Von Lebens- und Glaubensfragen

Von Sigried Wesener · 24.03.2012
Auch mit 85 Jahren will Martin Walser nur eines: schreiben. In seinem bei Rowohlt erschienenen Essay "Über Rechtfertigung" beschäftigt er sich gerade wieder mit Glaubensfragen. Seinen Geburtstag verbringt der Schriftsteller am Bodensee. Eine Gratulation.
"Meine Arbeit ist, etwas so schön sagen, wie es nicht ist."

Das ist einer dieser wunderbaren Martin Walser-Sätze, die seine Romane, Essays und Gespräche zieren, Goldinseln im Text, Gedanken, die sich einlagern, zitierbar. Wer ihn eben noch in Leipzig erlebte, sah ihn in seinem Element, er beherrscht das Spiel mit den Lesern, genießt die Sympathiewogen der Öffentlichkeit. Legendär die Abende, wenn er auf Zuruf aus dem Publikum aus seinen Werken las, Lieblingsstellen, mit Furor vorgetragene Text-Zitate aus: "Ein fliehendes Pferd", "Halbzeit", "Der Lebenslauf der Liebe", die Lebensweisen der Halms, Kristleins, Zürns, von Susi Gern und "Finks Krieg", Geschichten von Leuten, die nicht aus ihrer Haut können, Geschichten aus der bundesdeutschen Provinz.

"Der Schriftsteller, was mich betrifft, ist so sehr Teil der Gesellschaft, ist so sehr innerhalb der Gesellschaft, dass, wenn er sich beschreibt, beschreibt er auch die Gesellschaft."

Beim Prosaschreiben, sagte er einmal, sei er sich näher als bei Reden. Mit seinen Einwürfen zur Zeit, aus einem - wie er es nennt - "Geschichtsgefühl" heraus, polarisiert er immer wieder die Öffentlichkeit.

"Man hat mich ein bisschen skandalisiert, zweimal, das waren beschränkte Anlässe und die haben sich erledigt."

Martin Walser kritisierte die abgestumpften Formen der Erinnerungskultur, wollte sie nicht mehr der "Lippengebetsroutine offizieller Sonntagsreden" überlassen. Die Empörung über gemutmaßten Antisemitismus in seiner Paulskirchenrede zur Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels versiegte, denn es war Martin Walser, der als erster über den spät angesetzten Auschwitz-Prozess in Frankfurt berichtete unter der Überschrift "Unser Auschwitz", der 1979 schrieb: "Seit Auschwitz ist kein Tag vergangen". Auch, wenn er vor dem Fall der Mauer 1989 von Deutschland sprach, dessen einzementierte Teilung er nicht akzeptieren wollte, spaltete er die Nation.

"Ich habe nie etwas gesagt, um zu provozieren, ich habe öffentlich immer gesagt, nur wie es mir zumute ist. Das ist das Urmotiv meines öffentlichen Auftritts, geht es Dir auch so mit Deutschland, mit der gespaltenen Nation et cetera."

Martin Walser hat die Reizthemen nie ausgespart, seine "unangepassten Gedanken", die Neigung zu "Vielleicht-Sätzen" haben dennoch Auslegungen geradezu herausgefordert, aber immer auch angeregt.

"Ich war engstens befreundet mit DKP-Leuten, mit fanatischen Theologen und fanatischen Atheisten, was Sie wollen, in mir hat das Platz ..."

Nachzulesen in seinen veröffentlichten Tagebüchern, Diarien von kühnen Träumen und Lebenshunger, von wilden Partys und "Lebensreisen", vom andauernden Streitgespräch mit sich selbst und von seinen Leselieben: Kafka, Hölderlin, Goethe, den er sogar zur Romanfigur gemacht hat.

"Ich schreibe als Goethe, Seiten und Seiten und Seiten, Briefe unter dem Namen Goethe. Das war ein Riesenspaß."

In seinem großangelegten Roman "Muttersohn" über einen modernen Jesus, über das Grundmotiv Liebe und das Verlassenwerden begibt er sich tief in die ihm so vertraute Region am Bodensee.

"Wenn ich einen Paten bräuchte, dann wäre das die Landschaft, die Klöster mit ihrer Geschichte. Ich war noch nie so Gegend-abhängig wie diesmal."

Im September ist bereits der nächste Roman angezeigt: "Das 13. Kapitel". Darin erzählt er von einer Begegnung einer evangelischen Theologin und eines Hirnforschers und ist damit ganz in unserer Zeit.