Von Kolja Mensing
Uschi Obermaier sorgte wieder mal für Schlagzeilen, diesmal mit der Verfilmung ihres Lebens. Außerdem in den Feuilletons: Die Debatte um die Begnadigung der letzten inhaftierten RAF-Terroristen und die Entscheidung von Literaturnobelpreisträger Orhan Pamuk, seine Lesereise durch Deutschland abzusagen.
Das Pin-Up-Girl der Woche war Uschi Obermaier. Der Regisseur Achim Bornhak hat ihre Biografie verfilmt, und der Start des Films „Das wilde Leben“ war ein schöner Anlass, sich noch einmal der glamourösen Seite von Achtundsechzig zu widmen.
Der SPIEGEL kramte die besten Nacktfotos aus dem Archiv, um der – so wörtlich: – „Mutter aller Luder“ so nah wie möglich zu kommen – und um gleichzeitig in einer ausführlichen „Spurensuche“ den Mythos vom enthemmten Paarungsverhalten in der berühmtesten Wohngemeinschaft der Welt zu entlarven: „Heute“, so das Fazit, „ist jeder Neuköllner Swinger-Club sexuell befreiter als es die Kommune 1 je war.“
Auch die FRANKFURTER RUNDSCHAU konnte sich den Reizen der Kommunardin beziehungsweise ihres Body-Doubles nicht entziehen. Das „erfreulichste Ereignis“ des Films, erfuhren wir hier, sei das „Nachspielen des Obermaierschen Exhibitionismus durch die attraktive Hauptdarstellerin“ gewesen.
Ansonsten war in dieser und den anderen Rezension vor allem Wehmut zu spüren. „Da sitzen sie also, die legendären Aussteigerfiguren, reduziert aufs Rucksacktouristenformat“, trauerte die RUNDSCHAU, und die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG erinnerte etwas hilflos an die „Revolution des Kinos“, die in jenen Jahren doch ebenfalls stattgefunden habe und deren Errungenschaften angesichts des Obermaier-Films wohl vergessen worden seien.
Auch der Terrorismus ist Teil der Geschichte von Achtundsechzig, aber die Rote Armee Fraktion findet offenbar niemand mehr sexy. „Fast ein bisschen lustlos beugt sich die Republik, womöglich ein letztes Mal, über den Deutschen Herbst“, stellte die WELT mit Blick auf die Diskussion um die mögliche Begnadigung des ehemaligen Terroristen Christian Klar fest – und zeichnete noch einmal die „traurige“ Wirkungsgeschichte der RAF in der Literatur und Popkultur nach.
DIE ZEIT möchte am liebsten endlich einen Schlusspunkt hinter die „Gespensterdebatte“ um den deutschen Terrorismus setzen. Gerade deshalb, schrieb die Hamburger Wochenzeitung, müsse man Christian Klar allerdings wie einen „gewöhnlichen Kriminellen“ behandeln und ihm die Begnadigung oder die Haftaussetzung auf Bewährung zugestehen
In der TAZ meldete sich die Journalistin Bettina Gaus zu Wort, mit einem sehr persönlichen Text: Ihr verstorbener Vater Günter Gaus hatte vor einigen Jahren ein langes Interview mit Christian Klar geführt.
Bettina Gaus versuchte nun, die Frage nach der Gnade für Christian Klar von der Diskussion um die Dimension seiner Vergehen zu lösen – und beharrt auf einem humanitären Standpunkt: Klar sei schon damals während des Interview deutlich von der langen Haft gezeichnet gewesen – ein weiterer Aufenthalt im Gefängnis würde wohl weder der Resozialisierung noch der Verhinderung neuer Straftaten dienen.
Interview-Formate, wie Günter Gaus sie mitgeprägt hat, gibt es natürlich längst nicht mehr. Heute regiert die Talkshow.
Die FRANKFURTER RUNDSCHAU merkte an, dass Christian Klar für den Fall seiner Entlassung aus der Haft als „bekanntester noch lebender RAF-Terrorist“ bereits jetzt von verschiedenen Sendern als Gast eingeplant worden ist.
Und der Berliner TAGESSPIEGEL formulierte in Hinblick auf die ehemalige Terroristin Brigitte Mohnhaupt, die auf Bewährung freikommen könnte, mit grenzfälliger Ironie: „Es ist einfach nicht hinnehmbar, dass das Volk mit den Lebensgeschichten von Kannibalen, Päderasten und Bankräubern abgespeist wird, während die Story einer philosophisch gebildeten, der Malerei ergebenen Mehrfachmörderin wie Mohnhaupt medial brach liegt.“
Für großes Aufsehen sorgte in der vergangenen Woche der türkische Schriftsteller Orhan Pamuk, der überraschend seine Lesereise nach Deutschland abgesagt hatte. Nach dem Attentat auf den armenischen Journalisten Hrant Dink durch radikale türkische Nationalisten hat Pamuk sich offenbar entschlossen, öffentliche Auftritte zu meiden.
Der TAGESSPIEGEL bedauert das: „Orhan Pamuk könnte das ideale Symbol einer modernen, zwischen Orient und Okzident brückenschlagenden Türkei sein“, hieß es in einem gut gemeinten Kommentar.
Die meisten Beobachter waren sich allerdings einig, dass wenig Hoffnung auf Demokratisierung bestehe.
Die Türkei werde von „La-Ola-Wellen des Hasses“ überspült, schrieb die BERLINER ZEITUNG, und die SZ widmete sich dem berüchtigten Paragrafen 301, der die „Verunglimpfung des Türkentums“ seit den 20er Jahren unter Strafe stellt.
Er habe wesentlich zum Klima der Einschüchterung beigetragen: „Gewaltbereite Radikale durften sich dazu ermuntert fühlen, die Vergeltung für jede vermeintliche ihrer Nationa angetane Schmach selbst in die Hand zu nehmen“.
Einen drastischen Vergleich stellte der Schriftsteller Zafer Senocak in der WELT an: „Es gibt eine junge Bevölkerung (in der Türkei), die in einer Art nordkoreanischem Geist erzogen worden ist.“
Wie dem auch sei: Der SPIEGEL meldet jetzt, dass Pamuk „einstweilen in die USA geflüchtet“ sei.
Fast alle Feuilletons widmeten sich übrigens ausschließlich dem Nationalismus, der seit der Gründung der Türkei die Züge einer Staatsreligion trägt. Allein die WELT wies daraufhin, dass die „leise Stimme der Vernunft“, die Orhan Pamuk repräsentiere, von zwei Seiten bedroht werde: von den selbsternannten Verteidigern des „Türkentums“ – und von einem „kräftigen, neu erblühten Islamismus“.
Und worüber werden wir in der nächsten Woche lesen?
Über eines sicherlich nicht: den neuen Roman von Peter Handke. „Kali“ – so lautet der Titel – ist zwar noch nicht erschienen, darf aber aus Sicht der Rezensenten bereits jetzt am Wochenende als gründlich abgefrühstückt gelten.
„Stilistisch verkrampft“ und „höchstens unfreiwillig komisch“ urteilt der neue SPIEGEL, die SZ sprach lobend von einem „frühen Alterswerk“, der TAGESSPIEGEL ärgerte sich über die „Realitätsblindheit“.
Und während die FAZ Handkes „trübe Erlösungsphantasie“ am Samstag in Grund und Boden stampfte, entdeckt die FRANKFURTER ALLGEMEINE SONNTAGSZEITUNG in ihrer aktuellen Ausgabe zwischen Kitsch und Absurdität auch „Schönheit“ und „Wahrheit“.
Der SPIEGEL kramte die besten Nacktfotos aus dem Archiv, um der – so wörtlich: – „Mutter aller Luder“ so nah wie möglich zu kommen – und um gleichzeitig in einer ausführlichen „Spurensuche“ den Mythos vom enthemmten Paarungsverhalten in der berühmtesten Wohngemeinschaft der Welt zu entlarven: „Heute“, so das Fazit, „ist jeder Neuköllner Swinger-Club sexuell befreiter als es die Kommune 1 je war.“
Auch die FRANKFURTER RUNDSCHAU konnte sich den Reizen der Kommunardin beziehungsweise ihres Body-Doubles nicht entziehen. Das „erfreulichste Ereignis“ des Films, erfuhren wir hier, sei das „Nachspielen des Obermaierschen Exhibitionismus durch die attraktive Hauptdarstellerin“ gewesen.
Ansonsten war in dieser und den anderen Rezension vor allem Wehmut zu spüren. „Da sitzen sie also, die legendären Aussteigerfiguren, reduziert aufs Rucksacktouristenformat“, trauerte die RUNDSCHAU, und die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG erinnerte etwas hilflos an die „Revolution des Kinos“, die in jenen Jahren doch ebenfalls stattgefunden habe und deren Errungenschaften angesichts des Obermaier-Films wohl vergessen worden seien.
Auch der Terrorismus ist Teil der Geschichte von Achtundsechzig, aber die Rote Armee Fraktion findet offenbar niemand mehr sexy. „Fast ein bisschen lustlos beugt sich die Republik, womöglich ein letztes Mal, über den Deutschen Herbst“, stellte die WELT mit Blick auf die Diskussion um die mögliche Begnadigung des ehemaligen Terroristen Christian Klar fest – und zeichnete noch einmal die „traurige“ Wirkungsgeschichte der RAF in der Literatur und Popkultur nach.
DIE ZEIT möchte am liebsten endlich einen Schlusspunkt hinter die „Gespensterdebatte“ um den deutschen Terrorismus setzen. Gerade deshalb, schrieb die Hamburger Wochenzeitung, müsse man Christian Klar allerdings wie einen „gewöhnlichen Kriminellen“ behandeln und ihm die Begnadigung oder die Haftaussetzung auf Bewährung zugestehen
In der TAZ meldete sich die Journalistin Bettina Gaus zu Wort, mit einem sehr persönlichen Text: Ihr verstorbener Vater Günter Gaus hatte vor einigen Jahren ein langes Interview mit Christian Klar geführt.
Bettina Gaus versuchte nun, die Frage nach der Gnade für Christian Klar von der Diskussion um die Dimension seiner Vergehen zu lösen – und beharrt auf einem humanitären Standpunkt: Klar sei schon damals während des Interview deutlich von der langen Haft gezeichnet gewesen – ein weiterer Aufenthalt im Gefängnis würde wohl weder der Resozialisierung noch der Verhinderung neuer Straftaten dienen.
Interview-Formate, wie Günter Gaus sie mitgeprägt hat, gibt es natürlich längst nicht mehr. Heute regiert die Talkshow.
Die FRANKFURTER RUNDSCHAU merkte an, dass Christian Klar für den Fall seiner Entlassung aus der Haft als „bekanntester noch lebender RAF-Terrorist“ bereits jetzt von verschiedenen Sendern als Gast eingeplant worden ist.
Und der Berliner TAGESSPIEGEL formulierte in Hinblick auf die ehemalige Terroristin Brigitte Mohnhaupt, die auf Bewährung freikommen könnte, mit grenzfälliger Ironie: „Es ist einfach nicht hinnehmbar, dass das Volk mit den Lebensgeschichten von Kannibalen, Päderasten und Bankräubern abgespeist wird, während die Story einer philosophisch gebildeten, der Malerei ergebenen Mehrfachmörderin wie Mohnhaupt medial brach liegt.“
Für großes Aufsehen sorgte in der vergangenen Woche der türkische Schriftsteller Orhan Pamuk, der überraschend seine Lesereise nach Deutschland abgesagt hatte. Nach dem Attentat auf den armenischen Journalisten Hrant Dink durch radikale türkische Nationalisten hat Pamuk sich offenbar entschlossen, öffentliche Auftritte zu meiden.
Der TAGESSPIEGEL bedauert das: „Orhan Pamuk könnte das ideale Symbol einer modernen, zwischen Orient und Okzident brückenschlagenden Türkei sein“, hieß es in einem gut gemeinten Kommentar.
Die meisten Beobachter waren sich allerdings einig, dass wenig Hoffnung auf Demokratisierung bestehe.
Die Türkei werde von „La-Ola-Wellen des Hasses“ überspült, schrieb die BERLINER ZEITUNG, und die SZ widmete sich dem berüchtigten Paragrafen 301, der die „Verunglimpfung des Türkentums“ seit den 20er Jahren unter Strafe stellt.
Er habe wesentlich zum Klima der Einschüchterung beigetragen: „Gewaltbereite Radikale durften sich dazu ermuntert fühlen, die Vergeltung für jede vermeintliche ihrer Nationa angetane Schmach selbst in die Hand zu nehmen“.
Einen drastischen Vergleich stellte der Schriftsteller Zafer Senocak in der WELT an: „Es gibt eine junge Bevölkerung (in der Türkei), die in einer Art nordkoreanischem Geist erzogen worden ist.“
Wie dem auch sei: Der SPIEGEL meldet jetzt, dass Pamuk „einstweilen in die USA geflüchtet“ sei.
Fast alle Feuilletons widmeten sich übrigens ausschließlich dem Nationalismus, der seit der Gründung der Türkei die Züge einer Staatsreligion trägt. Allein die WELT wies daraufhin, dass die „leise Stimme der Vernunft“, die Orhan Pamuk repräsentiere, von zwei Seiten bedroht werde: von den selbsternannten Verteidigern des „Türkentums“ – und von einem „kräftigen, neu erblühten Islamismus“.
Und worüber werden wir in der nächsten Woche lesen?
Über eines sicherlich nicht: den neuen Roman von Peter Handke. „Kali“ – so lautet der Titel – ist zwar noch nicht erschienen, darf aber aus Sicht der Rezensenten bereits jetzt am Wochenende als gründlich abgefrühstückt gelten.
„Stilistisch verkrampft“ und „höchstens unfreiwillig komisch“ urteilt der neue SPIEGEL, die SZ sprach lobend von einem „frühen Alterswerk“, der TAGESSPIEGEL ärgerte sich über die „Realitätsblindheit“.
Und während die FAZ Handkes „trübe Erlösungsphantasie“ am Samstag in Grund und Boden stampfte, entdeckt die FRANKFURTER ALLGEMEINE SONNTAGSZEITUNG in ihrer aktuellen Ausgabe zwischen Kitsch und Absurdität auch „Schönheit“ und „Wahrheit“.