Von Politikern und Intellektuellen

Von Gert Loschütz |
Wann immer ich Fotos sehe, die Politiker mit Künstlern zeigen, befällt mich ein Gefühl der Peinlichkeit, meint der Schriftsteller Gert Loschütz. Ihnen sollte klar sein, dass sie gut sind für ein Bild mit den Mächtigen, ihr Einfluss aber gegen Null tendiert.
Wann immer ich Fotos sehe, die Politiker im Gespräch mit Schriftstellern und Künstlern zeigen, sei es am Rand von Empfängen oder bei der großen Einladung ins Bundeskanzleramt, befällt mich ein Gefühl der Peinlichkeit, weil es mir immer vorkommen will, als zeugten die Bilder weniger von der Durchlässigkeit eines demokratischen Gemeinwesens, in dem es selbstverständlich ist, dass die gewählten Inhaber der Macht den Austausch mit Intellektuellen pflegen, als vielmehr von der Abgeschottetheit der beiden Sphären, die auf Grund eines Gnadenerweises der ersten Sphäre für einen Moment aufgehoben ist.

Die Peinlichkeit aber rührt daher, dass ich mich der zweiten Sphäre zurechnen muss, der der Eingeladenen, deren Körperhaltung – zumindest auf diesen Fotos – wie auf der Anordnung klassischer Gemälde immer auf den Inhaber der Macht hin ausgerichtet ist. Er ist es, den ihre Blicke suchen und dem sie Kopf und Schulter entgegenneigen, während er den ruhenden Pol in der Bildmitte darstellt.

Da selbst die hartgesottensten Wort- und Kunstarbeiter diese Haltung annehmen, scheint von der Nähe der Macht eine regredierende Wirkung auszugehen: ein wenig schnurren sie alle zu Schülern zusammen, die der Einladung des Direktors zum Sonntagnachmittagstee gefolgt sind, auf dem Hinweg noch die lästerlichsten Reden geschwungen haben, dann aber, am Kuchentisch, von einer ungewohnten Schüchternheit befallen werden, die erst, wenn zu später Stunde endlich auch Wein gereicht wird, langsam einer vorsichtigen Aufmüpfigkeit weicht, die den Abstand zwischen oben und unten freilich nicht geringer erscheinen lässt, sondern – im Gegenteil – erst richtig ins Bewusstsein rückt. Weshalb es für die Selbstachtung der intellektuellen Zunft vielleicht ganz gut ist, dass sie die Einladung an den Tisch der Macht nicht zu oft erreicht.

Jedenfalls kommt es mir vor, als hätten die Berichte über Treffen von Politikern und Künstlern abgenommen, was wohl ein Indiz dafür ist, dass erstere in Zeiten, in denen es wirklich um etwas geht – und das tat es die ganze zweite Legislaturperiode über, so dass dann doch noch der Ernst einkehrte, den man in der ersten vermisste –, sehr gut auf die Garnierung mit Intellektuellen verzichten können.

Ich bin nicht gegen diese Treffen, bei denen die einen den anderen, wie es so schön heißt, das Ohr leihen, aber Autoren, Künstlern, Schauspielern sollte klar sein, dass sie gut sind für ein Foto mit dem Mächtigen in der Sonntagszeitung, ihr Einfluss auf ihn aber gegen Null tendiert. Und das ist ihnen in der Regel ja auch klar. Es bedurfte schon des gewaltigen Egos eines Günter Grass, um sich darüber Täuschungen hinzugeben. Oder war es zu Zeiten der oft beschworenen Sozialdemokratischen Wählerinitiative anders? Ja, das war es.

Eine Weile war es das. Das Bündnis kam zustande, weil sich an die Integrität der Person Willy Brandts all die Hoffnungen knüpften, die die Intellektuellen selbst hatten: eine neue, den Realitäten Rechnung tragende Ostpolitik, das Aufbrechen all der Verschorfungen, die sich während der langen Kanzlerschaft Adenauers und den kürzeren Erhardts und Kiesingers gebildet hatten, unter denen aber bereits etwas Neues pulsierte – da war etwas zurechtzurücken.

Brandt - Grass, diese öffentlich zur Schau gestellte Freundschaft schien einen historischen Moment lang die Trennung zwischen Politik und Geist aufzuheben, bis der Realitätsdruck, dem die Politik in ganz anderer Weise ausgesetzt ist als der frei flottierende Geist, die Täuschung offenbar machte. Auch diese Freundschaft war, wie sich hinterher zeigte, eine Zweckfreundschaft, nicht von Seiten Grass', aber von Seiten Brandts, für den Grass mit seinem Wahlkontor getrommelt hatte.

Und heute? Wieder steht, wenn nicht alle Anzeichen täuschen, eine Wahl bevor. Wieder leidet das Land unter Verkrustungen, wieder spürt man, wie es darunter pulsiert, wie etwas aufgebrochen und zurechtgerückt werden muss. Aber obwohl es um große Themen wie die Schaffung neuer Arbeitsplätze und den Umbau der Sozialsysteme geht, ist es keine Richtungswahl mehr wie 1969, als die Wähler mindestens so sehr mit dem Herzen wie mit dem Verstand entschieden haben. Mit dem Herzen oder, sagen wir, dem Gefühl kommt man diesmal nicht weit. Das werden auch die merken, die in verständlicher Zukunftsangst ihre Hoffnung auf die großen Vereinfacher setzen, die ihnen unter Ausnutzung alter Vorurteile einreden wollen, es gäbe ein Zurück in die Sicherheit der siebziger Jahre.

Und die Intellektuellen? Ich hoffe auf neue Bilder, auf denen sie im Kreis von Politikern mindestens so selbstbewusst aussehen wie auf den Umschlägen ihrer Bücher.

Gert Loschütz, Schriftsteller, geboren 1946 in Genthin (Sachsen-Anhalt). 1957 Übersiedlung mit den Eltern nach Dillenburg (Hessen). Von 1966 an Studium an der FU Berlin, daneben Arbeit als Verlagslektor. Seit 1970 freier Schriftsteller. Lebt in Berlin. Mitglied des P.E.N. und der Akademie für Darstellende Künste. der Deutschen Schillerstiftung. Viele Hörspiele, Theaterstücke, Fernsehspiele und Bücher (u.a.): "Eine wahnsinnige Liebe", Novelle, 1984; "Das Pfennig-Mal. Die Geschichte von Tom Courteys Ehre und Benjamin Walz Schande", Erzählung ,1987; "Flucht", Roman, 1990; "Lassen Sie mich, bevor ich weiter muß, von drei Frauen erzählen", Geschichten, 1990 (Luchterhand Verlag); "Unterwegs zu den Geschichten", Erzählungen, 1990. "Dunkle Gesellschaft", Roman, erscheint im Herbst 2005.