Von Maximilian Steinbeis

Die Feuilletons beschäftigen sich mit unterschiedlichen Aspekten des Erdbebens in Haiti, Internet-Skepsis und dem Geschäftsmodell von Google.
"Unter militärischem Druck verkündete der französische Konvent 1994 ( ... ) die Abschaffung der Sklaverei." Dieser erstaunliche Satz findet sich im Feuilleton-Aufmacher der BERLINER ZEITUNG. Es handelt sich natürlich um einen Druckfehler. 1794 muss es heißen, denkt man sich und liest weiter. Nur um 20 Zeilen später über die Jahreszahl 1997 zu stolpern.

Auf den traurigen Zustand der Tageszeitungen werden wir noch zurückkommen. Einstweilen wollen wir nicht kleinlich sein: Der Text ist höchst aktuell. Er handelt von Haiti, aus gegebenem Katastrophenanlass: Thomas Schmid erzählt, wie die Republik Haiti entstand, vom Aufstand der Sklaven und ihres Anführers Toussaint Louverture, des "schwarzen Napoleon", der dem weißen Napoleon drüben in Europa ausrichten ließ: "Wir sind heute frei, weil wir die Stärkeren sind." Der Autor fährt noch andere Zitate auf, wie dieses des Generals Leclerc, Befehlshaber der vom Gelbfieber dezimierten französischen Expeditionstruppen:

"Ich habe keine Soldaten, um die Toten zu bestatten. Die Haifische weigern sich, die Leichen zu fressen. Wir sehen die Toten im Hafen auf den Wellen tanzen."

Das steht da so ganz kommentarlos.

Wenn das Grauen unaussprechlich ist, dann bleibt nur noch, über diese Unaussprechlichkeit zu sprechen. Und das tut in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG Peter Burghardt. Sein kleiner Bericht auf der Medienseite schildert, wie die Journalisten vor Ort in Haiti arbeiten.

"Eine amerikanische Fotografin richtete das Objektiv wie eine Waffe auf das Schussopfer am überfüllten Friedhof, während der Sterbende sie um Hilfe bat, zuvor hatte sie beiläufig Leichen am Massengrab geknipst."

Ist das zynisch, sich inmitten von Hunderttausend schwarzen Toten mit ein paar lebenden weißen Journalisten zu beschäftigen? Nicht im Fall von Peter Burghardt, der das Nachbeben am Mittwoch am eigenen Leib miterlebte.

"Dann begann das Gebäude zu schaukeln. Das Gehirn brauchte einen Augenblick, um den müden Körper zur einzig richtigen Reaktion zu bewegen. Raus. Man hastet die schwankenden Treppen hinunter ins Freie, barfuß und in Unterhose."

Da hat einer etwas zu berichten. Und das ist allemal mehr wert als beiläufige Fotos von Leichenbergen am Massengrab.

So fern ist uns indessen das haitianische Grauen gar nicht. In der NEUEN ZÜRCHER ZEITUNG erinnert Michael Meyer an das Erdbeben von Lissabon im Jahre 1755. Diese ebenfalls mit Worten und Bildern nicht zu fassende Katastrophe hatte, so Meyer, bei der Entstehung der Moderne keine geringe Rolle gespielt. Sie habe Kant, Kleist und Voltaire dazu herausgefordert, sich von Leibniz und seiner These von der "besten aller Welten" zu trennen und sie

"abzulösen durch Geschichtsphilosophie – das Walten Gottes zurückzuhalten zugunsten menschlicher Kompetenz in Sachen ihrer Daseinsgestaltung hienieden."

Daseinsgestaltung betreibt die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG insofern, als sie dem zurzeit schwer angesagten Thema Internet-Skepsis fast eine ganze Feuilletonseite widmet. "Der Durchschnitt setzt sich immer durch, Qualität geht verloren," klagt Jaron Lanier, der zur Kassandra gewandelte einstige Internet-Pionier.

Und Alexander Kissler erklärt wieder einmal das Geschäftsmodell von Google und stellt ahnungsvoll die Angstvision eines "Großen Bruders" in den Raum, "der unsere Wünsche, Ansichten und Gewohnheiten speichert und verwertet." Dergleichen las man zuletzt vor allem in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG, weshalb es um so mehr erfrischt, an diesem Tag dort Joseph Croitorus Bericht über das Internet-Verbot zu finden, das kürzlich 30 ultraorthodoxe Rabbiner in Israel verhängt haben. Sittenstrenge und Gottesfurcht, so der FAZ-Autor, seien dabei womöglich nicht die einzigen Beweggründe:

"Tatsächlich meinen säkulare Kenner des ultraorthodoxen Sektors, dass es hier weniger um moralisch-religiöse Fragen als ums Geschäft gehe: um Anteile am Anzeigenmarkt, die der ultraorthodoxen Printpresse durch die neuen Konkurrenten im Netz für immer hätten verloren gehen können."