Von Maximilian Steinbeis

In der "Welt" wird enthüllt, dass unsere Bundesregierung weltweit bestaunt und oft genug bewundert werde. Vielleicht ja auch in Sachsen-Anhalt, wo die "Süddeutsche" eine ihrer Edelfedern radeln lässt. Die "taz" sucht im Harz den Hirschkäfer.
Was ist das für ein Tag, an dem man in gleich zwei überregionalen Tageszeitungen auf den Vorschlag trifft, das Bundesland Sachsen-Anhalt abzuschaffen? Na klar: Das ist ein Tag, an dem im Kulturleben des Landes schier überhaupt nichts los ist, ein irgendwie zwischen alle Festspielpremieren und Krisendebatten gerutschter Tag der totalen kulturellen Ereignislosigkeit, oder mit anderen Worten: ein Tag, an dem eine Feuilletonredaktion mal wirklich zeigen kann, was in ihr steckt.

Bei der WELT ist das offenkundig ein ausgeprägter Sinn für Effizienz: Sie nutzt die Flaute dazu, Druckkosten zu sparen und begnügt sich mit zwei Seiten Feuilleton, von denen obendrein eine halbe von Ulf Poschart vollgeschrieben wird, der dort anlässlich des beginnenden Wahlkampfs dem von ihm so verabscheuten "Debattierfeuilleton" mal wieder so richtig den coolen harten Burschen macht. Habermas und Harald Welzer und all die anderen intellektuellen Sorgenkrämer und Politiker-Doof-Finder, wenn die nur wüssten, wie "deutsch, pathetisch und nostalgisch" sie in Poscharts Augen aussehen, und wie "getränkt von den Tränen der narzisstischen Kränkung" er die ganze Debatte findet, der Kränkung darüber nämlich, "dass ausgerechnet jenes Nietenensemble, für das nicht nur die klugen Köpfe diese schwarz-gelbe Regierung halten, weltweit bestaunt und oft genug bewundert wird."
Die TAZ scheint indessen von keinerlei narzistischer Kränkung befallen, sondern kontert mit einem Bericht des Schriftstellers Falko Henning von dessen Hirschkäfer-Expedition im Harz. Die Suche nach dem gehörnten Rieseninsekt blieb, um das Ergebnis vorwegzunehmen, fruchtlos, förderte dafür aber folgende Anekdote über den Wernigeroder Insektenforscher Ingo Fritzsche zutage: Dessen Spezialgebiet sind "Schaben, eine leuchtende Art hat er entdeckt und sogar Osram angeboten, sie nach dem Leuchtmittelhersteller zu benennen, aber die Marketingleute lehnten ab, wohl weil sie Kakerlaken für nicht werbeträchtig hielten."

Wo andere ihr Heil in der Kerbtierkunde suchen, bleibt die Redaktion der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG gelassen und professionell und wartet mit einem gedenkartikelwürdigen Jahrestag auf: Das Literarische Colloquium in Berlin wird 50, und Ursula Krechel lässt aus diesem Anlass das Westberlin des Jahres 1963 und den Zauber der Literatur-Villa am Wannsee auferstehen. "Warum gerade die Literatur eine unstillbare Sehnsucht nach Gründerzeitvillen mit einer eklektischen Anmutung hat", fragt sie sich und gibt zur Antwort: "Vielleicht sucht sie, weil ihre Materie so wenig backsteinhaft, holzgetäfelt und fest begründet ist, solche imaginären Orte."

Wir streifen noch kurz die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG, die ihre Souveränität über das Gebot der Aktualität dadurch unter Beweis stellt, dass sie zwei ältere Premieren aus Salzburg zu einer, wenngleich furiosen, Sammelrezension zusammenfegt: "An diesen Säufer wird man sich erinnern, und an diese Kriegerin", schreibt Dirk Peitz über den Knieriem aus Nestroys Lumpazivagabundus respektive die Johanna aus Schillers Jungfrau von Orleans. "Er springt jeder Silbe in den Nacken, packt und würgt sie, dass es ist, als sei ein Raubtier seinem Käfig entsprungen; sie dagegen scheint jeden Satz auf einen Speer zu pflanzen, als ob sie die Welt um sich herum zweiteilen, zerhauen wolle."

Die meiste Anerkennung ringt uns aber die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG ab. In deren Diensten hat sich Gustav Seibt radfahrenderweise nach Sachsen-Anhalt gewagt bei 40 Grad im Schatten. Und was hat er dort gefunden? "Verlorenheit überall (…). Verlorenheit und dann plötzlich ein riesengroßer Name. Dürre windige Felder und Luther. Leere Flussauen und Magdeburg mit Otto dem Großen. Kahle Dörfer und Dessau mit dem Bauhaus." Das Geld, das das notorisch und rettungslos bankrotte Bundesland für den Unterhalt eines eigenen Staatswesens ausgibt, fehlt für den Unterhalt dieser Schätze, und deshalb kommt Seibt zu dem "zwingenden" Schluss: "Sachsen- Anhalt, ein Land mit einigen der überwältigendsten Kulturerbschaften der deutschen Kleinstaaterei, ist zu schwach, um diese fragilen Schätze allein in die Zukunft bringen zu können."