Von Kolja Mensing

Europa sei „weniger eine Idee als ein quälender Gedanke“, meint die „Süddeutsche Zeitung“ in Hinblick auf eine Tagung in München. Der Dirigent Christian Thielemann freut sich in der „Zeit“ vor dem Hintergrund der Patriotismus-Debatte über die neue Unverkrampftheit der Deutschen. Die Wochenzeitung beschäftigt sich außerdem mit den umstrittenen Empfehlungen der „Expertenkommission“ zur „Aufarbeitung der SED-Diktatur“.
Die Frage nach der so genannten „europäischen Identität“ ist inzwischen gründlich tot diskutiert worden. Trotzdem finden noch immer ständig Tagungen zu diesem Thema statt, jüngst zum Beispiel im Centrum für Angewandte Politikforschung in München.

Jeanne Rubner war dabei und bemerkt in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG, dass Europa „weniger eine Idee als ein quälender Gedanke“ sei. Schlechte Aussichten also für die Zukunft der EU: Jedes politische System, zitiert sie Gastgeber Werner Weidenfeld, brauche schließlich ein wenig Emphase.

Auf nationaler Ebene haben wir davon im Moment genug. Auch Christian Thielemann, seines Zeichens Dirigent, legt im Interview mit der ZEIT so richtig los und freut sich über „uns Deutsche“, die wir derzeit – Originalzitat: – „endlich mal ein bisschen unverkrampfter sind“.

Sehr originell!

Hoffentlich bindet Thielemann sich nicht auch noch ein Fähnchen an seinen Taktstock.

Langsam wünscht man sich auf jeden Fall etwas qualifiziertere Kommentare zur Patriotismus-Debatte. „Ich liebe nicht mein Vaterland, sondern meine Frau“, hat Bundespräsident Heinemann wohl einmal gesagt. Es ist ausgerechnet Adolf Endler, der in der ZEIT daran erinnert – der Schriftsteller also, der 1955 aus politischen Gründen die Bundesrepublik verließ und in die DDR ging.

Die ZEIT beschäftigt sich in ihrer aktuellen Ausgabe dann auch gleich mehrmals mit der DDR. Anlass sind die umstrittenen Empfehlungen der „Expertenkommission“ zur „Aufarbeitung der SED-Diktatur“ – unter anderem forderten die Historiker eine Auseinandersetzung mit dem „Alltag in der durchherrschten Gesellschaft“.

Der Theologe, Verfassungsrichter und ehemalige DDR-Bürger Richard Schröder findet das richtig – und warnt davor, immer nur Täter und Opfer zu sehen: „Selbstverständlich gab es auch in der DDR erfülltes Leben und glückliche Tage ... Wer behauptet, es gebe kein richtiges Leben im falschen, hat keine Diktatur erlebt.“

„Nachgeholten Alltagspatriotismus“ könnte man diese Position vielleicht nennen.

Evelyn Finger hat derweil in Marienborn, in Leipzig und in Bautzen Gedenkstätten „für einen untergegangenen deutschen Staat“ besichtigt.

Nach der Erinnerung an „glückliche Tage“ sucht man hier naturgemäß vergeblich. Ob ehemaliger Grenzübergang, Stasi-Zentrale oder Einzelzelle: Überall, so Finger, schaue man „in den Abgrund des Unbewältigten, der von den Ostalgiefilmchen des Mitteldeutschen Rundfunks gemieden und durch die Geschichtswissenschaft allein nicht überbrückt wird.“

Und heute? – In der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG findet sich eine melancholische Reportage über den Ort Werben in Sachsen-Anhalt. 838 Einwohner zählt die tausend Jahre alte Hansestadt noch – und es werden immer weniger.

Josefine Janert hat in Werben unter anderem die Bestattungsunternehmerin Erika Gereke besucht, die erst ihre Kittelschürze ablegt und dann eine handgeschriebene Liste mit den Toten des Jahres 2005 präsentiert. Fast jeden, den sie beerdigt, kannte sie persönlich. – In Werben, so erfährt Josefine Janert dann noch vom Besitzer des Campingplatzes, hofft man jetzt auf die Touristen.

Natürlich sind da noch andere deutsche Tote, die eigentlich gezählt werden müssten.

Bis heute weiß zum Beispiel niemand auch nur annähernd, wie viele Menschen 1945 während der Bombardierung Dresdens umgekommen sind. Waren es 25.000? Oder mehr als 400.000? Den Historikern, die sich dieser Frage widmen sollten, sind nun vom Finanzausschuss des Dresdner Stadtparlaments die Gelder gestrichen worden, meldet die WELT.

Kein Wunder: Die Geschichtswissenschaftler hätten bereits angedeutet, die bisherigen Schätzungen deutlich nach unten zu korrigieren, erklärt Sven F. Kellerhoff. Und in Dresden sei eben kaum jemandem daran gelegen, den Mythos der „großen Zahl“ zu zerstören.

Ein Mythos übrigens, erinnert Kellerhoff, der gleichermaßen auf die SED-Agitation gegen die „anglo-amerikanischen Terrorangriffe“ zurückgehe wie auf die Propaganda aus dem Goebbels-Ministerium.