Von Maximilian Steinbeis

Die Kulturpresseschau befasst sich unter anderem mit der Sloterdijk-Debatte und mit Michael Moores neuem Film "Kapitalismus".
Die Kulturpresseschau befasst sich unter anderem mit der Sloterdijk-Debatte und mit Michael Moores neuem Film "Kapitalismus".

Etwas liegt in der Luft. Ulrich Greiner, Literaturpapst bei der Wochenzeitung DIE ZEIT, hat seine Nase wie stets im Wind der Gegenwart, doch er weiß nicht so recht, ob er seinem Geruchssinn trauen soll.

"Ist es der Geruch gegrillter Hammelkeulen oder der von brennenden Autos? Steckt in der anschwellenden Sozialstaatsdebatte nur schlechte Laune oder schon die Kündigung des Gesellschaftsvertrags?"

Fünf Monate ist es her, dass Peter Sloterdijk seine Thesen von der "Revolution der gebenden Hand", vom Aufstand der Steuerzahler gegen den entmündigenden Sozialstaat in die Welt gesetzt hat, doch den Feuilletonisten des Landes lässt die Sache keine Ruhe.

"Sloterdijk (…), der philosophische Varietékünster, hat sich in diesem Streit als Messerwerfer betätigt, dessen Würfe, anders als die Profession es verlangt, die zart-schöne Frau nicht präzise eingekreist, sondern verletzt haben"," schreibt Greiner und löst sein schräges Gleichnis folgendermaßen auf: Die Frau ist der Gleichheitsgedanke. Dieser habe die Barmherzigkeit in Verruf gebracht, das Motiv, aus Mitleid oder Großherzigkeit den Armen zu helfen. Da uns dieser Gedanke abhanden gekommen ist, so Greiner, bleiben wir befangen in missmutigen und aggressiver werdenden Verteilungskämpfen.

Einen Hauch von sozialer Revolution verspürt auch der Filmemacher Michael Moore, und nicht nur das, er bemüht sich in seinem neuen Film "Kapitalismus. Eine Liebesgeschichte", kräftig mitzupusten. Revolution freilich ganz im klassischen, un-sloterdijkschen Sinne. Für Moores neues Werk hat der Rezensent der TAGESZEITUNG allerdings nur bitteren Spott übrig: Der Filmemacher als Führer einer Diktatur des Proletariats? fragt Sven von Reden zwei Tage nach dem Mauerfall-Jubiläum und gibt zur Antwort, Moore sei eher als Narr am Hof des Kapitalismus zu verstehen, der für eine gute Pointe jederzeit seine Glaubwürdigkeit verkaufen würde und sich davor drücke, offen die Systemfrage zu stellen. Andere sind da weniger streng, Susan Vahabzadeh in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG beispielsweise: Zwar bemängelt auch sie, dass Moores Film die richtige Struktur fehle, ein Ansatz, mit dem er ein Wirtschaftssystem auseinandernehmen würde. Dafür findet sie das Wir-Gefühl ganz toll, das er bei den Zuschauern erzeuge: Der Film sei eine Zusammenführung von Gleichgesinnten. In der Tat: Bei aller Kritik an Person und Stil Michael Moores - der Stoßrichtung seines Films, der Anklage des kapitalistischen Wirtschaftssystems als solchem, applaudiert das deutsche Feuilleton wie ein Mann.

Blut wird keines vergossen, ist ganz unrevolutionär der Feuilleton-Aufmacher der NEUEN ZÜRCHER ZEITUNG überschrieben. Sein Verfasser ist der Linguist Florian Coulmas und sein Thema das Aussterben von Sprachen. Das Wort Aussterben, so Coulmas, sei mit Vorsicht zu gebrauchen: Im Zeitalter des Kolonialismus sei es angemessen gewesen. Sprachliche Traditionen brachen ab, weil die Sprecher umkamen. Heute aber habe das Verschwinden von Sprachen subtilere Gründe, nämlich – da haben wir es wieder – der globale Kapitalismus: Oft, schreibt der NZZ-Autor, ""sind es die Sprecher selber, die darauf verzichten, ihre Sprache an ihre Kinder weiterzugeben, weil die es zu etwas bringen sollen. (…) Ihren Kindern, denken sie, könnten sie nur hinderlich sein."

Zum Abschluss eine trostreiche Beobachtung aus der Süddeutschen Zeitung: Im Mutterland des Kapitalismus, in den USA, kehrt die alte Wäscheleine zurück. Das ist deshalb bemerkenswert, weil das Wäscheaufhängen, so Autorin Petra Steinberger, bislang als Zeichen von Armut verpönt, ja sogar verboten war. Es besagte schließlich, dass man sich keinen Wäschetrockner leisten kann. Trockner verbrauchen allerdings eine Menge Energie und haben eine jämmerliche Ökobilanz, weswegen nach Beobachtung der SZ-Autorin es jetzt so scheint, als ob sich die Wäscheaufhänger durchsetzen würden. Auch hier also ein Hauch von Revolution: "Die sonst so ineffizienten Villen- und Gartenbesitzer aus den amerikanischen Suburbs könnten sich als Stoßtrupp der ökologischen Wende beweisen."