Von Machos und Mythen

Von Johannes Halder · 28.04.2012
Die Kunsthalle Würth versammelt 300 Werke mexikanischer Kunst. Mit Werken von Frida Kahlo, Diego Rivera, Rufino Tamayo, Francisco Toledo und Adolfo Riestra zeigt die Schau das Phänomen der "Mexicanidad", der Identitätsfindung der mexikanischen Kunst im 20. Jahrhundert.
Das populärste Bild des mexikanischen Malers Diego Rivera ist fünfzehn Meter lang und fast sechs Meter hoch: der "Traum von einem Sonntagnachmittag im Alameda-Park". 1947/48 hat Rivera es gemalt, auf die Wand im Foyer eines Luxushotels im Herzen der mexikanischen Hauptstadt. Inszeniert als ein Lehrstück für die Touristen, führt es in drei Kapiteln die Geschichte Mexikos vor Augen: die Eroberung, die Diktatur, die Revolution. Es ist ein buntes Gewimmel von prominenten Figuren der mexikanischen Geschichte, und mittendrin der Maler selbst, Diego Rivera mit seiner Frau Frida Kahlo.

In halber Größe ist das riesige Bild jetzt auch in dieser Schau zu bestaunen, als Reproduktion natürlich nur, doch Museumsleiterin Sylvia Weber ist glücklich über das, was sie hier an Originalen zeigen kann.

"Schwerpunkt für uns ist das Museum der Dolores Olmedo, die ja sehr eng mit Diego Rivera befreundet war und ihn schlussendlich beerbt hat, Frida Kahlo wiederum ihrem Mann alles vererbt hatte, und darüber natürlich jetzt eine wunderbare Privatsammlung entstanden ist, aus der wir schöpfen konnten."

Carlos Phillips Olmedo ist der Mann, der dieses Erbe verwaltet und der auf einigen der Fotos aus Frida Kahlos Privatbesitz, die hier mit ausgestellt sind, selbst abgebildet ist. Da sehen wir auch Diego, den Macho, wie er sich mit Frida innig küsst; den malenden Frauenhelden, der eigentlich ein hässlicher Fettwanst war und Grimassen schneidet wie ein Clown und der doch einen Charme besessen haben muss, dem die Frauen reihenweise erlagen.

Vor allem aber lernen wir Rivera, den politisch engagierten Wandmaler, von einer Seite kennen, die weniger geläufig ist als seine berühmten Mauerbilder: mit kubistischen Stillleben aus seinen Lehrjahren in Paris, mit Landschaften, die aussehen wie von Cézanne gemalt. Und 1956, ein Jahr vor seinem Tod, hat der sterbenskranke Rivera auf der Rückkehr von einer Krebstherapie in der Sowjetunion sogar die Ruinen der Reichskanzlei in Berlin gemalt.

Natürlich steht Frida Kahlo im Vordergrund der Schau. Mit ihr, mit ihrem Schicksal, fängt man das Publikum. Unentwegt hat sie nach ihrem schrecklichen Busunfall von 1925, bei dem sich eine Eisenstange in ihr Becken bohrte, sich selbst als Schmerzensfrau inszeniert. Zielstrebig steuert Carlos Olmedo, der Leihgeber, sein Lieblingsbild an: "Die zerbrochene Säule" von 1944.

"Hier können wir sehen, wie Frida durch den Unfall gelitten hat. Ihr ganzer Körper ist mit Nägeln gespickt, die Wirbelsäule ist gebrochen. Und mit der kahlen Mondlandschaft im Hintergrund will sie ausdrücken, dass sie unfruchtbar ist, dass sie keine Kinder bekommen kann.

Sie weint, die Tränen rinnen ihr übers Gesicht. Sie malt ihren Schmerz, ihr Korsett, wir sehen ihr ganzes Leiden nach dem Unfall und wie schwer ihr Leben war."

In den 50er-Jahren des vorigen Jahrhunderts erlebte die mexikanische Kunst eine Wende, einen regelrechten Bruch.

"Damals begeisterten sich viele mexikanische Maler für den abstrakten Expressionismus, der aus New York kam. Sie brachen mit der figurativen Malerei und wandten sich der Abstraktion zu. Diego Rivera, dem das nicht gefiel, versuchte sie zu bremsen und wenig später trat er zurück. Deshalb nennt man diese Bewegung den Bruch.

Denn sie brach mit der Tradition der mexikanischen Malerei, die auf den figürlichen Wandbildern gründete und den Mexikanern ihr eigenes Brauchtum und den kulturellen Reichtum ihres Landes zeigte."

Rufino Tamayo war einer der Ersten, der mit seinen Abstraktionen den Weg freimachte für die nachfolgende Generation, während Francisco Toledo die Tier- und Fabelwelt der mexikanischen Mythen in farbstarke Bilder und witzige keramische Objekte übersetzt. Adolfo Riestra schließlich schuf neben seiner poppig plakativen Malerei auch Plastiken, die zwischen der Moderne und den mexikanischen Mythen vermitteln.

Die wunderbare Schau wird begleitet von präkolumbianischen Keramiken, von Objekten um den typisch mexikanischen Totenkult und, besonders schön, von bunt bestickten Textilien, wie wir sie von den Selbstporträts der Frida Kahlo kennen. Allerdings sagt Carlos Olmedo:

"Die Kleider hier stammen aus der gleichen Zeit und sind vom gleichen Stil wie die, die Frida selbst getragen hat. Mit den originalen Kleidern gibt es ein Problem: Als Diego Rivera sein Testament machte, hat er festgelegt, dass nichts von dem, was sich in Fridas Haus befand, dieses Haus jemals verlassen dürfe.

Das ging sogar so weit, dass wir die Kleider, als wir die Schränke nach 50 Jahren endlich öffnen durften, an Ort und Stelle restaurieren mussten. Jeden Montag kamen die Restauratoren, um sie zu waschen, zu nähen und zu reparieren, und den Rest der Woche wurden sie dann wieder weggepackt. Das das dauerte vier Jahre lang."

Fridas falsche Kleider also, und noch etwas ist nicht ganz echt in dieser Schau: ein kleines, unscheinbares Blättchen, angeblich ein Werk von Frida Kahlo, was Experten stark bezweifeln. Es zeigt, mit Öl auf Pergamin gemalt, einen Kaktus und einen Fötus. Egal, ob echt oder nicht - den kleinen Schönheitsfehler kann man leicht verschmerzen.


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