Von Maximilian Steinbeis

Die Kulturpresseschau befasst sich unter anderem mit dem Programm des Europäischen Theaterinstituts, mit den Folgen des isländischen Vulkanausbruchs für Schriftsteller und mit dem 100. Todestag von Mark Twain.
"Du hast ja heute wieder eine schrecklich scheußliche tschechische Scheiß-Stretch-Jeans an." Dieser Satz ist kein Zickenzitat einer Neuntklässlerin und auch keine Kritik des Modegeschmacks unserer östlichen Nachbarnation, sondern eine Sprechübung aus dem Unterrichtsprogramm des Europäischen Theaterinstituts in Berlin. Und ein Zitat aus der TAZ, aus einem Interview mit einer Schauspielschülerin namens Dorothee Krüger zum Thema: "Die Klippen des Anfangs. Schauspielern ist eine ganz schön schizophrene Angelegenheit," erzählt die angehende Mimin und verrät ihren Trick, auf Knopfdruck Liebeskummer zu bekommen: "Irgendwann habe ich mir dann vorgestellt, wie mein Freund seine Exfreundin küsst – das hat total gut funktioniert."
Ähnlich erfrischend unintellektuell geht es in der Tageszeitung DIE WELT zu, wo Rainer Moritz, Chef des Literaturhauses Hamburg, seine fußballerische Bewandertheit zur Schau stellt, mittels eines – so die Unterzeile – literarischen Lobgesangs auf kleinwüchsige Fußballer. Barcelonas Wunderstürmer Lionel Messi ist der Anlass dafür, genauer seine 1 Meter 69 Körpergröße. An Hänflingen fehlt es nicht in der Hall of Fame des Fußballs, und Moritz, der Literat, kennt sie alle mit Namen, von Pierre Littbarski bis Philipp Lahm. Doch wer nach Erklärungen sucht für dieses Häufungsphänomen, dem bietet er nicht mehr als die doch etwas dürftige Hypothese, die Zwerg-Stürmer nutzten als Dribbelkönige und Wirbelwinde ( ... ) ihre größere Bodennähe aus.

Das Stichwort Bodennähe bringt uns zu ernsteren Dingen: Jener isländische Vulkan, dessen Namen, apropos Sprechübung, wir für diesmal unterschlagen, hat unter zahllosen Geschäfts- und Freizeitreisenden auch die Schriftstellerin Antje Ravic-Strubel am Fliegen gehindert. In Los Angeles sitzt sie fest und kann nicht weg und schreibt darüber in der FRANKFURTER RUNDSCHAU einen eigentümlich schwefligen Text. Am Check-In, erzählt sie, bekommt man zur Auskunft, das Problem liege in "der großen Hitze am Himmel, in der die Flugzeuge schmelzen; ein Wissen, das wahrscheinlich aus irgendeinem Katastrophenfilm stammt." Im erdbebenbedrohten LA scheine "die Tatsache, dass ein einziger Vulkan den ganzen alten und reichen Kontinent lahmlegt, wie das Gebrabbel der verrückten Obdachlosen, die man in den Siebzigerjahren aus Psychiatrien in San Francisco entlassen hat."

Eine Sichtweise, der sich die Autorin anzuschließen scheint: Der Vulkanausbruch scheine "ein solches Hochgefühl auszulösen, dass man glatt vergisst, die Messtechnik zu benutzen, um Dichte und Ausmaße der Aschewolke korrekt zu bestimmen, und für Angela Merkel keinen Hubschrauber findet, mit dem sie einfach drunter durchfliegen könnte. Man betet die Wolke schon an."

Wie ein Beleg für diese steile These liest sich, was die BERLINER ZEITUNG zum Thema Vulkanausbruch schreibt: Unter der Überschrift Wolken wie Blut und Schwerter berauscht sich Carmen Böker an den aschebedingt besonders intensiven Sonnenunter- und –aufgängen und feiert die neue Enschleunigung, ohne welche ihr die himmlische Farbenpracht womöglich noch gar nicht aufgefallen wäre. Und Sabine Vogel findet ebenfalls in der Berliner Zeitung die Bilder vom Ort des Geschehens ( ... ) atemberaubend schön, wobei ihr besonders gut gefällt, sich an der Ästhetik der Apokalypse ( ... ) ohne moralische Gewissensbisse ergötzen zu können, denn diese Katastrophe ist verhältnismäßig harmlos: So weit bekannt hat sie keine Menschenleben gekostet. An den Gestrandeten – man beachte den Doppelsinn – beobachtet sie eine merkwürdig heitere Gelassenheit: Das "Gefühl, "höherer Gewalt" ausgesetzt, dabei jedoch nicht ernsthaft gefährdet zu sein, hat etwas Befreiendes."
Noch befreiender ist indessen an jedem Tag und zu jeder Stunde, Mark Twain zu lesen, ganz besonders aber jetzt, da sich sein 100. Todestag nähert. Die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG zitiert aus diesem Anlass begeistert aus Tom Sawyer und Huckleberry Finn, und wir tun es ihr zum Abschluss nach mit diesem Satz, der bestimmt auch gegen vulkanbedingte kryptoreligiöse Wallungen hilft: "Tom ging ohne die zusätzliche Plage des Betens ins Bett."