Von Maximilian Steinbeis

Der Tod des Kinderbuchautors Maurice Sendak wird in den Feuilletons mit großer Emphase betrauert. In der "Frankfurter Rundschau" gibt es einen marxistisch inspirierten Text über die Piratenpartei und in der "FAZ" berichtet der Verleger Michael Krüger von einem Telefongespräch mit einem befreundeten griechischen Schriftsteller.
"'Und es war noch warm.'"

Wer den Satz als Kind vorgelesen bekommen hat, wird ihn nicht vergessen haben, und deshalb hat Hannes Stein Recht, wenn er ihn in der WELT als den

"vielleicht schönsten Satz, mit dem je ein Buch, sei es für Erwachsene oder Kinder, aufgehört hat,"

bezeichnet. Das besagte Buch heißt "Wo die wilden Kerle wohnen" und stammt von dem Kinderbuchautor Maurice Sendak, dessen Tod die Feuilletons mit großer Emphase betrauern. Es handelt von Max, der ohne Abendessen ins Bett muss, weil er zu wild getobt hat, und daraufhin zu einer Reise in ein Land voller Monster aufbricht und mit ihnen tobt, bis er genug hat und zurückkehrt, dort sein Abendessen vorfindet, und siehe: Es war noch warm.

Dass diese Geschichte die feuilletonistische Deutungslust heftig in Fahrt bringt, wird niemanden wundern. Für den Nachrufer der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG handelt die Geschichte vom

"unbeirrten Blick auf das, was Angst macht -"

denn die Monster bezwingt Max, indem er ihnen in die Augen schaut, ohne zu blinzeln.

Andrian Kreye preist sie als

"deutlichen Bruch mit den braven, höchstens einmal irregeleiteten Kinderhelden, die sich gerade in der amerikanischen Kinderbuchtradition eher an den lieblichen Figuren bei den Gebrüdern Grimm als an den Rabauken Wilhelm Buschs orientierten."

Wir empfehlen am Rande dem SZ-Autor, mal wieder Grimms Märchen aufzuschlagen und seine Vorstellung von deren Lieblichkeit zu überprüfen. Die WELT stellt sich gar hin und verkündet marktschreierisch, wie wolle

"die Wahrheit hinter den 'wilden Kerle'"

enthüllen. Diese seien nämlich laut Welt-Autor Stein von nichts anderem inspiriert als seinen

"Verwandten, Onkel und Tanten aus Europa, die nur oder hauptsächlich Jiddisch sprachen."
Wenn wir die Zeit hätten, würden wir gern noch manchen Text an diesem Feuilletontag gründlicher würdigen, Carlos Spoerhases Betrachtungen in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG etwa über die Frage, ob Literaturwissenschaft und Literatur nicht am Ende auch nur wie ein Schneeballsystem funktioniere, das davon lebt, dass die Akteure immer weitere Dumme finden, die ihnen, um Zugang zum System zu bekommen, die Rendite bezahlen.

Oder Hans-Martin Lohmanns marxistisch inspirierten Text in der FRANKFURTER RUNDSCHAU über die Piratenpartei als

"Speerspitze einer neuen, revolutionären Bourgeoisie, [die] allen Nischen des Unnützen, des Nichtverwertbaren, des sinnlos Luxuriösen wie Nichtstun, Zeithaben und Stille"

den Kampf angesagt haben.

Aber diese Zeit haben wir nicht, denn wir brauchen sie für einen kleinen Text des Dichters und Verlegers Michael Krüger, der in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG von einem Telefongespräch mit einem befreundeten griechischen Schriftsteller berichtet. Der Freund erzählt, dass er seinen Roman nicht fertig schreiben wird, weil das Geld nicht reicht und er als Hilfslehrer und Hilfskellner zu arbeiten gezwungen ist.

Und dann fragt er, was in Deutschland so los sei.

"Hier wird, sagte ich schüchtern, gerade über das Verschwinden des Autors im Netz diskutiert."

Krüger klagt über die Piraten, die

"Verlage, die Bücher drucken, und Autoren, die sich einbilden, dafür ein Honorar verlangen zu dürfen, [zu] Schurken"

erklären, über Buchhandlungen, die gezwungen sind,

"Kerzenständer, Vasen und Geschenkartikel"

zu verkaufen, weil sich Bücher nicht mehr lohnen, und über das Netz, das alle so lieben und das nichts kostet, und nach jeder Antwort wird das Schweigen seines griechischen Gesprächspartners länger. Wie es komme, fragt er schließlich,

"dass eine Gesellschaft sich in so kurzer Zeit so vollständig dem Netz ausliefert? Ohne Not und ohne Gegenwehr? ( ... ) Das Netz ist stärker als wir, sagte ich, stärker offenbar als alle Institutionen zusammen ( ... ).

Wir zappeln alle im Netz, auch die, die sich nicht daran beteiligen wollen. Aber dann brauchen wir doch die Kunst, rief er zurück, um ein Gegenbild des Schönen und Freien außerhalb des Netzes zu entwerfen, um die Wahrheit nicht ganz aus den Augen zu verlieren?

Ach, die Kunst! Gerade hat einer, anstatt zu schreien, den "Schrei" von Munch für hundert Millionen Dollar gekauft. Er hatte aufgelegt. Ich lief in den Garten, legte meinen Kopf auf das frische Gras und weinte bitterlich."