Von Maximilian Steinbeis
Die Feuilletons bedauern den Tod der Schauspielerin Monica Bleibtreu. Skandaliert sind sie ob der Nicht-Wahl eines Muslim für den Hessischen Kulturpreis und gar verzweifelt gegenüber dem Eurovision Song Contest.
Wenn große Schauspieler sterben, dann schlägt in den Feuilletons meist die Stunde der wehmütigen Nostalgie: Den Verstorbenen werden allerhand Reminiszenzen nachgerufen, Erinnerungen an ihre großen Erfolge, meist in schwarz-weiß und mit zartem Staubgeruch behaftet. Bei Monica Bleibtreu ist das ganz anders: Von den Filmen, Auftritten und Szenen, die die Nachrufer zitieren, ist keiner älter als zehn Jahre.
"Ich mache den Beruf jetzt seit über 40 Jahren, und plötzlich tun alle so, als wäre ich vom Himmel gefallen", zitiert Christine Dössel in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG die Verstorbene. Den Durchbruch hatte ihr die Darstellung älterer und alter Damen gebracht – dabei war sie mit 65 Jahren noch gar nicht so alt. Die Zeitung DIE WELT übt sich in der Kunst der posthumen Seelenerforschung: Monica Bleibtreu, schreibt Peter Zander, "spielte ( ... ) alte Frauen gern. Wegen ihrer Weisheit. Ihrer Souveränität. Vielleicht war das aber auch eine Sehnsucht, weil sie wusste, dass sie so alt nicht werden würde."
Woher die WELT weiß, was Monica Bleibtreu wusste oder nicht wusste – das wissen wir nicht.
Neben Trauer ist Empörung die beherrschende Emotion der Feuilletons des Tages. Sie gilt dem Kölner Kardinal Lehmann und Peter Steinacker, dem Ex-Präsidenten der hessischen evangelischen Kirche. Ihr Anlass ist der Hessische Kulturpreis, genauer die Tatsache, dass Lehmann und Steinacker ihn bekommen und ein Dritter, ein Muslim, nicht, obwohl er ihn hätte bekommen sollen.
"Bislang standen vor allem die Muslime im Ruf, übertrieben ehrpusselig zu sein", schreibt Harald Jähner in der BERLINER ZEITUNG. Diese Einschätzung kann man getrost korrigieren. Der Schandpreis für Intoleranz geht leider an die christliche Seite. Und Hannes Stein, der sonst so nadelspitze Kritiker muslimischer Unduldsamkeit, kommentiert den Vorgang in der WELT mit den gewundenen Worten:
"Man darf das ein bisschen unfassbar finden."
Der übergangene Muslim ist der Islamwissenschaftler Navid Kermani, und der Stein des Anstoßes für Lehmann und Steinacker war ein Artikel Kermanis über das Kreuz. Die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG lässt Steinacker selbst zu Wort kommen:
"Ich bin nicht bereit, mich mit jemandem für Verständnisbemühungen und Toleranz ehren zu lassen, der das Zentrum meines Glaubens ( ... ) für Gotteslästerung hält und in die Nähe von Pornographie rückt."
Ebenfalls in der FAZ richtet der Schriftsteller und bekennende Katholik Martin Mosebach zwölf Fragen an Kardinal Lehmann, und die sind von schneidender Schärfe:
"Gilt die bei Teegesellschaften angebrachte Höflichkeit, religiöse Differenzen nicht in aller Deutlichkeit zur Sprache zu bringen, auch für den von Ihnen seit langem geforderten Dialog zwischen den Religionen?"
lautet Frage Nummer vier, und Nummer zwölf hat es ebenfalls in sich:
"Könnte es sein, dass Sie in der Kulturpreis-Affäre eine Gelegenheit erkannt haben, sich gegenüber vielen seit langem bestürzten Katholiken auch einmal als 'cultor orthodoxus fidei catholicae' darzustellen? Nein, diese Frage sei vergessen,"
fügt Mosebach listig hinzu.
"Es verbietet sie der Respekt vor Ihrem preisgekrönten Lebenswerk."
Gustav Seibt, der sonst ebenfalls nicht zu Ausfälligkeiten neigenden Autor der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG, hat dagegen bei Goethe nachgeschlagen und haut seine Funde den Kirchenfürsten unbarmherzig um die Ohren:
"Dass jetzt ein deutscher Muslim, der offenherziger über Kreuz und Christentum spricht als Johann Wolfgang Goethe es zuweilen tat, nicht für wert befunden wird, einen der religiösen Verständigung gewidmeten Kulturpreis zu erhalten, fällt auf jene geistigen Herren zurück, die Kermanis Ausbootung betrieben. Um es mit Goethe zu sagen: 'Verlogne Pfaffen! Hätt' Allah mich bestimmt zum Wurm, So hätt' er mich als Wurm erschaffen!'"
Der Preis für den lustigsten Artikel an diesem insgesamt eher düsteren Feuilleton-Tag geht an Jens Mühling, der im TAGESSPIEGEL der Frage nachsinnt, was uns der Eurovision Song Contest über Europa verrät. Insgesamt fünf eurovisionistische Erkenntnisse hat er gesammelt, aus welchen wir die erste und die fünfte zitieren:
"Europäer ist, wer kein Mongole ist", lautet die erste und drauf gebracht hat ihn der legendäre Auftritt der deutschen Kapelle Dschingis Khan beim Song Contest 1979. Erkenntnis Nummer fünf, Frucht des Nachdenkens über Georgiens Lied für Moskau und ebenso rätselhaft wie schön:
"Schlechte Musik ist stärker als schlechte Politik."