Von Maximilian Steinbeis

Die "Welt" berichtet über einen Peter-Handke-Blog im Internet, der "Tagesspiegel" erkundet die schwäbische Demonstrantenseele und Thilo Sarrazin beschäftigt weiter die Feuilletons.
"Echtes Handketum": Dergleichen seinen Lesern anzubieten muss man sich als Feuilleton-Redaktion erst einmal trauen. An Lesern hat der Dichter Peter Handke nicht mehr viele, spätestens seit er als Apologet serbischer Völkermörder verschrien ist, behauptet jedenfalls die Tageszeitung DIE WELT:

"Handke war bis Ende der Siebziger richtig hip, ein echter Star des Literaturbetriebs. Dann verschrieb er sich der Innerlichkeit. Und in den Neunzigern kam Serbien."

Von Handkes Schriftsteller-Kollegen Helmut Krausser stammt der Vorschlag, "Du Handke-Leser!" als neues Schimpfwort zu etablieren. WELT-Autor Marc Reichwein hat sich auf die Suche nach ihm gemacht, nach dem Handke-Leser, und hat ihn gefunden: in Gestalt eines Bloggers, der sich Leben und Werk des Kärntner Dichters zu seinem Gegenstand erkoren hat.

Und siehe: Der Mann stellt sich als "rheinisch-frohnaturiger Gesprächspartner" heraus, "ohne auch nur einen Hauch von Handke-Esoterik".

Kenntnisreich und gründlich sei der Handke-Blog, "anti-süffisant, anti-alarmistisch, einfach angenehm nüchtern", was dem WELT-Autor das Bekenntnis abnötigt: "Die knallharte Dichotomie zwischen Laien-Lesern und Profi-Kritikern, die uns die Branche noch vor Jahren einbläuen wollte, steht nicht mehr unangefochten."

Branche, was für eine Branche? Das Feuilleton selbst natürlich, und das hat in diesen Tagen einen anderen Buchautor auf dem Kieker, Thilo Sarrazin nämlich, der freilich, anders als Handke, weder Literatur verfertigt noch sich augenblicklich über einen Mangel an Lesern zu beklagen braucht.

Über Sarrazins Thesen zur Erblichkeit von Intelligenz und der angeblich üblen Wirkung muslimischer Immigration auf den Kollektiv-IQ in Deutschland war in den vergangenen Tagen schon viel zu lesen, jetzt aber knöpfen sich die Feuilletonisten Sarrazins Quellen vor.

"Die größte Gefahr für eine gesellschaftliche Verdummung besteht darin, dass soziale Herkunft für Schul- und Berufserfolg wichtiger ist als Intelligenz und Begabung", wehrt sich in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG die Zürcher Psychologin Elsbeth Stern gegen Sarrazins Berufung auf ihre Forschung.

In der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG zerlegen Andrian Kreye und Christian Weber Sarrazins vorgebliche naturwissenschaftliche Fundierung seiner Thesen: "Das Perfide an Sarrazins Argumentation: viele Details sind korrekt, nur das Gesamtbild stimmt nicht." Intelligenz sei kein klar definierter Begriff, und das Zusammenwirken von Erbgut und Umwelt bei ihrer Weitergabe von einer Generation zur nächsten ein hoch komplexer Vorgang.

Der gelungenste Versuch, diese Komplexität in ein schönes, einfaches Bild zu fassen, findet sich in der TAGESZEITUNG: Gene, schreibt Kolumnist Matthias Lohre, "verhalten sich (…) ähnlich den Tasten einer Schreibmaschine: Sie mögen vorhanden sein, aber ob und wann sie zum Zuge kommen, hängt auch von äußeren Einflüssen ab. Und ob sie dann in Kombination mit anderen Tasten das Wort 'großer Diktator' formen oder 'unterbezahlter Redakteur', ist eine noch kompliziertere Angelegenheit. Die Antwort darauf kennt nicht einmal Thilo Sarrazin." Wir wünschen der TAZ an dieser Stelle noch herzlicher als sonst viele, möglichst intelligente Leser.

Apropos großer Diktator: Der Schwaben-Protest gegen die Deutsche Bahn und ihre Baupläne am Stuttgarter Hauptbahnhof bleibt gleichfalls nicht unbemerkt in den Feuilleton-Redaktionen. So unternimmt der Berliner TAGESSPIEGEL den Versuch, seinen Lesern die südwestdeutsche Seelenlage durch einen Ortskundigen erklären zu lassen, durch Joe Bauer nämlich, Kolumnist der Stuttgarter Zeitung.

"Seit jeher ist in der schwäbischen Seele nicht nur Platz für konservative Bescheidenheit." Die von "auswärtigen Reportern" verbreiteten Klischees von 'rechtschaffenen Bürgern' im 'sauberen' Stuttgart, der "Spott über schwäbische Folklore, ihren Dialekt und den von Fremden missbrauchten Diminuitiv ('Ländle')" – all dies schmerzt den Lokalkolumnisten, wo doch die Stuttgarter "schon in den sechziger Jahren" so modern waren, "einen gegen harten politischen Widerstand durchgesetzten schwulen Ballettdirektor aus Südafrika" zu feiern. Ob solche Klage die hauptstädtischen Vorurteile gegenüber Stuttgarts Provinzialität abzubauen hilft? Das muss am Ende der Leser entscheiden.