Von Maximilian Steinbeis

Es gibt ein Leben jenseits der Berlinale. Zum Beispiel einige Skandale um schriftstellerische Produkte: Dem Ukrainer Juri Wynnytschuk wird Pornografie angekreidet, dem Deutschen Christian Kracht hingegen Rassismus und die Sehnsucht nach einem "arischen Arkadien".
"Pornografie, Nekrophilie, Verderbung einer Minderjährigen (…), und der Aufruf, den Präsidenten zu töten." Mit so einer Liste spektakulärer Verbrechen kann die ganze Berlinale nicht mithalten, die an diesem Tag wie an jedem in dieser Festival-Woche den meisten Raum in den Feuilletons einnimmt.

Vorgeworfen werden diese Übeltaten dem ukrainischen Lyriker Juri Wynnytschuk, ist in der Tageszeitung DIE WELT zu lesen, in einem atemlosen Interview unter dem Titel "Die Lage ist explosiv", in dem der Dichter von Interviewer Gerhard Gnauck wieder und wieder bedrängt wird, seine Position zum Thema "Tyrannenmord" zu erläutern. Doch was war passiert? Der Dichter hatte bei einer "Nacht der erotischen Poesie" ein Gedicht mit dem Refrain "Tötet den Schwuli" zum Vortrag gebracht, was ein kommunistischer Abgeordneter auf den Präsidenten Janukowitsch münzte und den Dichter daraufhin anzeigte. Die Miliz kam vorbei, und "sie waren freundlich zu mir", berichtet der Dichter. "Ich hatte den Eindruck, sie haben sich bei der Geschichte gut amüsiert." Inzwischen habe sich die Miliz sogar bei ihm entschuldigt. Die Lage ist somit vielleicht explosiv, aber nicht ernst.

Das kann man vielleicht auch über den Mini-Literaturskandal behaupten, den der SPIEGEL in seiner jüngsten Ausgabe anzuzetteln versucht hat: Der Schriftsteller Christian Kracht soll sich ausweislich seines jüngsten Romans "Imperium" einer "rassistischen Weltsicht" hin- und zum "Türsteher rechter Gedanken" hergegeben haben. "Kein Skandal", ist, damit man gleich Bescheid weiß, Felicitas von Lovenbergs Glosse in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG zu dem Thema überschrieben. "Indem sich der Spiegel-Autor weigert, das subtile, ironische Spiel Christian Krachts, das die Anfänge ebenso wie die böse Eskalation des deutschen zwanzigsten Jahrhunderts auf leichte, aber darum nicht leichtfertige Weise stets im Blick hat, als solches zu erkennen, geht er dem Schweizer Schriftsteller voll auf dem Leim." In der TAZ scheint Andreas Fanizadeh zunächst dem Spiegel beizupflichten und fragt, was denn "an den subjektlos dargestellten Eingeborenen in "Imperium" lustig sein" solle.

Aber die Schlussfolgerung, Kracht wolle "auf ein "arisches Arkadien" hinaus", scheint ihm dann doch überzogen. Vielmehr handle es sich bei Kracht "um einen, der statt Hitler viel eher seinen einzigartigen, wohlgeborenen, männlich-weißen Bauchnabel verehrt. Wie der ein oder andere Kritiker auch."
Eine klarere Positionierung bekommt die TAZ zu einem anderen Skandalthema hin und erobert obendrein damit den Preis für die schönste Parodie an diesem Feuilleton-Tag: Steffen Grimberg fordert, dass der Fernsehsender Kinderkanal mal in eigener Sache berichtet, und zwar über den Prozess zum Millionenbetrug ihres früheren Herstellungsleiters und der Produktionsfirma Koppfilm. Für die Aufklärung dieses Falls, so der TAZ-Autor, interessiere sich niemand so richtig: Daher solle doch "das Team der Kinderkrimi-Serie Krimi.de (…) mit seinen coolen Fahrrädern am Erfurter Hauptquartier des Senders vorfahren, am Spielcasino und am Landgericht," und dort zum Beispiel ermitteln, "warum die Koppfilm vom Fabian B. so pleite war, dass sie ganz viel Geld aus dem Kika-Betrug brauchte, und dass keiner das mit der Pleite gemerkt hat. Ist doch auch komisch: So groß war die Firma ja nicht, und wenn es um Kinderfilm-Firmen geht, kennen sich die Macher untereinander ziemlich doll und feiern zusammen Geburtstag und so. Da merkt man doch, wenn es einem nicht gut geht und wundert sich vielleicht, woher der dann plötzlich Geld hat."

Zum Schluss dieser Kuriositätenschau noch ein Fund aus der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG, die ihrerseits den Skandal auf die Hörner nimmt, der Umsatzsteuerpflicht für Kulturbetriebe heißt: Freiberufliche Dirigenten, erläutert SZ-Autor Stephan Opitz, müssen keine Umsatzsteuer abführen, freiberufliche Regisseure aber schon. Wobei man vor lauter steuerrechtlicher Differenziertheit leicht überliest, dass Opitz sich mitnichten für mehr Umsatzsteuerbefreiungen für Künstler ausspricht – im Gegenteil: "Überall, wo Geld auch für kulturelle Dienstleistung oder Produkt umgesetzt wird, sollte die Umsatzsteuer fließen." Denn die Befreiung sei überhaupt nur mit romantischer Verklärung des Künstlergenies zu erklären.

Wenn das so käme – das gäbe vielleicht einen Skandal.