Von Maximilian Steinbeis

Götterdämmerung! Der Abschluss des Bayreuther "Ring des Nibelungen" ist das heiß umkämpfte Thema in den Feuilletons. Manche Kritiker setzen die Buh-Orgie des Saalpublikums für Regisseur Castorf fort, andere sind voll des Lobes.
Der Ring. Er schließt sich, das letzte Stück ist geschmiedet in der Festspielstadt Bayreuth, die Premiere der Götterdämmerung in Frank Castorfs Inszenierung ist durch, und jetzt liegt er vor uns, rund und fertig und neu. Und, wie gefällt er uns so? Mäh, sagen die meisten. Super, sagen einige. Ganz grässlich, sagt die FAZ. Das Publikum aber, das das Spektakel mit eigenen Augen gesehen hat, das hat so laut und zornig geschrien, gepfiffen und gebuht, dass Niklaus Hablützel in der TAZ schreibt: "Die Explosion des Publikums danach war das eigentliche Finale." Doch der Reihe nach. Beginnen wir mit den Unbeeindruckten: "Nicht zu Ende gedacht, in der Ausführung nur halbwegs bewältigt", so mäkelt in der NEUEN ZÜRCHER ZEITUNG Peter Hagmann und klagt, der Regisseur häufe "Kraut auf Rüben und Rüben auf Kraut, bis der Turm zusammenkracht – und man der Witzchen überdrüssig ist."

Der schon erwähnte TAZ-Kritiker gähnt über Castorfs Inszenierung als "wahre Streubombe von Symbolen und Zitaten, die dann doch nicht richtig zündet. Was soll das?", fragt in der BERLINER ZEITUNG Peter Uehling und ärgert sich, jetzt "lauter nicht zusammen stimmende Bilder im Kopf" zu haben. Eleonore Büning, die Kritikerin der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG, legt noch mal einen drauf: In der Buh-Orgie, von Castorf genüsslich zelebriert, sei offenbar geworden, was "die zersplitterten Castorfschen "Ring"-Ideen zusammenhielt," schreibt die FAZ-Rezensentin in kaum verhohlenem Zorn. "Es ist der Zynismus desjenigen, der sich auf der richtigen Seite der Geschichte wähnt. Wenn Mythos und Märchen, Geschichte und Gesellschaft, Musik und Politik nur noch Material für eine Provokationsverwurstungsmaschine sind, wird die Theaterarbeit zum sinnentleerten, pseudoaufklärerischen Ritual."

Aus der FAZ-Not macht Manuel Brug indessen eine WELT-Tugend und erklärt beeindruckt, "Castorfs "Ring"-Formel" sei, "dass es keine gibt, und sich irgendwie doch alles fügt, weitergeht. Einen Reim muss sich erst der aktive Zuschauer drauf machen." Seinen größten Fan hat der Volksbühnenregisseur aber in München sitzen, in Reinhard Brembek nämlich, der in der SZ "Castorfs Verbrechen" wie folgt beschreibt: "Der Mann hat Wagners "Ring"-Text genau gelesen. Er hat aber weder unter den Göttern, Riesen, Menschen, Zwergen noch Tieren einen einzigen liebeswerten Charakter entdeckt, sondern ausschließlich Macht- und Sexgierige, die die Liebe verraten. Das zeigt er schonungslos."

Jetzt aber genug von der Götterdämmerung. Die andere große, wenngleich wohl der sommerlichen Themendünne geschuldete Hauptstory dieses Feuilleton-Tages könnte man im Gegensatz dazu als Schurken-Apotheose bezeichnen. Es geht um den großen Zugüberfall in England 1963, den legendären Millionenraub, schon 1966 in dem kaum minder legendären Fernseh-Dreiteiler "Die Gentlemen bitten zur Kasse" verklärt und jetzt zum 50. Jahrestag von ARTE in einer Art Dokumentations-Dokumentation wieder aufgewärmt. Die meisten Kritiker finden das ganz wunderbar und greifen gerne die Gelegenheit auf, in Räuberromantik zu schwelgen und den Sohn des Bandenchefs mit Jugendreminiszenzen zu zitieren. "Ganz England verehrte die Räuber, die keine Schusswaffe benutzten", jauchzt beispielsweise Ralf Wiegand in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG. Nur die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG weiß sich schon wieder kaum ein noch aus vor Erbostheit. "Ob bloß skurril, die Zuschauer verwirrend oder einfach professionell fatal: der auch von Arte als Dokudrama annoncierte Rettinger-Film eignet sich die Arbeit anderer an und beutet sie aus", wütet dort Jochen Hieber. Dass die angebliche Dokumentation ihr Bildmaterial hauptsächlich aus fiktionalisierten Spielfilmen wie "Die Gentlemen bitten zur Kasse" und anderen bezieht, findet der FAZ-Autor regelrecht skandalös: Parallel zur erklärenden Tonspur "oder das gerade Erzählte visuell beglaubigend, sehen wir Horst Tappert, Günther Neutze und dem übrigen Gangster-Ensemble beim munteren Verbrecherspiel zu, mal mit, mal ohne Originaldialoge. So, bedeutet uns Rettinger damit, ist es gewesen. Es werden aber nur zwei wunderbare alte Filme zu fernen Vorläufern heutiger Überwachungskameras verkleinert."