Von Maximilian Steinbeis

Die "Süddeutsche" entzaubert die Figur des "Experten", die "Welt" bespricht eine Elektra-Inszenierung in Frankreich und die "taz" widmet sich der "Rezeptionsekstase" in der Popkultur.
Wer sich selbst für einen Experten hält, sollte die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG aufblättern, dabei aber bitte starke Nerven mitbringen. Gleich dreifach kriegt er dort aufs Butterbrot geschmiert, was von seiner Expertise zu halten ist – im Zweifel nämlich gar nichts. Im Feuilleton-Aufmacher rekapituliert unter dem Titel "Mehr Geld" Adam Tooze, Wirtschaftshistoriker aus Yale, die Misserfolgsgeschichte der Ökonomieexperten Europas, mit mal mehr, mal weniger Inflation für Wachstum und Wohlstand zu sorgen:

"Nach dem Jahrzehnt von 1973 bis 1983 ist wohl wahr, dass man mit höherer Inflation nicht weniger Arbeitslosigkeit erkaufen konnte"", so die frustrierende Erkenntnis. "Ebenso wenig gibt es aber Grund zu glauben, dass die erzwungene Preisstabilität wachstumsfördernd war. Eher im Gegenteil."

Zwei Seiten weiter nimmt Alexandra Borchardt das gescheiterte Mega-Energieprojekt Desertec auseinander, den Traum, Europas Energiehunger mit riesigen Sonnenkollektorparks in der Sahara zu stillen. "Ingenieure, Manager und Wissenschaftler ersetzen keine Politik", so lernen wir aus dem Debakel. Zwar gebe es "in der Ökobewegung den einen oder anderen, der sich in der Umweltpolitik lauter Chinas wünscht."

Aber, so die SZ-Autorin, "die Erfahrung lehrt, dass es nie der eine schlaue Kopf ist, der die Welt rettet (sollte sie denn eine Rettung nötig haben). Es sind die vielen Köpfe, die Ideen produzieren, aber auch Risiken spiegeln."

Den Rest dürfte der Laune des Experten aber das Interview geben, das die SZ anlässlich der Einstellung der vielbändigen Brockhaus-Enzyklopädie mit dem Harvard-Professor David Weinberger geführt hat. Dieser weigert sich, das eine schlimme Nachricht zu finden. "Die Rolle der Experten hat sich dramatisch verändert. Früher hatten sie die Kontrolle darüber, was publiziert wurde." Heute gebe es im Internet viel flexiblere und offenere Möglichkeiten, Wissen zu filtern.

Selbst seiner eigenen Elite-Universität will der Harvard-Forscher keine herausgehobene Expertenautorität mehr zubilligen: "Wenn Sie etwa Diskussionen unter den Wikipedia-Autoren verfolgen, dann stellen Sie fest: Jemand, der hier mit seiner Ausbildung argumentieren würde, macht sich lächerlich. Die zählt überhaupt nicht. Das brauchen wir auch nicht." Und um die Verwirrung komplett zu machen, verschweigt die Süddeutsche, wofür Weinberger in Harvard überhaupt Professor ist. Wikipedia übrigens auch.

Genug jetzt mit Expertenbashing und Süddeutscher, schließlich gibt es auch noch andere Feuilletons, und was ist Sache des Feuilletonisten, wenn nicht Expertenwissen zu verbreiten, über Opernproduktionen zum Beispiel? In Aix-en-Provence ist Festivalsaison, und wir zumindest wollen auch in Zukunft solche Sätze nicht missen, wie sie zum Beispiel Manuel Brug in der WELT über Patrice Chereaus Elektra-Inszenierung schreibt:

"Was sonst oft ein schrundiges Relief aus geisterbahngrellen Opernpopanzen ist, gestrige Griechentragödie mit andauerndem langen Vibrationsalarm, wird hier zur human nachzuempfindenen, traurigen Mär um einen verlorenen Vater und die daraus resultierende Rachegelüste."

Wobei wir uns der Autorität der WELT-Feuilletonexperten noch bereitwilliger beugen würden, wenn sie es unterließen, den Komponisten Franz Liszt, wie Dankwart Guratzsch in einem Text über Heinrich-Heine-Vertonungen, als Friedrich Liszt zu bezeichnen, und das gleich mehrfach hintereinander.

Das soll uns aber unsere Freude am Feuilleton nicht rauben, und ihr wollen wir zu guter Letzt noch mit einem Zitat aus der TAZ Ausdruck geben, genauer von Diedrich Diedrichsen, der dort anlässlich eines Buches über die legendäre, von ihm einst geleitete Musikzeitschrift Spex interviewt wird.

"Wenn man eine Güterabwägung macht zwischen gelungener Kommunikation, also zwischen sogenannter Verständlichkeit und der Treue zum Gegenstand, oder der Treue gegenüber der eigenen Begeisterung, bin ich für Letzteres", gibt der Popkultur-Experte dort zum Besten. "Die Rezeptionsekstase hat bei mir immer Vorrang vor dem gelungenen Kommunikationsvorgang. Einer, der in eine Rezeptionsekstase gerät, ist doch viel interessanter zu beobachten als jemand, der Informationen verteilt."