Von Paul Stänner

Am Schluss der Buchmesse ziehen die Zeitungen Bilanz und fassen zusammen oder versuchen andere kleine Themen zu entdecken: So die "taz" mit einem Bericht über einen Streit beim Beck-Verlag und die "FAZ" über die bunten Abende am Rande der Messe. Außerdem: eine nicht so richtig zu deutende Rezension einer Woyzeck-Verfilmung im "Tagesspiegel" und die Besprechung einer neuen US-Soap in der "Welt".
Die Frankfurter Buchmesse ist zu Ende, Zeit für einige Nachbemerkungen: die taz referiert genüsslich den unfeinen Streit der Brüder Hans Dieter und Wolfgang Beck, Eigentümer des C.H.Beck Verlages, die sich auf einer Podiumsdiskussion über die Rolle des Verlages in der Nazizeit in die Wolle bekamen und einander öffentlich demontierten. Die FAZ hingegen wendet sich erkennbar irritiert von einem prachtvollen Bildband ab, in dem nur Ansichten von tierischen Hinterteilen präsentiert werden. Was schön ist bei Kate Moss, kann auch bei Käthes Mops nicht hässlich sein, dachten wohl die Macher. Aber als seriöse Buchmessenbesucher fragen wir uns besorgt: Wie groß wird die Zielgruppe so speziell interessierter Caniphiler wohl sein? Und kommt der Verleger auf sein Geld?

Gerhard Stadelmaier in der FAZ hat auch ein seriöses Thema: Er wütet mit kaum zu bändigendem Furor - Zitat:

"Am Buchmessenfreitag, wenn sich überall im nächtlich neblichten Frankfurt ... die literarische Welt höchstprozentig abfüllen lässt - da will das Schauspiel Frankfurt nicht zurückstehen", argwöhnt er.

Das Theater hat offenbar eine Edel-Abfüll-Station als Bühnenbild aufgebaut, das Personal auf der Bühne agiert zumeist wie volltrunken und in einer wüsten Orgie begriffen, und - so Stadelmaier.

"Dabei sind alle megaschlecht gelaunt, trübe, tranige, wie durch Whiskey-Spülwasser gezogene Cocktailleichen auf Untoten-Urlaub."

Das ist unbestreitbar eine spektakuläre Zusammenstellung von Hinrichtungs-Vokabeln und wenn man am Ende des Artikels erfährt, dass sie sich auf die Inszenierung von Molieres "Menschenfeind" bezieht, wird deutlich, dass Stadelmaier einen grauenvollen Abend durchlebt haben muss:

"Haben die nicht alle Tassen im Bar-Schrank?" fragt er sich - und Frankfurt.

Aber ein Schönes hatte Stadelmaiers Wutausbruch doch: Bislang kannten wir nur den Ausdruck "street credibility", der beschreibt, welch ein Maß an Respekt ein Getto Kid beanspruchen kann. Dank Gerhard Stadelmaiers Abend in der Hochkultur kennen wir nun auch die Kategorie der "Sprit Credibility", mit der Kreative auf Partys ihre Position im Kulturbetrieb markieren. Feuilleton lesen bildet - manchmal.

Joachim Huber widmet sich im Tagesspiegel der Woyzeck-Verfilmung von Nuran David Calis, die am Montag auf ARTE läuft. Calis hat Büchners Drama in den Berliner Wedding verlegt, aus dem Militärmilieu des Originals hat er die Welt der Arbeitslosen, der Nutten, der Groß- und Kleinkriminellen gemacht. Huber schreibt:

"Büchner ist relevant, dito dieser 'Woyzeck'. Die wenigen Handlungsorte visualisieren in ihrer Begrenztheit die mentale Enge der Figuren. Es ist ein Entkommen nicht drin. Sound, Parallelmontagen, Traumpassagen schauen in diesen Franz hinein, der in die Welt schaut und sie nicht dechiffrieren kann."

Es ist nicht erkennbar, ob Huber sich auf die Ausstrahlung freut.

Die WELT freut sich auf "Scandal" - Washington, der politische Sumpf, ist wieder einmal Gegenstand einer amerikanischen Fernsehserie. Im Zentrum steht eine Frau, die für die Elite in Politik und Wirtschaft die schmutzigen Dinge beseitigt, die einen Skandal hervorrufen könnten. Hannes Stein nennt die Serie einen Kitschroman und bekennt sich zum niedrigen Niveau:

"Großartig wird es aber dadurch, dass dieser Kitschroman sich in einem Nest voller Giftschlangen abspielt."

In der taz schreib Harald Keller:

"Niemand hier ist ohne Schuld. Lügen gehören zum Geschäft, aber auch Misshandlungen und Mord."

Zum Beraterstab der Serie, so die taz, gehört eine Judy Smith, sie ist das Vorbild für die Hauptfigur und war unter George Bush sen. selbst im Machtapparat tätig. Wir vermuten, diese Serie kann ganze Politikseminare ersetzen. Warum? In einer Episode geht es um einen kleinen Mitarbeiter der NSA, der öffentlich machen will, dass der Geheimdienst mit einer speziellen Software ganz Amerika abhört. Den Namen Edward Snowdon hatte zum Zeitpunkt der Ausstrahlung in den USA noch niemand gehört.
So gesehen, gewinnt der Satz von Hannes Stein in der WELT unbeabsichtigt eine tiefere Bedeutung:

"Es macht diebischen Spaß, seine Lebenszeit mit diesem höheren Quatsch zu vergeuden."