Von Pool zu Pool

09.10.2009
Die Diktatur der öffentlich Untadligen, die Anarchie der Lüste, der Irrgarten der Gefühle, die Bedürftigkeit des Menschen, der durchs Universum streunt – das sind Themen, die John Cheever meisterhaft in seinem Band mit Kurzgeschichten beschreibt.
Man saß am Schwimmbecken der Westerhazys. Die Sonne brannte. Man trank Gin. Und Neddy Merrill traf eine Entscheidung. Er würde nach Hause schwimmen. Würde ein Schwimmbad nach dem anderen der Nachbarn und Freunde durchkraulen, bis er in seinem eigenen landete.

Eine absurde Entscheidung. Eine melancholisch absurde Geschichte – und eine der berühmtesten von John Cheever, die 1968 sogar mit Burt Lancaster in der Hauptrolle verfilmt wurde.

"Der Schwimmer" heißt die Erzählung und so heißt auch der Band mit Kurzgeschichten, der jetzt in neuer, sprachsensibler Übersetzung von Thomas Gunkel auf Deutsch vorliegt.

Cheever, den man in Amerika gern den "Tschechov der suburbs" genannt hat, schreibt mit dieser Geschichte auch ein Psychogramm der Vorortgesellschaft. Denn Neddy Merrill plaudert hier und dort mit den Schwimmbadbesitzern, deren Pools er durchquert. Vor allem trinkt er mit ihnen, bevor er sich durch die nächste Hecke zwängt. Von Schwimmbad zu Schwimmbad, von Begegnung zu Begegnung wird er betrunkener, müder, verwirrter. Aus dem schönen, kräftigen Mann wird ein zitternder, schwächelnder Alter. Der Alkohol, die körperliche Anstrengung, die Sinnlosigkeit seines Vorhabens, die leeren Gespräche – so ist das Leben, in das sich die Vorortler einzementiert haben. In diesem wohlhabenden Elend verstreichen die Jahre. Eine Saison nach der anderen. Als Neddy am Ende seiner Schwimmtour sein Haus erreicht, in dem offenbar niemand wohnt, hat er wohl auch das Ende seines Lebens erreicht.

Diese Mischung aus deftig realen und surreal schwebenden Momenten ist die betörende Kunst des John Cheever, der berühmt wurde mit der Familiengeschichte der Wapshots. Diesem fulminant lakonischen Roman, der vor phantastischen Einfällen und bissigen Beobachtungen birst.

Oft drängen Cheevers Geschichten voran, treiben den Leser vor sich her. Als sollten sie so schnell gelesen werden, wie sie vermutlich geschrieben wurden.

Seine liebsten Stories, hat Cheever einmal gesagt, seien jene, die er in weniger als einer Woche zu Papier gebracht und oft laut formuliert habe. Der Klang der Worte. Der Rhythmus der Sätze. Auch das hat ihn fasziniert.

Zum ersten Mal erschienen seine gesammelten Erzählungen im Jahre 1978 und wurden mit dem Pulitzer Preis ausgezeichnet. Vier Jahre später starb Cheever. Mit 70 Jahren. Von Alkohol und Krebs zerstört. Schon seine Mutter hatte sich zu Tode getrunken.

Der Alkohol spielt auch in seinem Werk eine wiederkehrende Rolle. Dieses Schmiermittel, das das Leben erträglicher machen, die innere Einsamkeit vernebeln soll. Genüsslich zerhämmert Cheever glatte Fassaden und entlarvt die bieder normalen Menschen dahinter als bizarre Irre.

Und doch ist Cheever - im Gegensatz etwa zu dem unerbittlich sezierenden Richard Yates- ein Literat, der immer wieder auch tröstliche Anmut herbeischreibt.

Nicht alle Geschichten sind Meisterwerke in diesem Buch. Aber die Diktatur der öffentlich Untadligen, die Anarchie der Lüste, der Irrgarten der Gefühle, die Bedürftigkeit des Menschen, der durchs Universum streunt – das sind die Themen, die Cheever meisterhaft beschreibt.

Besprochen von Gabriele von Arnim

John Cheever: Der Schwimmer. Stories
Aus dem Englischen von Thomas Gunkel
DuMont Buchverlag, Köln 2009
352 Seiten, 19,95 Euro