufgaben, sondern es gibt auch Solitärbienen, die einzeln leben. Davon gibt es ungefähr 350 Arten, die hier bei uns leben. Einige stehen auch schon auf der roten Liste vom Aussterben bedrohter Insekten. Das hängt einfach damit zusammen, dass die Lebensbedingungen nicht mehr da sind. Und deshalb haben wir ein Insektenhotel gebaut, damit man auch mal zeigen kann, was man tun kann, diese Insekten da zu unterstützen."

Kerstin Dit schließt das Insektenhotel und führt hinein in das Pahlhuus - einer Mischung von Ausstellungsraum, Dokumentations- und Weiterbildungszentrum, Touristeninformation, und Verwaltung.
Kerstin Dit verabschiedet sich. Sie hat eine kurze Mittagspause, will schnell etwas essen, bevor die nächste Gruppe kommt, die sei führen wird. Übergibt an ihren Chef, Wolfram Lindenkreuz, Abteilungsleiter für Umwelt, Bildung und Betreuung:
Kurzes dunkles Haar mit hoher Stirn, braune Hose, brauner Pulli, Sommersandalen. Die Gummistiefel hat er im Kofferraum seines Autos, sagt er. Der 37-Jährige macht einen Rundgang durch die Ausstellung. Und die Einführung in die Besonderheiten des Biosphärenreservats Schaalsee.

"Wenn wir uns hier auf die linke Seite wenden, dann sehen wir sozusagen den ersten Gestalter der Landschaft. Das ist die Einzeit, die bis vor ungefähr 8000 Jahren hier im Gebiet war. Wir hören hier auch original Eisknacken ..."

Wolfram Lindenkreuz weist, aus dem künstlichen Eis kommend, auf ein einladendes altmodisches Plüschsofa am Fenster.
Besucher des Infozentrums können sich hier hinsetzen und mit Blick auf die Wiesen vor dem Pahlhuus ein Telefon ans Ohr nehmen, um einem alten Fischer zu lauschen. Der erzählt, wie sich die Dinge am Schaalsee in den letzten Jahrzehnten gewandelt haben. ‚Wandel’ ist das Motto der gesamten Ausstellung. "Nur wer sich ändert, bleibt sich treu", sagt Goethe. So wird er auch in großen Lettern am Eingang zum Infozentrum zitiert. Neben Weisheiten zum Thema ‚Wandel’ von Camus, Kant, Biermann und Anderen. Eines soll und darf sich nicht ändern. Das sagt Wolfram Lindenkreuz sehr bestimmt: der Status der Region als Biosphärenreservat, der für eine spezielle Mischung zwischen totaler Wildnis, Landschaftspflege, nachhaltiger Landwirtschaft und naturverträglichem Leben und Bereisen steht. Alle zehn Jahre muss der Status bestätigt werden – oder eben auch nicht. 2010 werden Vertreter der UNESCO, der Organisation der Vereinten Nationen für Erziehung, Wissenschaft und Kultur, erstmals überprüfen, ob das Prädikat Biosphärenreservat weiterhin verdient ist, hier am Schaalsee. Wolfram Lindenkreuz zweifelt nicht eine Sekunde an einem klaren Ja.

"Ich hatte noch ein Spektiv mitgebracht. Das mache ich sonst nicht – nur, wenn ich mal Böcke beobachten will, in weiterer Entfernung. Das hatte ich nun heute mal mitgebracht. Mal sehen, ob wir das brauchen … Da kommt ein großes Fernrohr drauf … Da kann ich dann auch aus sehr weiter Entfernung noch sehr gut gucken."

Kurz vor 22 Uhr. Torsten Wäder wartet noch immer, dass er an diesem Abend wenigstens ein Wildschwein oder einen Rehbock zu sehen bekommt. Seit über zwei Stunden.

Torsten Wäder ändert die Strategie. Er will nicht länger warten. Läuft los.

Und dann tatsächlich … Eine Ricke und zwei Böcke … Aber nicht in Schussweite.

Sie entdecken uns, bevor wir näher heran kommen können. Springen in den nahen Wald. Die Böcke bellen warnend. Ja, bellen:

Neuer Versuch, kurz bevor es richtig dunkel wird. Plötzlich, auf einer ein Stück vom Ansitz entfernten Wiese: ein Rehbock. Torsten Wäder nimmt ihn ins Visier.

Er kniet sich hinter einen hüfthohen Heuhaufen in Deckung, stützt seinen Arm mit dem Gewehr auf, um ruhig zielen zu können.

Nach dem ersten Schuss springt der Rehbock verletzt in ein Gebüsch. Torsten Wäder geht ihm vorsichtig hinterher, sucht ihn. Das angeschossene Tier springt noch einmal auf, flüchtet, bricht wenige Meter weiter im hohen Gras zusammen. Der Jäger gibt ihm den Fangschuss.

Der 40-Jährige ist erleichtert. Er hätte sonst einen Kollegen mit einem Hund holen müssen, um den schwer verwundeten Rehbock aufzustöbern, sagt er. Niemals würde er ein angeschossenes Tier seinem Schicksal überlassen.

Er nimmt den toten Bock beim Gehörn, schleift ihn zum Auto, wuchtet ihn in den Kofferraum. Zum Ausnehmen an Ort und Stelle – zum "Aufbrechen", wie es auf Jägerdeutsch heißt - ist es jetzt schon zu dunkel geworden. Das wird er später zuhause machen.

"Ich bin froh, dass ich ihn habe, dass er nicht krank abgehauen ist. Das ist das Allerwichtigste."