Von Kolja Mensing

Die Feuilletons haben beinahe nur ein Thema: Günter Grass' spätes Geständnis der Mitgliedschaft in einer SS-Panzer-Division. Reaktionen hierzu aus Italien und Polen präsentieren die "Frankfurter Allgemeine" und die "Süddeutsche Zeitung".
Auch der SPIEGEL gibt nun eine eigene Buchreihe heraus, mit Bestsellern, womit sonst.

Die Autoren der Edition, so heißt es in der aktuellen Ausgabe, "bewegen durch innere Dynamik". Und weil auch Günter Grass seinen Platz im Kanon gefunden hat, ist der Satz nicht ohne Ironie: Die "innere Dynamik" seiner öffentlichen Biografie ist derzeit Thema Nummer eins in den Feuilletons.

Auch am Anfang der Woche füllt es weiterhin die Seiten. "Behutsamkeit in jeder Beziehung" fordert der Schriftsteller Burkhard Spinnen in der Tageszeitung WELT und warnt vor einem "Vatermord" und "einer Mentalität, die jedes Bekenntnis als Waffe benutzt": Grass sei durch den biografischen "Makel" schließlich zu einer "lebenslangen Anstrengung für die Verbesserung der Verhältnisse" geführt worden.

Nachdem bereits in dem einen oder anderen Kommentar die Unterschiede zwischen einer Mitgliedschaft in der SS und einem Verband der Waffen-SS verschwammen, bemüht sich nun Gustav Seibt in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG um Differenzierung. Er weist darauf hin, dass die Waffen-SS "am Ende des Krieges den Charakter einer besonderen Parteitruppe weitgehend verloren hatte", verweist aber zugleich auf die "nicht selten fanatischen Anhänger des Regimes" unter den jüngeren Soldaten.

Bemerkenswert findet Seibt auf jeden Fall, dass Grass selbst mit seinem viel zu späten Geständnis noch auf die Integrität der eigenen Person abziele:

"Ist nicht der enorme Aufwand, mit dem Grass jetzt die Öffentlichkeit ins Bild setzt, ein letzter Versuch, den Makel moralisch abzufangen?"

In der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG bemüht sich zunächst Michael Jeismann um die Klärung der historischen Hintergründe. Viel sei nicht in Erfahrung zu bringen über die SS-Panzer-Division "Frundsberg", der Grass sich 1944 im Alter von 17 Jahren angeschlossen hatte. Zuletzt habe die in Spremberg stationierte Truppe offenbar Hitler aus Berlin herauskämpfen sollen, doch daraus sei nichts geworden, so Jeismann:

"Grass befreite Hitler nicht."

Edo Reents hat für die FAZ mit Hans-Ulrich Wehler gesprochen. "Gemetzel" seien von der Division "Frundsberg" nicht überliefert, erklärt der Historiker, es habe sich um eine reine "Nachhut-Division" gehandelt.

"Das macht die Sache fast noch prekärer. Warum muss das alles jetzt erst und so quälend herauskommen?"

Die Antwort auf diese Frage gibt Wehler selbst.

"Wenn (Grass früher) etwas gesagt hätte, hätte er damit sicherlich seinen strahlenden Aufstieg belastet."

Auch die Stimmen aus dem Ausland mehren sich. FAZ-Korrespondent Dirk Schümer hat in Italien sogar eine Art Verschwörungstheorie aufgetan: Der Regisseur Pasquale Squitiere, den eine alte Feindschaft mit Günter Grass verbindet, hat in einem offenen Brief erklärt, ausgerechnet Simon Wiesenthal habe von der "SS-Vergangenheit" des Schriftstellers gewusst und mit Absicht darüber geschwiegen, um eine linke Galionsfigur zu schützen.

In Polen sind die Reaktionen weitgehend verhalten, berichtet Thomas Roser in der WELT. In Danzig, der Stadt, der Günter Grass mit der "Blechtrommel" und zwei weiteren Romanen ein literarisches Denkmal gesetzt hat, nehme man die Neuigkeiten über den Schriftsteller gelassen: Grass habe seine "Jugendsünden" längst aufgearbeitet, so Oberbürgermeister Pawel Adamowicz. Dass Grass Ehrenbürger Danzigs ist, macht derzeit offenbar nur Lech Walesa zu schaffen:

"Das beste wäre, wenn er von selbst darauf verzichten würde."

Das erklärte der ehemalige polnische Präsident gegenüber der BILD-Zeitung.

Andere Nachrichten aus Deutschland sorgen in Polen für weitaus mehr Aufregung. Das rasch noch zum Schluss: Thomas Urban berichtet in der SZ, dass die polnische Regierung die Zusammenarbeit mehrer polnischer Museen und Institutionen mit der Berliner Ausstellung "Erzwungene Wege" über die Vertreibungen in Europa als "Verrat" bezeichnet habe.

Früher hätte man in so einem Fall auch auf ein auf klärendes Wort von Günter Grass gesetzt. Diese Zeiten sind nun ganz bestimmt vorbei.