Von Maximilian Steinbeis

Dies war eine Woche großer Glaubenskrisen. Um Gotteslästerung ging es in den Feuilletons, um das Ge- bzw. Verbot, kleinen Jungen die Penisvorhaut abzuschneiden, und darum, ob es sein kann, dass zwei Wissenschaftler einfach mal so hundert neue Caravaggios finden.
Die Woche begann mit der Erkenntnis, dass Martin Mosebachs unlängst publizierte These, Blasphemieverbote seien wahren Künstlern zuzumuten, nicht aufhören will zu provozieren.

Mosebachs "heroische Position" werde "zur Pose, wenn sie keine politisch-rechtlichen Konsequenzen haben soll, oder zur reaktionären Politik, wenn nun die Stärkung des Blasphemieverbots in multireligiösen Gesellschaften gefordert wird", forderte am Montag der Politologe Claus Leggewie in der FRANKFURTER RUNDSCHAU den Schriftsteller zum Farbebekennen auf. Statt Meinungsfreiheit und Ehrenschutz solle die "Inklusion eines kulturell und religiös vielfältigen, womöglich auch zerklüfteten und gespaltenen Gemeinwesens" im Mittelpunkt stehen, und das führte Leggewie zu folgender Positionsbestimmung: "Man darf alles sagen, was unterhalb der Gewaltschwelle angesiedelt ist, aber man muss es nicht."

Am Dienstag regte sich Dietmar Dath in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG über Mosebach auf: Dessen Behauptung, Freiheitsbeschränkungen schüfen gute Kunst, sei eine "Dampfkesseltheorie der Kreativität", mit welcher Mosebach eigentlich "über Inspirationsdefizite" klage und "seine Not dem lieben Gott" unterschiebe. "Soll er. Das ist, wie sehr viel Unfug sonst, hierzulande erlaubt." Und in der NEUEN ZÜRCHER ZEITUNG staunte ebenfalls am Dienstag Uwe Justus Wenzel, dass Mosebach als studierter Jurist auf den Gedanken kommt, der Staat des Grundgesetzes baue auf den Geboten des christlichen Gottes auf und sei daher zu dessen Schutz vor Schmähung verpflichtet.

"War er ( ... ) im Hörsaal, als das Grundgesetz durchgenommen wurde? Wenn ja, dann wären Zweifel an der deutschen Juristenausbildung der siebziger Jahre angebracht." Auch in die kommende Woche schickt uns der aktuelle SPIEGEL mit einem Interview, in dem der Mainzer Rechtshistoriker Andreas Roth uns und Mosebach daran erinnert, dass "der Gesetzgeber weder der Kunst zu dienen" hat "noch dem sozialen Klima, er hat allenfalls den sozialen Frieden zu schützen."

Womit wir beim eigentlichen religionspolitischen Riesenstreit dieser Woche wären, der Auseinandersetzung mit dem Urteil des Landgerichts Köln zur Strafbarkeit der Beschneidung. Meinungen, Erfahrungsberichte und Expertenstatements sonder Zahl sind in dieser Woche erschienen, die die Entfernung der Penisvorhaut als harmlos und uralten Brauch respektive verstümmelnd und barbarisch beschrieben. Wir greifen drei Texte heraus, zwei, weil sie besonders klug und einer, weil er von Henryk M. Broder ist. Am Freitag filettierte unter der merkwürdigen Überschrift "Ich tu dir weh" Andreas Zielcke in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG die verschiedenen Stränge der Debatte auseinander. Dass die Beschneidung seit Jahrtausenden und von Millionen praktiziert werde, sei kein Argument, sie nicht zu bestrafen, wohl aber "die Substanz der religiösen Begründung". Das Kölner Urteil, so SZ-Autor Zielcke, habe kein Verständnis "dafür, was religiöser Pluralismus in einem auf Säkularität verpflichteten Staat bedeutet." Erst ein "anerkennender Respekt vor dem Nicht-Säkularen" mache "die Säkularität souverän" - ein Satz, auf den sich auch Martin Mosebach und seine Kritiker einigen könnten oder zumindest sollten.

In der Wochenendausgabe der FRANKFURTER RUNDSCHAU legt der Orientalist und Schriftsteller Navid Kermani die "tiefliegenden, durchaus unbewussten kulturellen Muster" der Debatte in Deutschland bloß. "Man darf ja nicht vergessen, dass sich die europäische Kultur historisch auch durch die Abgrenzung von Judentum und durch den Antisemitismus konstituiert hat. Und dabei waren die Vorbehalte gegen die Beschneidung als "barbarischer Akt" eines der zentralen Motive von Anfang an." Es gehe in der Debatte nicht um "die Beschneidung als solche, es geht um die offenkundige, auch gewollte physische Manifestation einer Andersartigkeit, die problematisiert werden muss, um sie im Gestus des pädagogischen Wohlmeinens bekämpfen zu können."

DIE WELT wiederum erlöst uns am Samstag von unserer gespannten Erwartung, wann Henryk M. Broder endlich das Wort ergreift. Broder, der ja einerseits wohl über das feinste Gespür für subkutanen Antisemitismus verfügt, andererseits aber immer gern dabei ist, wenn es gegen die Muslime geht, kommt zu folgender Erkenntnis: Das Kölner Urteil sei "normaler Juristenalltag, ( ... ) zwar rechtskräftig, aber nicht bindend." Anstatt sich darüber aufzuregen, sollten "ein bis zwei Dutzend jüdische und muslimische Eltern in verschiedenen Landgerichtsbezirken ihre neugeborenen Söhne beschneiden lassen und sich hinterher selbst anzeigen." So wäre mit relativ wenig Aufwand dafür gesorgt, dass über kurz oder lang der Bundesgerichtshof oder Bundesverfassungsgericht die Sache aus der Welt schaffen. Aber Broder wäre nicht Broder, wenn er nicht auch den Christen unter den Deutschen einen vergifteten Rat mitzugeben hätte: Sie sollten ihren Söhnen nicht nur jüdische Namen geben, sondern sie ebenfalls beschneiden lassen. "Niemand wäre mehr in der Lage, einen beschnittenen christlichen Jungen ( ... ) von einem richtigen Juden zu unterscheiden."

Zuletzt: das Wunder von Mailand. 100 unbekannte Jugendwerke von Caravaggio wollen zwei italienische Wissenschaftler in einem Mailänder Schloss identifiziert haben. In der WELT am Samstag ließ Paul Badde sich von keinem Zweifel anfechten: "Es ist ein spektakulärer Coup, der den beiden Kunsthistorikern hier geglückt ist." In der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG vom Freitag übte sich Dirk Schümer in gezügelter Skepsis: "Wenn ( ... ) durch Sensationsmeldungen, ohne die heute Forschungsergebnisse zu italienischer Kunst ( ... ) augenscheinlich nicht mehr zu haben sind, größeres Interesse an der faszinierenden Genese unserer Optik in den Zeichenblöcken der Manieristen erwächst - umso besser."

Arno Widmann dagegen wagt sich unter der Überschrift "Mal schön locker bleiben" in der FRANKFURTER RUNDSCHAU vom Samstag unverbrämt auf ketzerisches Gelände: "Morgen, wenn dieser Artikel erscheint, werden wir lachen über die Köpenickiade von Mailand. ( ... ) Vielleicht spielen wir mit diesem Artikel gerade mit in dem Happening eines lebenden Künstlers, der auch mal groß raus kommen wollte."