"Von naiver Dummheit zum Erfolg"

Von Christian Geuenich |
Dass Enthusiasmus nicht zwangsläufig zum wirtschaftlichen Erfolg führt, musste Michael Lohrmann bereits nach wenigen Ausgaben seiner Musikzeitschrift "Visions" erfahren. Als er vor 15 Jahren das Blatt auf den Markt brachte, war es ein Flop. Doch Lohrmann gab nicht auf. Mittlerweile verkauft sich <papaya:link href="http://www.visions.de/" text="&quot;Visions&quot;" title="Visions" target="_blank" /> pro Monat fast 40.000 Mal.
"Also ich glaub, dass ich ein ziemlich bodenständiger Mensch bin. Ich bin sicherlich auch ziemlich ehrgeizig, weil wenn ich das nicht wäre, dann würd's diese Firma wahrscheinlich in der Form auch nicht geben, ich bin mit Sicherheit ein Arbeiter, weil das was sehr Bodenständiges hat. Ich bin bestimmt auch noch ein Chaot, fernab davon wirklich gut organisiert zu sein."

Vor allem der Unbeirrbarkeit und Leidenschaft des Blattmachers Michael Lohrmann ist es zu verdanken, dass es den Dortmunder Verlag mit der Musikzeitschrift "Visions" und dem Interview-Magazin Galore überhaupt gibt.

Vor 15 Jahren hat der Autodidakt mit zusammengesparten und geliehenen 20.000 Mark die erste "Visions"-Ausgabe für Alternative und Indie Rock an die Kioske gebracht. Heute verkauft sich das Heft jeden Monat fast 40.000 Mal, damals war es allerdings ein unglaublicher Flop. Amüsiert und fasziniert zugleich erzählt der 1,88 Meter große, drahtige 35-Jährige mit den kurzen, schwarzen Locken von der Zeit, als er wegen Zahlungsunfähigkeit immer wieder die Druckereien gewechselt hat, bis sie nicht mehr geliefert haben.

"Da kommt man sich fast vor wie ein Trinker, der irgendwo nen Deckel in der Kneipe hat und einfach zur nächsten geht und so war das bei uns damals auch ... und wir können von Glück reden, dass die jeweiligen Gläubiger so tolerant reagiert haben, um uns die Möglichkeit zu geben, dann halt weiter zu existieren."

Rückblickend schüttelt er den Kopf über seine damalige Naivität.

"Der Grat zwischen Mut und Dummheit ist ein ziemlich schmaler, von daher würd ich sagen, dass es tendenziell wohl eher Dummheit war – hat sich damals wie Mut angefühlt, aber war wohl eher Dummheit."

Obwohl er fast vier Jahre lang Gläubiger und einen immensen Schuldenberg im Nacken hatte, möchte er diese Zeit nicht missen.

"Das ist glaub ich so das Grundlegende, was ich daraus mitgenommen habe, weil ich gemerkt habe, dass bei allem, was man macht, egal wie erfahren oder wie alt man ist oder welches Know-how man hat, ist der Enthusiasmus und die Leidenschaft das Wichtigste."

Früher hat ihn seine Leidenschaft für Musik angetrieben – drei bis vier Mal in der Woche hat er für Konzerte alles stehen und liegen lassen. Heute geht er nur noch etwa zwei Mal im Monat zu Live-Bands, trifft sich lieber mit Freunden, verbringt gerne einen Abend mit seiner Freundin zu Hause, guckt einen guten Film, liest ein Buch oder hört Musik, beispielsweise seine erste gekaufte Schallplatte.

"Das war halt Pink Floyd und das ist auch nach wie vor immer noch meine absolut größte Band, die ich kenne. Dann hatte ich eine sehr lange Phase, wo ich für Heavy Metal gebrannt habe, das ist heute immer noch so, allerdings für das, was halt altbacken ist, mit dem ich aufgewachsen bin."

Um schnelles Geld für eine eigene Wohnung und viele Schallplatten zu verdienen, hat Lohrmann zunächst eine Lehre bei der Post in seiner Heimatstadt Hamm in Westfalen angefangen, nach einem Jahr aber schon wieder geschmissen. Es folgten kurze Episoden als Mitherausgeber einer Musik-Gratiszeitung und als Konzertveranstalter, bevor er mit einem Freund einen fotokopierten und zusammengetackerten "Visions"-Vorläufer für drei Mark auf Konzerten verkauft hat.

Aus dem naiven Heavy-Metaller mit den langen Haaren ist ein erfolgreicher Geschäftsmann mit 25 festen Mitarbeitern geworden. Allerdings ohne Anzug, sondern in schwarzem T-Shirt, grauer Cordhose und blau-roten Sneakers. Die Zeit des Rock’n'Roll hat auch andere Spuren hinterlassen.

"Also mein gefühltes Alter ist ein bisschen älter als 35, weil ich zum einen intensiv gelebt habe und weil ich halt auch schon ziemlich viel erlebt habe. Ich will jetzt nicht kokettieren, aber wenn man den Job jetzt seit 15 Jahren in relativ vorderster Front macht mit allen Höhen und Tiefen, dann kriegt man halt ein paar Sachen mit."

2003 hat der Macher mit den großen, wachen Augen das inzwischen genauso erfolgreiche Interview-Magazin "Galore" entwickelt – wie auch bei der "Visions"-Gründung aus dem Bauch heraus, als eine Zeitschrift, die er selbst gerne lesen würde. Der Stress hat seither noch etwas zugenommen. Zeit, selbst Interviews zu führen, hat er zwar keine mehr, aber der Blattmacher fühlt sich wohl beim telefonieren, Angebote schreiben, Anzeigen verkaufen, koordinieren und organisieren.

"Wenn ich hier im Büro bin und es ist nicht hektisch, fühl ich mich schnell unwohl, weil ich dann das Gefühl habe, meine Zeit zu vertrödeln, wenn ich hier bin, dann muss es auch knallen. Wenn man zu Hause ist, ist das natürlich eine andere Geschichte, ... aber Ruhe hat ja auch was mit Genuss zu tun, und da ist zum Beispiel auch Spazierengehen eine gute Antwort, weil man dadurch loslassen kann, den Kopf ein bisschen freikriegt, ein bisschen runter kommt."

Um sich außerhalb des Büros wohl zu fühlen, braucht Lohrmann keine künstliche Großstadthektik. Jemals aus Dortmund wegzuziehen, ist für den Lokalpatrioten undenkbar.

"Für mich war Dortmund immer die Traumstadt, und das ist es immer noch... Da seh ich ne große Identifikation in meinem Denken, in meiner Art und Weise zu leben, ich mag den Menschenschlag, der hier ist, ich mag die Bodenständigkeit der Leute, das sind alles Faktoren, die ich sehr angenehm finde."

Außerdem ist der leidenschaftliche Fan von Borussia Dortmund fußballverrückt. Er hat nicht nur eine Dauerkarte, sondern plant auch seinen Urlaub nach Bundesliga-Saison und Weltmeisterschaft und nicht nach Erscheinungsdatum seiner Zeitschriften. Neben Fußball und Arbeit sind ihm Freundschaften das allerwichtigste, sie sind Konstanten, die sich in seinem Leben nicht verändern sollten – ganz im Gegensatz zu seiner Schwäche.

"Ich stehe nach wie vor viel zu spät auf, das stört mich ganz immens. Neun, halb zehn, das ist keine gute Uhrzeit, weil da hat der Tag eigentlich schon richtig begonnen."

Der Spätaufsteher hat trotzdem viel geschafft, worauf er eigentlich stolz sein könnte. Lohrmann wägt ab, lehnt sich in seinem Schreibtischstuhl weit zurück und schüttelt den Kopf.

" "Wenn man stolz ist, neigt man vielleicht auch dazu, selbstgefällig zu werden und sich in einem gewissen Rahmen auszuruhen und da kann Stolz sehr schnell blenden, weil Stolz dann auch sagen kann, Mensch du hast so einen super Job gemacht, Mensch, damals so ein kopiertes Fanzine, jetzt so ein Magazin und noch ein Magazin, du bist so super, und so tick ich nicht, das ist nicht meins."