Von Langeweile keine Spur

Von Nicolas Hansen |
Von "charmant" bis "Konkursmasse" urteilen die Kritiker über Bertolt Brechts "Der gute Mensch von Sezuan" an der Berliner Schaubühne. Auch Büchners "Leonce und Lena" am Schauspielhaus Bochum erntete widersprüchliche Reaktionen.
Für die "FAZ" ist es schlicht "künstlerische Konkursmasse". Die "Süddeutsche Zeitung" findet hingegen, dass man das Stück gar nicht charmanter und verspielter hätte auf die Bühne bringen können.

Brechts Botschaft in diesem Stück: skrupellose Menschen gewinnen - , gute verlieren im Leben. In Friederike Hellers Inszenierung stehen nur sechs Schauspieler in ihrer Alltagskleidung auf der Bühne. Sie übernehmen zum Teil zwei oder drei Rollen und nur dadurch, dass sie einen Papierhut oder eine schräge Brille aufsetzen, zeigen sie an, dass sie eine andere Rolle spielen als vorher. Die meisten Kritiker waren davon irritiert.

Über Jule Böwes Rollenwechsel vom Gutmenschen Shen Te zu ihrem Alter Ego Shui Ta urteilt Peter Hans Göpfert im rbb:

"Die Regie gibt ihr weder die spielerischen noch auch die kostümlichen Mittel für diesen Rollenwechsel an die Hand. Und schlimmerweise lässt sie nun ausgerechnet auch die anderen Spieler gleich mehrere Rollen übernehmen. Sie spielen aber nicht etwa artistisch und virtuos, sondern in der Manier eines Jugend-, Märchen- und Improvisationstheaters, jeder so gut oder schlecht er eben kann."

Gustav Seibt von der "Süddeutschen Zeitung" sah hingegen "vorzügliche" schauspielerische Leistungen und die Mehrfachbesetzung fand er auch schlüssig. Brecht selber habe schließlich Shen Te als Doppelrolle angelegt.

Die Bühne sieht aus wie eine Konzertbühne, auf die jeden Moment die Band kommen wird. Lautsprecher und Instrumente stehen herum, dazwischen ein paar Stühle, auf denen die Schauspieler sitzen. Die werden von der Hamburger Band "Kante" begleitet, die Musik von Paul Dessau spielt. Für die "Frankfurter Rundschau" war das allerdings nicht mehr als eine Dessau-Paraphrase. Die "Süddeutsche" hingegen findet:

"Liebevoll und hochkultiviert zerlegt die Hamburger Band Kante Paul Dessaus schwerblütige Bühnenmusik in fast heutigen Diskursrock."

Homepage "Der gute Mensch von Sezuan" an der Berliner Schaubühne

"Leonce und Lena" am Schauspielhaus Bochum

Große Bilder und sinnreiche aktuelle Bezüge sahen die Kritiker bei der Bochumer Aufführung von Georg Büchners "Leonce und Lena". Büchner schrieb das Stück in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts als Polit-Satire auf die deutsche Kleinstaaterei, intellektuelle Borniertheit des Adels und dessen dekadentes Luxusproblem: Langeweile. Büchners Königskinder Leonce und Lena verkörpern in Anna Bergmanns Inszenierung die heutige bunte Markenwelt.

"Sie hat die Geschichte dabei so konsequent ins Heute gezogen, dass man ihren Regie-Ansatz gut versteht, mit dem alten Leonce und Lena-Traumspiel allerdings so seine Probleme hat", "

schreibt die "WAZ" auf ihrem Online-Portal "Der Westen". Leonce hat seine Jeans- und Lena ihre Parfummarke. Sie sind selbstgefällige, schrille Wohlstandsjünglinge, die nur sich selbst vermarkten. Statt einer Hochzeit, wie bei Büchner, sollen die beiden Label fusioniert werden.

Max Florian Kühlem, der das Stück für die "Ruhrnachrichten" sah, erkennt zwar die vielen Ideen der Regisseurin an, vermisst jedoch einen stimmigen Gesamteindruck. Wirkliche Höhepunkte erreiche sie da, wo sie sich auf Büchners absurdes Theater verlasse. Und er resümiert, die Aufführung löse beim Zuschauer das Grundgefühl der Hauptfiguren aus: Langeweile. Ganz anders sieht das Sarah Heppekausen auf dem Portal nachtkritik.de:

" "Die Textzusammenschnitte von alt und neu funktionieren auf der Bühne erstaunlich bruchlos. Anna Bergmann spielt mit der Vorlage, aber nimmt sie dabei ernst."
Eigentlich bleibe die Regie ganz nah bei Büchner, findet Heppekausen, und schließt: Von Langeweile keine Spur.

Großes Lob von allen Seiten gibt es für das Bühnenbild und für die schauspielerischen Leistungen. Leonce und Lena umkreisen sich in der ersten Hälfte in großen, transparenten Luftblasen. Max Florian Kühlem von den "Ruhrnachrichten" fühlte sich an die Calvin-Klein-Werbeästethik erinnert, der "WAZ"-Kritiker an "Cirque du Soleil Zauber", mit einem genialen Bernd Rademacher in der Rolle des Königs.

Homepage "Leonce und Lena" am Schauspielhaus Bochum