Von Maximilian Steinbeis

Die Hölle, das sind die anderen zwölf Teilhaber an einem Wochenendhaus mit Seezugang. Steht in der Tageszeitung und so ähnlich auch bei Hermann Hesse, der seine Leser gelegentlich bewusstlos stößt. Ai Weiwei und Antonio Tabucchi sind ebenfalls zu Gast in den Feuilletons.
"Offenkundig gibt es (…) heute ein gewisses Interesse, sich mal wieder etwas zuzumuten." Diese feine Beobachtung findet sich in der TAZ, in einem Text von Oliver Geyer, der seinen gemeinsam mit zwölf Freunden unternommenen Versuch beschreibt, sich den Großstädtertraum von einem Wochenendhäuschen im Grünen mit Seezugang zu verwirklichen, "samt vom Einsturz bedrohte(r) Feldsteinscheune als integriertem Gruppenkonfliktbeschleuniger. Hatte Sartre auch eine Sommerhauskommune", fragt der TAZ-Autor, "dass er auf den Satz "Die Hölle, das sind die anderen" gekommen ist? (…) Sind auch seine Neuanpflanzungen ständig achtlos von den anderen weggemäht worden? Hat auch er spät abends, wenn ihm wieder mal das letzte Kopfkissen weggeschnappt worden war, allen Ernstes überlegt, sich ein übrig gebliebenes Fladenbrot in einen Kissenbezug zu stopfen?" Wohl dem TAZ-Leser, der sich diese Fragen stellt, bevor er sich in ein solches Abenteuer stürzt.
Von Landkommunen als Zumutung wusste auch Hermann Hesse ein Buch zu schreiben, und das macht ihn Volker Weidermann lieb und teuer, der den Adoleszenzklassiker in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG mit exzeptionellem Nachdruck zur Wiederentdeckung empfiehlt. "Am Anfang macht es ja meistens erst mal ,boing’", fängt Weidermann seinen Artikel bemüht un-hessehaft-muskelprotzig an, mit der Anekdote nämlich, wie Stefan Zweig allzu enthusiastisch Hesses Haus betrat und sich dabei erst mal am Dachbalken den Kopf bewusstlos stieß. "So geht es vielen Menschen beim ersten Eintritt in die Hermann-Hesse-Welt: Die Begeisterung streckt einen nieder, raubt das Bewusstsein oder schraubt es in Sphären empor, von denen man vorher nicht einmal ahnte, dass es sie gibt." Das muss der Leser, älter geworden, dann meist mit Kopfschmerz und Peinlichkeit büßen. Der FAZ-Autor indessen rät, trotzdem dranzubleiben: "Man muss einfach in alle Richtungen schauen, ein zweites Mal lesen. Und den Kopf einziehen."

Den Kopf einzuziehen, diesem Ratschlag zu folgen weigert sich beharrlich der chinesische Künstler Ai Weiwei, der in der WELT in einem langen Text über seine 81-tägige Inhaftierung Zeugnis ablegt. "Ich glaube daran, dass die Humanität siegt. Weil dies eine Welt des bewussten Menschen ist", schreibt Weiwei und straft damit womöglich Mark Siemons Lügen, der sich in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG anlässlich des Abschlusses der deutschen Ausstellung "Kunst der Aufklärung" im Pekinger Nationalmuseum in der Kunst des Chinesenverstehens übt: In China, so Siemons, treffe das Thema Aufklärung auf "ein ziemlich anderes Vorverständnis". Welches genau, bleibt dunkel, aber so viel scheint dem FAZ-Autor klar, dass nämlich "ein Kulturdialog, der sich auf die symbolische Lesart nur einer der beteiligten Kulturen beschränkt, notwendigerweise ins Stottern gerät."

Wie sehr im 21. Jahrhundert auch mitten in Europa ein Künstler an seinem Land und den politischen Zuständen leiden kann, zeigt das Leben des verstorbenen italienischen Schriftstellers Antonio Tabucchi, den kein Feuilleton mit einem Nachruf zu ehren versäumt. Sein öffentliches Anschreiben aus dem selbst gewählten portugiesischen Exil gegen den Berlusconismus und den moralischen Verfall Italiens steht dabei zumeist im Mittelpunkt, in der FRANKFURTER RUNDSCHAU etwa, wo Peter Michalzik in Tabucchis Werk den "Geruch nach Sommer" spürt, die "herrschaftliche Helle, die erst jetzt wieder, mit Mario Monti, Einzug hält in Italien." Wir greifen Maike Albaths Nachruf in der NEUEN ZÜRCHER ZEITUNG heraus, die jenseits seiner politischen Wirkung seine Literatur in den Mittelpunkt stellt: "Antonio Tabucchi war von einer liebenswürdigen Unberechenbarkeit", erinnert sich die NZZ-Autorin. "Wenn ihn Lust auf eine Zigarette, ein Getränk, ein Hustenbonbon, ein Gedicht von Emily Dickinson oder eine Zeile von Pessoa überfiel, ließ er das Auto anhalten, vergaß Verabredungen, spazierte mitten in Veranstaltungen vom Podium, rauchte, trank etwas, schlug ein Buch auf, knüpfte Gespräche an und verwickelte sich in Unvorhersehbares." Was für den Autor gilt, das gilt auch für sein Werk: "Etwas Ungefähres, Tastendes unterläuft die präzisen Beobachtungen. Die Verunsicherungen, die Tabucchis Helden ergreifen, sind produktiv: Ihre Wahrnehmung verändert sich, sie dringen in unbekannte Sphären vor."