Von Lüstlingen und Karrieristen

Von Roger Cahn |
Kaum ein Stück Weltliteratur beschreibt die menschlichen Schwächen und Laster derart treffend wie Gogols "Der Revisor": Machtgier, Willkür und Korruption stehen auf dem Prüfstand. Nicht nur im Russland der Zarenzeit.
Sebastian Nübling – erfolgreicher Repräsentant einer Generation von jungen, wilden Regisseuren – verpflanzt, ganz im Sinne des Autors, die Groteske in eine Schweizer Kleinstadt. Gesprochen wird oft Schweizerdeutsch, der Revisor – so befürchten die Honoratioren – komme aus Brüssel oder New York, auf dem Spiel steht hier und heute der helvetische Wohlstand. Die Inszenierung steigt direkt ein in die Farce. Im hellen Zuschauerraum erteilt der Stadtpräsident (mit Schweizer Hemdsärmligkeit gespielt von Michael Neuenschwander) seine Befehle – der Revisor gehe uns alle an: Wir sitzen im selben Boot.

Nicht mit der feinen Klinge werden die Figuren zerlegt, sondern brutal an den Pranger gestellt: Der Richter (Gottfried Breitfuss) ist ein perfider Lüstling, der Schulinspektor (Ludwig Böttger) ein hinterhältiger Schleimer, der Direktor der Krankenhäuser (Nicolas Rosat) ein dummes Schwein. Der Stadtpräsident schließlich ein karrieregeiler Rassist. Matthias Bundschuh als vermeintlicher Revisor hat es leicht, in dieser Gesellschaft von Tölpeln seine Show abzuziehen und alle auszunehmen wie gestopfte Gänse. Das ist mehr deftig als künstlerisch. Mehr Schwank als Komödie. Mehr Nübling als Gogol.

Diese Konzeption hat zur Folge, dass die Schlussszene mit dem vom Postmeister illegal geöffneten Brief die ganze Sippschaft demaskiert, zerfällt – ja eigentlich überflüssig wird. Und dass schließlich der echte Revisor per SMS angekündigt wird, überrascht auch niemanden mehr. Trotzdem: Die Aufführung hat Drive, es wird dem Publikum kaum eine Minute langweilig. Das ist nicht immer der Fall, wenn man Gogols "Der Revisor" quasi "ab Blatt spielt".

Fazit: Auch 173 Jahre nach seiner Uraufführung hat das Stück kaum an Brisanz verloren.

Service:

Das Stück "Der Revisor" ist bis 27. November 2009 am Schauspielhaus Zürich zu sehen.