Von Lebensmitteln, die Krebs auslösen - oder auch nicht

Von Udo Pollmer · 16.03.2013
Nahezu jedes Lebensmittel stand schon einmal im Verdacht, Krebs zu begünstigen. Es gibt unzählige Studien, die das nahelegen. Nun gibt es noch eine Studie - und die entlarvt all die anderen Untersuchungen als Hirngespinste. Wie konnte es dazu kommen?
Nahezu jedes Lebensmittel stand schon einmal im Verdacht, Krebs zu begünstigen. Es gibt unzählige Studien, die das nahelegen. Nun gibt es noch eine Studie - und die entlarvt all die anderen Untersuchungen als Hirngespinste. Wie konnte es dazu kommen?

Wir sind umzingelt von furchterregenden Speisen. Google ist mein Zeuge: Sucht man dort nach "Krebs und Lebensmittel", also nach "Cancer and Food", gibt’s in Sekundenschnelle über 800.000.000 Treffer. Mittlerweile existiert kaum noch eine Speise, die nicht von Ernährungsexperten und Verbraucherschützern irgendwie mit dem "Krebstod" in Verbindung gebracht wurde – egal ob rotes Fleisch, Bubble Teas, Pommes, Ballaststoffmangel, Fette, Genfood, Grillwürstchen, Eier mit Dioxinspuren oder Milch von maisgefütterten Rindern – der Krebs lauert immer und überall. Doch eine "bewusste" Ernährung hilft zumindest gegen die latente Angst.

Die Fülle der Tips und Warnungen kam auch zwei Statistikern der Universitäten Stanford und Harvard spanisch vor. John Ioannidis, ein international renommierter Biostatistiker nahm deshalb zusammen mit seinem Kollegen Jonathan Schoenfeld ein populäres Kochbuch zur Hand. Darin suchten sie nach dem Zufallsprinzip ein paar Rezepte heraus und stellten eine Liste mit den ersten 50 Zutaten zusammen - wie Salz, Sellerie, Schinken, Hummer, Mehl , Senf, Tomaten, Butter, Zitronen, Kaffee usw.

Bei einer Datenbankrecherche fanden die Statistiker für 40 der aufgelisteten 50 Zutaten auch Verzehrstudien. Insgesamt 264 Arbeiten widmeten sich dem Verzehr dieser Zutaten und dem Auftreten von Krebs. Wie zu erwarten, zeigten sie die allgemein bekannte Tendenz: Fleisch fördert Krebs und Grünzeug beugt vor. Doch als Ioannidis und Schoenfeld die Daten nach den Regeln der Statistik prüften, zeigte sich, dass der behaupte Zusammenhang meist gar nicht existierte. Dreiviertel aller Studien, die entweder ein Risiko oder einen Schutz errechnet haben wollten, waren geschummelt. Die verbliebenen Zahlen schliffen sich bei der Meta-Analyse weiter ab – damit sind die populären Warnungen und Ratschläge letztlich nur Hirngespinste.

Nun wäre das nicht weiter von Belang, würden all die faulen Ergebnisse nicht dazu verwendet, die Urängste der Menschen zu wecken: "Der Tod mag Wurst" lautet gerade eine Schlagzeile in Spiegel Online. Da wird manch einem ahnungslosen Leser die Wurstsemmel im Halse steckenbleiben. Doch die eigentliche Gefahr geht nicht von der Wurst aus sondern von dem Käse, der da geschrieben wurde: Die Lektüre der Originalstudie taugt bestenfalls zum Todlachen. Natürlich stimmt es, dass bestimmte Stoffe wie einige Schimmelgifte Krebs auslösen können. "Aber", so Ioannidis, "es ist kaum glaubhaft, dass nahezu alles mit Krebs in Verbindung steht." "Ich vermutete," so der Biostatistiker weiter, "dass ein Großteil dieser Studien falsch sein musste." Und so war es denn auch.

Und wenn nun doch vieles, was wir essen, in irgendeiner Weise mit dem Krebsrisiko in Verbindung stünde? Ganz einfach: Kochen Sie sich in Gedanken einen Eintopf mit Einlage. Wie lautet das Resultat, wenn jede Zutat das Risiko in die eine oder andere Richtung modifiziert? Richtig, es ist dann völlig beliebig - je nach Rohstoffen, Menge und Kochzeit – und die Würzung nicht zu vergessen. Und was kochen wir, wenn rein rechnerisch eine Kombination von Aal, Meerrettich und Kakaoschalen ein günstiges Ergebnis in Sachen Haarspitzenkrebs liefert? Alles rin in die Teflonpfanne und ein Ei drüberkloppen?

Wer steckt eigentlich hinter der Studie von Ioannidis und Schoenfeld? Niemand. Die vielen absurden Beiträge in der Fachpresse und die nicht minder abstrusen Mahnungen in den Medien gingen den Beiden einfach über die statistische Hutschnur. So haben sie sich den Spaß erlaubt, das alles fein säuberlich nach den Regeln der Kunst nachzurechnen. Wir hätten uns das Resultat auch denken können: Wenn etwas bei Google auf eine Milliarde Treffer zusteuert, erinnert das nicht an ein altes Sprichwort? Ja - auf den größten Haufen machen gewöhnlich die größten Mistviecher. Mahlzeit!


Literatur:
Anon: Fleisch in der Ernährung: Der Tod mag Wurst. Spiegel Online 7. März 2013
Schoenfeld JD, Ioannidis JPA: Is everything we eat associated with cancer? A systematic
cookbook review. American Journal of Clinical Nutrition 2013; 97: 127-134
Ioannidis JPA, Siontis GCM: Correspondence. Journal of the National Cancer Institute 2011; 103: 279-280
Kliff S: Pretty much everything you eat is associated with cancer. Don’t worry about it. Washington Post 30. 11. 2012
McKie R: US scientists challenge scares about food links to cancer. Observer 2.12.2012
Rohrmann S et al: Meat consumption and mortality - results from the European Prospective Investigation into Cancer and Nutrition. BMC Medicine 2013; 11: e63
Steffen A: Meat and heme iron intake and risk of aquamous cell carcinoma of the upper aero-digestive tract in the European Prospective Investigation into Cancer and Nutrition (EPIC). Cancer Epidemiology Biomarkers & Prevention 2012; 21: 2138-2148
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