Von Maximilian Steinbeis
In der zurückliegenden Woche beschäftigten sich die überregionalen Tagezseitungen vor allem mit der Fußball-WM der Frauen, mit dem Einmarsch der Wehrmacht in der Sowjetunion vor 70 Jahren, aber auch mit Leuchtkäfern und Windrädern.
Die deutschen Zeitungen kennen in den Tagen vor dem Anpfiff nur ein Thema: Die Fußball-Weltmeisterschaft der Frauen. Ehrlich, ist das so? Doch, doch. Zur Erinnerung: Wir sind hier im Feuilleton. Bei den Intellektuellen. Und die können von dem paradoxen Schauspiel eines von elf Frauen aufgeführten Männerrituals nicht genug bekommen. In der ZEIT stellte Roger Willemsen die bedenkenswerte Frage:
"Hat man je eine Frau gesehen, die nach dem Torschuss die Nase vom Schnodder befreite?",
und er wäre nicht Roger Willemsen, wenn er darauf nicht folgende Antwort gäbe:
"Die Frauen (…) sind es satt, ihren Sport dauernd geschlechtlich definiert zu sehen. Sie möchten so eigenständig verstanden werden wie das Damentennis, das allerdings auch nicht gerade ein Massenpublikum findet."
Auch in der WELT übte Hannelore Schlaffer am Samstag den männlichen Blick auf dieses weibliche Sportereignis:
"Diese Körper räkeln sich nicht im Arm eines Mannes, sondern rollen übereinander und hechten über den Ball. Die weiblichen Körper werden nicht gepflegt, sondern geschunden."
Und darin liegt aus Sicht der Welt-Autorin auch der Unterschied zum Damentennis, wo sich den männlichen Sportschau-Guckern eine einzelne Athletin präsentiert:
"22 Frauen auf einen Schlag – was solle ein Mann mit ihnen anfangen, noch dazu, wenn sie nur miteinander, und dies nicht einmal auf die freundlichste Weise, beschäftigt sind."
In der NEUEN ZÜRCHER ZEITUNG vom Samstag zitierte indessen Joachim Güntner die Ethnologin Almut Sülzle mit folgender Beobachtung:
"Fußballspieler sind Zicken; ihre Methoden, den Gegner zu stoppen, sind hinterhältig: Sie ziehen am Trikot, kneifen und stellen ein Bein, wenn niemand hinschaut (…) vornerum die Regeln einhalten und hintenrum betrügen: typisch Mädchen eben."
In der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG vom Freitag kam endlich jemand zu Wort, der über das weibliche Fußballspielen in der ersten Person berichten kann. Und siehe: Frauenfußball ist nicht nur Frauenfußball, sondern…: Fußball.
"Ich war ein dünnes Hemd von einem Mädchen, als ich zum Fußball kam","
schreibt Swantje Karich, sonst in der FAZ-Redaktion für Kunst zuständig.
""Die Nationalmannschaften bei der Weltmeisterschaft spielen für mich und alle Frauen und Mädchen, für die Fußball Freiheit bedeutet. Wenn sie auf den weiten, grünen Platz gehen und die Stollen leicht in die Fußsohle drücken, dann sollten sie wissen: Auch sie sind noch Pioniere (…)."
Fußball mit Krieg zu vergleichen ist eine dieser Dinge, die im Kontext des Frauenfußballs unpassend erscheinen, und deshalb verzichten wir auf jede Überleitung und springen gleich zum anderen Thema, das viel Platz einnimmt in den Feuilletons der Woche: In der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG vom Dienstag nahm Michael Moorstedt eine Ausstellung in Darmstadt zum Anlass, darüber nachzudenken, wie der Krieg zu uns ins Wohnzimmer kommt.
"Durch YouTube und Twitter wird der Krieg wieder sichtbar," schreibt der SZ-Autor. "Gaukelten die Satellitenbilder und Überblicks-Fotografien noch vor einigen Jahren ein übersichtliches Schlachtfeld vor, ist der Blick darauf heute individualisiert. Der Betrachter nimmt nicht mehr die Perspektive der Smart Bombs ein. Sondern die des einzelnen Soldaten."
Für die FRANKFURTER ALLGEMEINE sieht die Zukunft schon wieder anders aus. In der Montagsausgabe prophezeite Jörg Wittkewitz:
"Im neuen Krieg werden nicht die Schlachtfelder Entsetzen hervorrufen, sondern die Folgen der leisen digitalen Attacken: Märkte brechen zusammen."
In der FRANKFURTER ALLGEMEINEN SONNTAGSZEITUNG fragen Alard von Kittlitz und Harald Staun indessen, warum beim Thema Cyberwar
"alle so laut schreien," und geben zur Antwort: "Weil sie Zeitungen verkaufen wollen. Oder Software. (…) Schon längst ist die Vorstellung eines cybermilitärischen Komplexes keine Verschwörungstheorie mehr, weshalb oft genau jene Experten die größte Panik verbreiten, die versprechen, vor den Gefahren schützen zu können."
In der Vergangenheitsform kommt der Krieg in fast allen Zeitungen vor: Der Einmarsch der Wehrmacht in die Sowjetunion jährt sich in dieser Woche zum 70. Mal. Während die meisten das Übliche tun und Hergang und Hintergründe des Überfalls in Erinnerung rufen, kommt der TAZ das Verdienst zu, die ungeheuerlichen Folgen des Einmarschs beim Namen zu nennen:
"Von den 3 Millionen sowjetischen Soldaten, die die Wehrmacht im Sommer 1941 gefangen nahm, waren 2 Millionen im Februar 1942 tot","
schreibt Stefan Reinecke.
""2011 gibt es in Deutschland hier einen Gedenkstein an einem Bahnhof, dort existiert ein kleines Denkmal auf einem Ex-Stalag-Gelände. (…) Aber nichts, was die Größe des Verbrechens ahnen lässt. Kein Datum, kein Ort, keine Erinnerung."
Zu guter Letzt müssen wir an dieser Stelle die Institution des NZZ-Feuilleton-Aufmachers feiern, diese ideosynkratischen, über alle Erwartungen an Aktualität und Zeiterklärung souverän hinweggehenden Texte, von denen uns die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG in dieser Woche gleich zwei besonders schöne Exemplare präsentiert. Am Freitag beschwor der Biologe und Wissenschaftsphilosoph Andreas Diethelm eine besondere Art mittsommerlicher Romantik:
"Der Schein der Taschenlampe (…) wirft Licht auf ein Geschehen, das gemeinhin unseren Augen verborgen bleibt, auf den Liebestaumel eines Glühwürmchenpaares. Natürlich wird das Kunstlicht gleich wieder ausgeknipst. Wir wollen die geglückte Begegnung nicht länger stören, wenn wir schon in den Flugraum des Kleinen oder Zentraleuropäischen Leuchtkäfers, Lamprohiza splendidula, eingedrungen sind."
Am Mittwoch beschrieb der Schriftsteller Georg Klein, was passiert, wenn man einem der in seiner ostfriesischen Heimat überreichlich vorkommenden Windräder zu nahe kommt:
"Es genügt, die Hände auf die Rundung des Rumpfs zu legen und dann, entlang an dem sich verjüngenden Mast, nach oben zu schauen. Der Rest geschieht von selbst. Schon hält der Himmel den Atem an. Die eben noch windgetriebenen Wolken stehen still. Denn unwillkürlich überträgt das Auge die Bewegung. Und schon fällt einem das anmutige Ungetüm, mit heftig rudernden Propellern, in einem endlos langen, in einem Furcht und Lust erregenden Riesenschritt entgegen."
"Hat man je eine Frau gesehen, die nach dem Torschuss die Nase vom Schnodder befreite?",
und er wäre nicht Roger Willemsen, wenn er darauf nicht folgende Antwort gäbe:
"Die Frauen (…) sind es satt, ihren Sport dauernd geschlechtlich definiert zu sehen. Sie möchten so eigenständig verstanden werden wie das Damentennis, das allerdings auch nicht gerade ein Massenpublikum findet."
Auch in der WELT übte Hannelore Schlaffer am Samstag den männlichen Blick auf dieses weibliche Sportereignis:
"Diese Körper räkeln sich nicht im Arm eines Mannes, sondern rollen übereinander und hechten über den Ball. Die weiblichen Körper werden nicht gepflegt, sondern geschunden."
Und darin liegt aus Sicht der Welt-Autorin auch der Unterschied zum Damentennis, wo sich den männlichen Sportschau-Guckern eine einzelne Athletin präsentiert:
"22 Frauen auf einen Schlag – was solle ein Mann mit ihnen anfangen, noch dazu, wenn sie nur miteinander, und dies nicht einmal auf die freundlichste Weise, beschäftigt sind."
In der NEUEN ZÜRCHER ZEITUNG vom Samstag zitierte indessen Joachim Güntner die Ethnologin Almut Sülzle mit folgender Beobachtung:
"Fußballspieler sind Zicken; ihre Methoden, den Gegner zu stoppen, sind hinterhältig: Sie ziehen am Trikot, kneifen und stellen ein Bein, wenn niemand hinschaut (…) vornerum die Regeln einhalten und hintenrum betrügen: typisch Mädchen eben."
In der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG vom Freitag kam endlich jemand zu Wort, der über das weibliche Fußballspielen in der ersten Person berichten kann. Und siehe: Frauenfußball ist nicht nur Frauenfußball, sondern…: Fußball.
"Ich war ein dünnes Hemd von einem Mädchen, als ich zum Fußball kam","
schreibt Swantje Karich, sonst in der FAZ-Redaktion für Kunst zuständig.
""Die Nationalmannschaften bei der Weltmeisterschaft spielen für mich und alle Frauen und Mädchen, für die Fußball Freiheit bedeutet. Wenn sie auf den weiten, grünen Platz gehen und die Stollen leicht in die Fußsohle drücken, dann sollten sie wissen: Auch sie sind noch Pioniere (…)."
Fußball mit Krieg zu vergleichen ist eine dieser Dinge, die im Kontext des Frauenfußballs unpassend erscheinen, und deshalb verzichten wir auf jede Überleitung und springen gleich zum anderen Thema, das viel Platz einnimmt in den Feuilletons der Woche: In der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG vom Dienstag nahm Michael Moorstedt eine Ausstellung in Darmstadt zum Anlass, darüber nachzudenken, wie der Krieg zu uns ins Wohnzimmer kommt.
"Durch YouTube und Twitter wird der Krieg wieder sichtbar," schreibt der SZ-Autor. "Gaukelten die Satellitenbilder und Überblicks-Fotografien noch vor einigen Jahren ein übersichtliches Schlachtfeld vor, ist der Blick darauf heute individualisiert. Der Betrachter nimmt nicht mehr die Perspektive der Smart Bombs ein. Sondern die des einzelnen Soldaten."
Für die FRANKFURTER ALLGEMEINE sieht die Zukunft schon wieder anders aus. In der Montagsausgabe prophezeite Jörg Wittkewitz:
"Im neuen Krieg werden nicht die Schlachtfelder Entsetzen hervorrufen, sondern die Folgen der leisen digitalen Attacken: Märkte brechen zusammen."
In der FRANKFURTER ALLGEMEINEN SONNTAGSZEITUNG fragen Alard von Kittlitz und Harald Staun indessen, warum beim Thema Cyberwar
"alle so laut schreien," und geben zur Antwort: "Weil sie Zeitungen verkaufen wollen. Oder Software. (…) Schon längst ist die Vorstellung eines cybermilitärischen Komplexes keine Verschwörungstheorie mehr, weshalb oft genau jene Experten die größte Panik verbreiten, die versprechen, vor den Gefahren schützen zu können."
In der Vergangenheitsform kommt der Krieg in fast allen Zeitungen vor: Der Einmarsch der Wehrmacht in die Sowjetunion jährt sich in dieser Woche zum 70. Mal. Während die meisten das Übliche tun und Hergang und Hintergründe des Überfalls in Erinnerung rufen, kommt der TAZ das Verdienst zu, die ungeheuerlichen Folgen des Einmarschs beim Namen zu nennen:
"Von den 3 Millionen sowjetischen Soldaten, die die Wehrmacht im Sommer 1941 gefangen nahm, waren 2 Millionen im Februar 1942 tot","
schreibt Stefan Reinecke.
""2011 gibt es in Deutschland hier einen Gedenkstein an einem Bahnhof, dort existiert ein kleines Denkmal auf einem Ex-Stalag-Gelände. (…) Aber nichts, was die Größe des Verbrechens ahnen lässt. Kein Datum, kein Ort, keine Erinnerung."
Zu guter Letzt müssen wir an dieser Stelle die Institution des NZZ-Feuilleton-Aufmachers feiern, diese ideosynkratischen, über alle Erwartungen an Aktualität und Zeiterklärung souverän hinweggehenden Texte, von denen uns die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG in dieser Woche gleich zwei besonders schöne Exemplare präsentiert. Am Freitag beschwor der Biologe und Wissenschaftsphilosoph Andreas Diethelm eine besondere Art mittsommerlicher Romantik:
"Der Schein der Taschenlampe (…) wirft Licht auf ein Geschehen, das gemeinhin unseren Augen verborgen bleibt, auf den Liebestaumel eines Glühwürmchenpaares. Natürlich wird das Kunstlicht gleich wieder ausgeknipst. Wir wollen die geglückte Begegnung nicht länger stören, wenn wir schon in den Flugraum des Kleinen oder Zentraleuropäischen Leuchtkäfers, Lamprohiza splendidula, eingedrungen sind."
Am Mittwoch beschrieb der Schriftsteller Georg Klein, was passiert, wenn man einem der in seiner ostfriesischen Heimat überreichlich vorkommenden Windräder zu nahe kommt:
"Es genügt, die Hände auf die Rundung des Rumpfs zu legen und dann, entlang an dem sich verjüngenden Mast, nach oben zu schauen. Der Rest geschieht von selbst. Schon hält der Himmel den Atem an. Die eben noch windgetriebenen Wolken stehen still. Denn unwillkürlich überträgt das Auge die Bewegung. Und schon fällt einem das anmutige Ungetüm, mit heftig rudernden Propellern, in einem endlos langen, in einem Furcht und Lust erregenden Riesenschritt entgegen."