Von Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt

13.04.2007
Seinem Bruder Thomas hatte Heinrich Mann schon um die Jahrhundertwende brieflich gestanden: "Mein Hauptinteresse war die Frau." Willi Jaspers Buch beschreibt Heinrich Mann als einen ausgemachten Erotomanen, der Schriftsteller ging bereits als Gymnasiast ins Bordell, und suchte auch als schon berühmter Romancier stets die Nähe zu Frauen aus der Halbwelt.
Diese Lola war ihm viel zu dünn. Die bestrapsten Beine von Marlene Dietrich, die im Kino das männliche Publikum verzauberten, ließen Heinrich Mann deutlich kalt. Er mochte es üppiger, liebte Frauen mit vollen Formen. Zum Beispiel die prächtigen Rundungen der Actrice Trude Hesterberg, die der Autor viel lieber in der Hauptrolle vom "Blauen Engel" gesehen hätte, der Verfilmung seines Romans über den von dunklen Trieben gehetzten "Professor Unrat". Die Dietrich aber bekam die Rolle, der Rest ist Filmgeschichte.

Die Liaison mit Trude Hesterberg war jedoch nur ein Zwischenspiel, mit dem sich Heinrich Mann über das unglückliche Ende der Ehe mit seiner ersten Frau Maria Kanóva genannt "Mimi" hinwegtröstete. Auch an Mimi liebte der Dichter jedes ihrer 88 Kilos, die sie zwischenzeitlich auf die Waage brachte, zu ihrem eigenen Entsetzen, aber unverhohlenen Entzücken des Gatten. Die Passion für füllige Weiblichkeit hielt bis ins hohe Alter an, im Schreibtisch des Schriftstellers fand sich nach seinem Tod ein Stapel erotischer bis pornographischer Zeichnungen, von eigener Hand gefertigt, "mit dicken, nackten Weibern", wie Thomas Mann indigniert notierte.

Dem Bruder hatte Heinrich schon um die Jahrhundertwende brieflich gestanden: "Mein Hauptinteresse war die Frau. Ich habe mit meiner Naivität, so lange es irgend ging, nur meiner Sinnlichkeit gelebt." Heinrich Mann war ein ausgemachter Erotomane, ging bereits als Gymnasiast ins Bordell, und suchte auch als schon berühmter Romancier stets die Nähe zu Frauen aus der Halbwelt. Sängerinnen, Schauspielerinnen, Tänzerinnen und Bardamen bevölkern nicht nur seine frühen Romane, er kannte sie und ihre Sinnlichkeit aus leibhaftiger Erfahrung.

Erotik war für den Künstler jedoch auch immer ein geistiges "Prinzip", er wollte "sinnlich denken" und trachtete danach, seine Literatur "ins Weibliche zu übersetzen." Der später so scharfe politische Konflikt mit Bruder Thomas entzündete sich an der Diskussion um Heinrich Manns durcherotisierte "Dekadenz"-Prosa, an der "Brunst in Permanenz", die der sexuell gänzlich andersgeartete Thomas Mann dem Älteren vorwarf. Der sich damals vor Verehrerinnen kaum retten konnte, eine nach der anderen warf sich ihm an den Hals.

Der Potsdamer Literaturwissenschaftler Willi Jasper, Jahrgang 1945, renommierter Verfasser einer umfangreichen Heinrich Mann-Biographie, erweist den zahlreichen Dichtergeliebten in seinem Buch alle philologischen Ehren, die ihnen die Wissenschaft bislang versagt hat. Von der ersten Passion zur jüngeren Schwester Carla, die später Selbstmord verübte, bis zur letzten leidenschaftlichen Liebe mit der Berliner Animierdame Nelly Kröger, die Heinrich Mann im französischen Exil heiratete und gegen alle Attacken des Mann-Clans verteidigte. Nelly war sinnlich, laut, derb und leider Alkoholikerin, von Thomas Mann als "schreckliche Trulle" bezeichnet, auch sie ging freiwillig in den Tod, was Heinrich Mann nie verwand.

Willi Jasper zeichnet die Biographien von insgesamt neun Frauen aus Heinrich Manns Leben nach, die fast alle auch in sein Werk Einzug hielten. Spannend geschrieben, mit leichter und sicherer Hand entwickelt, gewährt Jaspers Buch neue, vielfach überraschende Einblicke in die weit verzweigte literarische Welt eines der bedeutendsten Schriftsteller deutscher Zunge. Und solcherart kundig aufgeklärt, wissen wir Leser nunmehr auch, warum in Heinrich Manns wundervollem Roman Henri Quatre gerade der Maler Peter Paul Rubens, Inbegriff praller Kunst, einen extra Auftritt bekommt.



Rezensiert von Joachim Scholl


Willi Jasper, Die Jagd nach Liebe. Heinrich Mann und die Frauen
Verlag S. Fischer Frankfurt/Main 2007, 410 Seiten, 24,90 Euro