Von Kolja Mensing

Kaputte Welt, heile Welt: Die "Süddeutsche Zeitung" berichtet über vier Japaner, die in der Nähe des verstrahlten Atomkraftwerks Fukushima leben. Die "taz" widmet sich den Klimagesprächen auf der Nordseeinsel Spiekeroog, und der "Tagesspiegel" will dem Burn-out entkommen.
Alles wird schneller. Nur der Mensch ist zu langsam:

"Kein Tag, an dem nicht von Burn-out, (von) depressiven Zuständen der Gesellschaft, die nicht zur Ruhe kommt, zu lesen ist", schreibt Nicola Kuhn über die "Highspeed-Kultur" der Gegenwart. Wie kommen wir raus aus dem Geschwindigkeitswahn? Antworten auf diese Frage hat die Kunstkritikerin des Berliner TAGESSPIEGEL im Museum gefunden: "Die Zukunft der Moderne im 21. Jahrhundert" heißt eine Ausstellung im Kunstmuseum Wolfsburg, die sich auf die Suche nach der Langsamkeit macht.

Ein bisschen weiter im Norden laufen die Uhren allerdings auch in der Wirklichkeit schon ein bisschen langsamer. Auf der Insel Spiekeroog gibt es gerade mal 750 Einwohner. Schöner Strand, ein "blitzsauberes Örtchen", und das Ganze - bis auf ein paar Elektromobile - komplett autofrei. Heile Welt.

Hier fand gerade eine Konferenz zum Thema Nachhaltigkeit statt: die "Spiekerooger Klimagespräche". Peter Unfried war für die Tageszeitung taz dabei. Er berichtet von freundlichen Diskussionen zwischen Green-Deal-Anhängern und ihren Gegnern, den Postwachstums-Theoretikern, die für Mäßigung statt ökonomisch verträglicher Nachhaltigkeit eintreten. Bloß keinen Streit im Paradies. Die autofreie Nordseeinsel Spiekeroog sei schließlich, spottet Unfried, "der gelebte Entwurf eines entschleunigten und nachhaltigen Lebens"."

Zumindest auf den ersten Blick. Windräder zum Beispiel gibt es bisher nur ein einziges. Drei Stück müssten es sein, um die Insel verlässlich mit Strom zu versorgen. Doch das geht nicht, hat Peter Unfried am Rand der Konferenz erfahren, zum Beispiel wegen der Vögel:

""Spiekeroog ist Weltnaturerbe, und das muss geschützt werden. Auch vor Klimaschutz", fasst er die Haltung der Inselbewohner in der taz zusammen: "Man weiß auch nicht, wie die Touristen Windräder fänden."

Von Spiekeroog nach Fukushima. Größer könnte der Kontrast nicht sein. Hier ist es vor einem halben Jahr zur größten Atomkatastrophe in der Geschichte der Zivilisation gekommen. Die Liveticker sind schon lange abgeschaltet, Fukushima ist aus den deutschsprachigen Medien so gut wie verschwunden. Vielleicht erwischt einen die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG darum jetzt so hart mit den Berichten von vier Japanern, die in der Umgebung des Atomkraftwerkes leben.

Kaputte Welt: Die Frage nach der "Nachhaltigkeit" hat sich längst erledigt. In der Präfektur Fukushima werden höchstens Halbwertzeiten diskutiert:

"´Ich selbst habe mich nach dem Unfall - als ich erfahren habe, dass es ein großes Leck gibt - darauf eingestellt, massiv verstrahlt zu werden´"

, erklärt Tomomich Hiruta aus Iwaki. Gleichzeitig werden Rituale etabliert, die einen verstörend optimistischen Blick in die Zukunft öffnen sollen: "´Vor dem Bahnhof von Iwaki werden ,Wiederaufbau-Events' veranstaltet´", schreibt der Altenpfleger Keisuke Shimazaki und berichtet von Festen mit Feuerwerk, auf denen mit jedem Abschuss eines Feuerwerkkörpers Botschaften für die "Zukunft der Kinder" verlesen werden.

Irgendwie richtet man sich auch in der Apokalypse ein. Sie würden im Alltag natürlich keine Strahlenschutzkleidung tragen, schreibt Hiroshi Shishido in der SZ, ein Angestellter, der ebenfalls in Iwaki lebt. Sein Haus steht nur 50 Kilometer von dem havarierten Atomkraftwerk entfernt. Die Radioaktivität sei allerdings "nicht sehr hoch", auch wenn sie leider immer wieder ansteige. An der Schule, die seine Kinder besuchen, werde der Sportunterricht auf jeden Fall "´ganz normal´"auf dem Schulhof abgehalten.

Das Porträtfoto, das Hiroshi Shishido der SÜDDEUTSCHEN zum Abdruck überlassen hat, zeigt ihn in seinem Garten in Iwaki. "´Der Baum im Hintergrund trägt Kaki-Früchte´", schreibt er. "´Die esse ich natürlich auch.´"

Kaputte Welt, heile Welt.