Von Quallen und Quanten
In dieser Woche wurden die Nobelpreise für Chemie und Physik vergeben. Im Fach Chemie wurden Arbeiten zu grün fluoreszierenden Proteinen ausgezeichnet. Im Bereich Physik wurden die Forschungen an gebrochenen Symmetrien gewürdigt. Was man darunter genau zu verstehen hat, erklärt Dirk Lorenzen.
Auch der Chemienobelpreis hatte in diesem Jahr einen Bezug zur Medizin, jedenfalls zur Erforschung der Vorgänge im Körperinneren. Welche Forscher wurden ausgezeichnet?
Drei Forscher, die in den USA tätig sind, Osamu Shimomura, Martin Chalfie und Roger Tsien, haben den Chemie-Nobelpreis erhalten. Gewürdigt wurden ihre Arbeiten, die Vorgänge im Zellinneren sichtbar machen. Die brachten im wahrsten Sinne des Wortes Zellen zum Leuchten. Das sei eine so bedeutende Entdeckung, die mit der Erfindung des Mikroskops im 17. Jahrhundert vergleichbar sei, heißt es in der Begründung des Nobel-Komitees.
Wie bringt man Zellen zum Leuchten?
Osamu Shimonura hat schon in den 60er Jahren ein Protein isoliert, das eine bestimmte Quallenart im Meer grün leuchten lässt. Herr Shimonura hat dann lange an diesem Stoff geforscht. Aber der große Durchbruch gelang erst mit der Weiterentwicklung der Gentechnik. Denn in den 90er Jahren gelang es Martin Chalfie endlich, dieses Leuchtmolekül gezielt in andere Zellen einzubauen. Damit war es auf einmal möglich, Wachstumsprozesse live zu verfolgen, zuzusehen, wie Tumoren entstehen oder wann welche Gene in den Zellen aktiv sind und wo sie hinwandern. Roger Tsien schließlich hat die Methode noch weiter entwickelt und das Molekül in verschiedenen Farben leuchten lassen. Damit lassen sich die einzelnen Zellbestandteile unterschiedlich einfärben. Auf diese Weise sind auch sehr komplexe Vorgänge in den Zellen in allen Details zu verfolgen, z.B. lässt sich so das Gewirr von Nerven im Hirn untersuchen.
Dieser Chemie-Nobelpreis zeigt sehr schön die Schritte von der Grundlagenforschung zur Anwendung: Ein Forscher hat den Leuchtstoff entdeckt, ein zweiter hat daraus das "Zellfernsehen" gemacht, was der Dritte schließlich zum "Zell-Farbfernsehen" weiter entwickelt hat.
Schon einen Tag vor der Chemie war die Physik dran. Wer wurde in diesem Gebiet ausgezeichnet?
Die Japaner Yoichiro Nambu, Makoto Kobayashi und Toshihide Maskawa wurden ausgezeichnet, weil sie entdeckt haben, dass es in der subatomaren Physik nicht komplett symmetrisch zugeht, woraus folgt, dass es mindestens drei Arten von Elementarteilchen geben muss, aus denen die Materie besteht.
Das klingt sehr abstrakt ... Hat das irgendeinen Bezug zu unserem Leben?
Einen sehr großen. Die drei Forscher haben entdeckt, weshalb es überhaupt noch Materie im Kosmos gibt. Ohne Materie gäbe es keine Sterne, keine Planeten, keine Menschen – dann könnten wir jetzt auch nicht dieses Gespräch führen ...
Unmittelbar nach dem Urknall war das Universum nach heutiger Vorstellung ein einziger Strahlungsbrei. Der hat sich ausgedehnt und abgekühlt. Dabei ist aus der Strahlung Materie geworden: Und zwar Materie und Antimaterie. Antimaterie klingt immer sehr geheimnisvoll, ist aber nichts anderes als "normale" Materie nur mit entgegengesetzter Ladung. Das hat Folgen: Treffen Materie und Antimaterie aufeinander, zerstrahlen sie in einem Lichtblitz zu purer Energie. Wäre also exakt gleich viel Materie und Antimaterie entstanden, hätte sich alles zerstrahlen müssen – und uns gäbe es heute nicht.
Wir sind aber da ...
Genau. Und zwar deshalb, weil etwa ein Milliardstel mal mehr Materie als Antimaterie entstanden ist. Fast alle Materie und Antimaterie haben sich kurz nach ihrer Entstehung wieder zerstrahlt. Aber dieses Milliardstel mehr an Materie hat ausgereicht, um den ganzen Kosmos zu bilden, wie wir ihn heute sehen. Ein winziger kleiner Effekt kurz nach dem Urknall, aber mit buchstäblich weltbwegenden Folgen!
Ist das nur Theorie oder lässt sich das auch nachweisen?
Die Theorie lässt sich in großen Beschleunigern auf der Erde überprüfen, etwa dem LHC in Genf, wenn er denn im nächsten Jahr mal wieder geht ... Das Nobel-Komitee vergibt ohnehin keine Preise an reine Theorien. Die Theorie sagte bestimmte Elementarteilchen voraus, die sich tatsächlich beobachten ließen. Allerdings haben die Untersuchungen auch gezeigt, dass der von den drei Japanern beschriebene Effekt nicht allein die Existenz der Materie erklären kann. Das reizt die Forscher, beim Thema Materie/Antimaterie intensiv weiter zu forschen. Auch das soll der LHC machen. Vielleicht gibt es dann in einigen Jahren noch einen "Antimaterie-Nobelpreis"...
In Italien gab es Proteste, ein an der Forschung beteiligter Wissenschaftler sei nicht berücksichtigt worden. Ist das berechtigt?
Bei fast jedem Nobelpreis gibt es Leute, die andere Forscher für noch geeigneter halten oder die sich selbst benachteiligt sehen. Diese – im Ton etwas polternde – Kritik braucht man nicht zu ernst zu nehmen. Das Nobel-Komitee käme ohnehin in Teufels Küche, würde es Entscheidungen korrigieren oder vorher offen diskutieren. Allerdings kann man schon fragen, ob sich die Nobelpreis in dieser Art nicht langsam überleben. Es dürfen maximal drei Forscher ausgezeichnet werden – aber die Projekte werden immer größer. Wie will man beim LHC mit Tausenden beteiligten Forschern entscheiden, wer dann den Preis bekommen soll?
Das Leuchtmolekül in der Chemie lässt sich wunderbar praktisch nutzen. Gibt es für die Antimaterie auch eine alltägliche Anwendung?
Das ist reine Grundlagenforschung, die erklären soll, wie das Universum aufgebaut ist und wie es sich entwickelt hat. Natürlich lassen sich die großen Beschleuniger oft für ganz praktische Anwendungen nutzen, etwa in der Medizin oder Materialuntersuchung. Aber zunächst ist das das Erforschen der Natur aus reiner Neugier. Wer weiß, vielleicht gibt es irgend einmal eine Anwendung. Beim Leuchtmolekül hat es auch über drei Jahrzehnte gedauert. Das Universum gibt es seit fast 15 Milliarden Jahren – da können wir jetzt auch ein paar Jahrzehnte oder Jahrhunderte abwarten, bis die Antimaterie zur praktischen Anwendung kommt ...
Drei Forscher, die in den USA tätig sind, Osamu Shimomura, Martin Chalfie und Roger Tsien, haben den Chemie-Nobelpreis erhalten. Gewürdigt wurden ihre Arbeiten, die Vorgänge im Zellinneren sichtbar machen. Die brachten im wahrsten Sinne des Wortes Zellen zum Leuchten. Das sei eine so bedeutende Entdeckung, die mit der Erfindung des Mikroskops im 17. Jahrhundert vergleichbar sei, heißt es in der Begründung des Nobel-Komitees.
Wie bringt man Zellen zum Leuchten?
Osamu Shimonura hat schon in den 60er Jahren ein Protein isoliert, das eine bestimmte Quallenart im Meer grün leuchten lässt. Herr Shimonura hat dann lange an diesem Stoff geforscht. Aber der große Durchbruch gelang erst mit der Weiterentwicklung der Gentechnik. Denn in den 90er Jahren gelang es Martin Chalfie endlich, dieses Leuchtmolekül gezielt in andere Zellen einzubauen. Damit war es auf einmal möglich, Wachstumsprozesse live zu verfolgen, zuzusehen, wie Tumoren entstehen oder wann welche Gene in den Zellen aktiv sind und wo sie hinwandern. Roger Tsien schließlich hat die Methode noch weiter entwickelt und das Molekül in verschiedenen Farben leuchten lassen. Damit lassen sich die einzelnen Zellbestandteile unterschiedlich einfärben. Auf diese Weise sind auch sehr komplexe Vorgänge in den Zellen in allen Details zu verfolgen, z.B. lässt sich so das Gewirr von Nerven im Hirn untersuchen.
Dieser Chemie-Nobelpreis zeigt sehr schön die Schritte von der Grundlagenforschung zur Anwendung: Ein Forscher hat den Leuchtstoff entdeckt, ein zweiter hat daraus das "Zellfernsehen" gemacht, was der Dritte schließlich zum "Zell-Farbfernsehen" weiter entwickelt hat.
Schon einen Tag vor der Chemie war die Physik dran. Wer wurde in diesem Gebiet ausgezeichnet?
Die Japaner Yoichiro Nambu, Makoto Kobayashi und Toshihide Maskawa wurden ausgezeichnet, weil sie entdeckt haben, dass es in der subatomaren Physik nicht komplett symmetrisch zugeht, woraus folgt, dass es mindestens drei Arten von Elementarteilchen geben muss, aus denen die Materie besteht.
Das klingt sehr abstrakt ... Hat das irgendeinen Bezug zu unserem Leben?
Einen sehr großen. Die drei Forscher haben entdeckt, weshalb es überhaupt noch Materie im Kosmos gibt. Ohne Materie gäbe es keine Sterne, keine Planeten, keine Menschen – dann könnten wir jetzt auch nicht dieses Gespräch führen ...
Unmittelbar nach dem Urknall war das Universum nach heutiger Vorstellung ein einziger Strahlungsbrei. Der hat sich ausgedehnt und abgekühlt. Dabei ist aus der Strahlung Materie geworden: Und zwar Materie und Antimaterie. Antimaterie klingt immer sehr geheimnisvoll, ist aber nichts anderes als "normale" Materie nur mit entgegengesetzter Ladung. Das hat Folgen: Treffen Materie und Antimaterie aufeinander, zerstrahlen sie in einem Lichtblitz zu purer Energie. Wäre also exakt gleich viel Materie und Antimaterie entstanden, hätte sich alles zerstrahlen müssen – und uns gäbe es heute nicht.
Wir sind aber da ...
Genau. Und zwar deshalb, weil etwa ein Milliardstel mal mehr Materie als Antimaterie entstanden ist. Fast alle Materie und Antimaterie haben sich kurz nach ihrer Entstehung wieder zerstrahlt. Aber dieses Milliardstel mehr an Materie hat ausgereicht, um den ganzen Kosmos zu bilden, wie wir ihn heute sehen. Ein winziger kleiner Effekt kurz nach dem Urknall, aber mit buchstäblich weltbwegenden Folgen!
Ist das nur Theorie oder lässt sich das auch nachweisen?
Die Theorie lässt sich in großen Beschleunigern auf der Erde überprüfen, etwa dem LHC in Genf, wenn er denn im nächsten Jahr mal wieder geht ... Das Nobel-Komitee vergibt ohnehin keine Preise an reine Theorien. Die Theorie sagte bestimmte Elementarteilchen voraus, die sich tatsächlich beobachten ließen. Allerdings haben die Untersuchungen auch gezeigt, dass der von den drei Japanern beschriebene Effekt nicht allein die Existenz der Materie erklären kann. Das reizt die Forscher, beim Thema Materie/Antimaterie intensiv weiter zu forschen. Auch das soll der LHC machen. Vielleicht gibt es dann in einigen Jahren noch einen "Antimaterie-Nobelpreis"...
In Italien gab es Proteste, ein an der Forschung beteiligter Wissenschaftler sei nicht berücksichtigt worden. Ist das berechtigt?
Bei fast jedem Nobelpreis gibt es Leute, die andere Forscher für noch geeigneter halten oder die sich selbst benachteiligt sehen. Diese – im Ton etwas polternde – Kritik braucht man nicht zu ernst zu nehmen. Das Nobel-Komitee käme ohnehin in Teufels Küche, würde es Entscheidungen korrigieren oder vorher offen diskutieren. Allerdings kann man schon fragen, ob sich die Nobelpreis in dieser Art nicht langsam überleben. Es dürfen maximal drei Forscher ausgezeichnet werden – aber die Projekte werden immer größer. Wie will man beim LHC mit Tausenden beteiligten Forschern entscheiden, wer dann den Preis bekommen soll?
Das Leuchtmolekül in der Chemie lässt sich wunderbar praktisch nutzen. Gibt es für die Antimaterie auch eine alltägliche Anwendung?
Das ist reine Grundlagenforschung, die erklären soll, wie das Universum aufgebaut ist und wie es sich entwickelt hat. Natürlich lassen sich die großen Beschleuniger oft für ganz praktische Anwendungen nutzen, etwa in der Medizin oder Materialuntersuchung. Aber zunächst ist das das Erforschen der Natur aus reiner Neugier. Wer weiß, vielleicht gibt es irgend einmal eine Anwendung. Beim Leuchtmolekül hat es auch über drei Jahrzehnte gedauert. Das Universum gibt es seit fast 15 Milliarden Jahren – da können wir jetzt auch ein paar Jahrzehnte oder Jahrhunderte abwarten, bis die Antimaterie zur praktischen Anwendung kommt ...