Von Maximilian Steinbeis

Die "Süddeutsche Zeitung" porträtiert Muammar al-Gaddafi als Staatsterroristen. Die "FAZ" schätzt den Gewaltverzicht der baskischen ETA ein. Heiter wird es zum Schluss: Die "WELT" begleitet das bayerische Staatsorchester nach Rom und erfährt, warum Singen im Vatikan verboten ist.
An Donaldisten herrscht im deutschen Feuilleton, der FAZ sei Dank, kein Mangel. Tintinologen indessen sind hierzulande spärlicher gesät, weshalb die WELT für ihren Tim-und-Struppi-Artikel anlässlich Steven Spielbergs neuer Verfilmung der Abenteuer des stupsnasigen Reporters mit Hund auf einen Briten zurückgreifen muss:

Wie Tintin zu Tim wurde, erklärt Michael Farr, Hergé-Biograf und laut WELT einer der bekanntesten Tintinologen, trotz solches versprechender Überschrift nicht, lässt uns dafür aber an der Überfülle seiner Kenntnis tintinologischer Minutiae teilhaben:

"Das Vorbild für den ungewöhnlichen, aus einem Steuerruder gefertigten Kronleuchter in Haddocks Wohnung (…),"

erfahren wir beispielsweise,

"findet sich auf einer Postkarte, die ein Kollege in jenem Sommer aus dem Urlaub an Hergé schickte."

Und für den zerstreuten Professor Bienlein, so Michael Farr weiter, stand der Schweizer Physiker Auguste Piccard Modell, den Hergé des Öfteren auf den Straßen Brüssels sah, wo dieser eine Professur hatte.

Ein Schurke, den sich auch Hergé nicht irrwitziger hätte ausdenken können, war der libysche Diktator Muammar al-Gaddafi, dessen schmähliches Kanalröhren-Ende Willy Winkler in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG zum Anlass nimmt, die Ära des von Gaddafi so energisch betriebenen Staatsterrorismus noch einmal an uns vorbeiziehen zu lassen.

"Gaddafi war der letzte große Befreiungstheologe,"

behauptet Winkler kühn,

"und in seiner Bedeutung nur mit dem längst heiliggesprochenen Che Guevara zu vergleichen."

Das klingt apologetischer, als es gemeint ist, denn tatsächlich will Winklers Artikel die Kumpanei der Mächtigen der Welt mit dem Impressario des Terrors und Operetten-Guerillero anklagen: Für einige Weltpolitiker, empfiehlt der SZ-Autor,

"wäre eher eine stille Andacht für den toten Revolutionsführer angemessen. Vielleicht versammeln sich ja die Herren Schily, Schröder, Blair, Berlusconi, Putin und Sarkozy gemeinsam mit Condoleeza Rice an einem geheimen Ort und gedenken des Mannes, dem sie beizeiten so eifrig den Hof machten."

Der Zufall, dass just Tage nach Gaddafis Tod die von ihm jahrelang finanzierte baskische Terrororganisation ETA verkündet, der Gewalt abschwören zu wollen, ist auch Winkler nicht entgangen. Zum Thema wird das angebliche Ende des baskischen Terrorismus aber anderenorts gemacht: In der WELT entdeckt Marko Martin in der ETA-Botschaft

"etwas zutiefst Deprimierendes (…): Eine Bande, verantwortlich für mehr als 800 Morde, erklärt – in altgewohnt kalter, bürokratischer Diktion – das Ende ihres verbrecherischen Tuns, ohne auch nur eine Silbe des Mitgefühls für die Opfer zu finden."

Auch in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG fragt Paul Ingendaay:

"Was zuckt noch unter der Kapuze?"

und rät der spanischen Politik, dem Frieden zu misstrauen und

"sich jeder weiteren Versöhnungsmetaphysik zu enthalten. Nicht nur jetzt, sondern immer und grundsätzlich."

Zuletzt und zur Aufheiterung blättern wir in der WELT ein paar Seiten zurück und finden dort einen Bericht von Lucas Wiegelmann: Der war dabei, als das Bayerische Staatsopernorchester auf eigene Kosten nach Rom fuhr, der Ehre wegen, dort dem Papst etwas vorspielen zu dürfen.

"Der Papst kommt aus Bayern, und er liebt klassische Musik,"

begründet der WELT-Autor das Projekt lapidar.

"Diese Konstellation wird es wohl die nächsten paar Jahrhunderte nicht mehr geben."

So geht es fröhlich weiter: Man erfährt, dass die Audienzhalle von Papst Paul VI. erbaut wurde, dass dieser

"in Deutschland wegen seines Verhütungsverbots Pillen-Paul genannt"

wurde, und dass

"Vatikankonzerte (…) sehr beliebt bei den Diplomaten sind, weil sie dann ihren Dienst-Mercedes auf dem Petersplatz parken dürfen."

Nach dem Ende des Konzerts, berichtet der Reporter, habe der Chor vor lauter Begeisterung noch vor Pillen-Pauls Halle a capella singen wollen, (…) das

"Locus iste" von Bruckner (…): "Dieser Ort ist von Gott geschaffen, ist unschätzbares Geheimnis, kein Fehl ist an ihm." Der Chor kommt aber nicht weit, eine Ordensschwester bricht die spontane Versammlung ab. Sie sagt: "Singen ist verboten im Vatikan."

Wir empfehlen, den Autor Wiegelmann zum Ehren-Benediktologen zu ernennen.