Von Kolja Mensing

Die Presseschau nimmt das Feuilleton und seine Fußballmetaphern aufs Korn. Die "Berliner Zeitung" berichtet über eine Podiumsdiskussion in der Akademie der Künste über "Rechte Gewalt in Deutschland". Vor dem Hintergrund der Patriotismusdebatte widmet sich die "Zeit" dem Thema "Deutschland" und "nationale Identität".
WM-Glossen sind schlimm genug. Aber muss wirklich jeder zweite Text im Feuilleton eine Fußballmetapher bemühen?

"Der Schiedsrichter" betitelt die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG ihren Nachruf auf den amerikanischen Regisseur Vincent Sherman, lustig, lustig - und Hanno Rauterberg ist für die ZEIT schon bei der nächsten Leichtathletik-Weltmeisterschaft angekommen. Anlässlich einer Kunstauktion kommentiert er vergnügt drauflos:

"Gerade lag Picasso souverän in Führung, doch jetzt Außenseiter Klimt, springt, zieht kühn vorbei und prescht davon, uneinholbar zumindest für diese Saison."

Kein Wort mehr davon.

Die Akademie der Künste will "politischer" werden, hatte Präsident Klaus Staeck angekündigt – und lud jetzt zu einer Podiumsdiskussion über "Rechte Gewalt in Deutschland". Mit dabei war der ehemalige Regierungssprecher Uwe Karsten Heye, der Ausländer vor nicht allzu langer Zeit vor dem Betreten von "No-Go-Areas" gewarnt hatte.

Abini Zöllner wundert sich in der BERLINER ZEITUNG, dass der Aktivist Simplice Freeman nur zweimal zu Wort kommen durfte – obwohl er als einziger auf dem Podium mit rechten Schlägern und rassistischen Polizisten zu tun hatte.

Jeder nicht weiße Ausländer, meint Freeman, sei im Übrigen in Deutschland bereits Opfer fremdenfeindlicher Gewalt geworden. Das sei eine "subjektive Statistik", schreibt Caroline Fetscher im TAGESSPIEGEL und überlegt etwas hilflos, ob "in diesem pauschalen Gestus" nicht "auch ein Teil der empirischen Wahrheit liegt".

Konrad Adam fragt schließlich in der WELT gereizt, warum denn niemand diese Schauplätze rechter Gewalt genauer benennen könne. Die Antwort gibt er sich gleich selbst: weil sie eben gar nicht existierten. Die einzigen No-Go-Areas in Deutschland, schäumt Adam, befänden sich in "Berliner Quartieren wie Moabit oder Neukölln, wo die Einwanderer ihre Ehrenhändel unter sich austragen".

Das sind doch mal profunde Milieukenntnisse – vielen Dank für die brillante Analyse, Herr Adam!

Leider sind solche Aussagen gar nicht selten.

"Wenn es so etwas wie Ausländerfeindlichkeit gibt, liegt es an der mangelnden Integrationsbereitschaft"

Immer wieder sei diese Behauptung im Umfeld der Einwanderungs- und Patriotismusdebatten zu hören gewesen, stellt Gunter Hofmann in der ZEIT fest.

Hofmann, der offenbar als letzter Autor bei der Wochenzeitung noch ohne Zeilenbegrenzung schreiben darf, widmet sich in einem eindrucksvoll langen Text dem Thema "Deutschland" bzw. "nationale Identität" – und zwar anhand von diversen politischen Büchern und einschlägigen Werbekampagnen wie der "Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft".

Hofmann hat eigentlich nichts einzuwenden gegen PR-Offensiven, in denen ein neuer "Aufschwung" oder gar ein "emotionaler Turnaround" gefordert werde. Er befürchtet allerdings, dass die bunten Werbetafeln und plakativen Slogans die

"Renaissance der Behauptung förderten, Kritik sei etwas Destruktives, Negatives, Pessimistisches."

"Kritiker", so Hofmann, "predigen demzufolge das Land grau."

Auch die in diesen Tagen so fröhlich geschwenkten Deutschland-Fahnen werden hier gestreift - und dann hat die ZEIT doch tatsächlich noch jemanden gefunden, der die nationale Dauerbeflaggung super findet: Der in Brasilien geborene und in München lebende Schriftsteller Zé do Rock bekennt freimütig und in lustiger Orthographie:

"Ich hab das land oft für seine grauheit kritisiert, jetz kann ich es nich kritisiren, weil es so schön bunt geworden is. Jetz sind die deutschen tatsächlich die lehrmeister der welt."

Das bisschen Zynismus muss jetzt noch sein: Neben diesem Satz steht im Feuilleton der ZEIT ein ausführlicher Text über die erschreckende Vorreiterrolle, die das Deutsche Reich im Feld der chemischen Kriegsführung eingenommen hat. Henning Sietz erzählt, wie die Reichswehr in den Zwanzigerjahren in geheimen Versuchen den Einsatz von Senfgas und anderen Giften erprobte – mit Hilfe von Krupp und I.G. Farben.

Auch das ist eben: Deutschland.