Von Kolja Mensing
Die „Frankfurter Allgemeine“ beschäftigt sich mit linker Gesellschaftskritik und betreibt eine Art marxistisch inspirierte Generationenbeschimpfung. Und die „Neue Zürcher Zeitung“ berichtet von einer Studie über die moralischen Werte junger US-Amerikaner.
Die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG ist natürlich keine linke Zeitung. Der SPD, den Grünen und der „Linken“ begegnen die Kommentatoren auf der Seite eins regelmäßig mit geradezu bösartigem Misstrauen.
Weiter hinter im Blatt sieht das allerdings ganz anders aus. Hier wird zurzeit ganz offen mit linken Positionen geflirtet. Feuilleton-Herausgeber Frank Schirrmacher hatte angesichts der anhaltenden Krisenstimmung auf den Finanzmärkten vor kurzem scharfe Kritik am „politischen Konservativismus“ formuliert – und sich überraschend als Anhänger „linker Gesellschaftskritik“ geoutet.
Nun legt der Schriftsteller Dietmar Dath nach, der seit längerem für die FAZ schreibt. Dath ist bekennender Marxist und Leninist, er hat kein Problem damit, auch mal Wahlkampf-Werbung für „Die Linke“ zu machen. Jetzt betreibt er Klassiker-Exegese – und gibt dem spätbürgerlichen Lesepublikum der FRANKFURTER ALLGEMEINEN Nachhilfestunden in Ideologiekritik.
Achtung, alle zuhören: „Die Ideologie ist ein Prozess, der zwar mit Bewusstsein vom sogenannten Denker vollzogen wird, aber mit einem falschen Bewusstsein“, zitiert Dietmar Dath einen Brief von Friedrich Engels von 1893, und erklärt uns sogleich, warum dieser Satz heute so wichtig ist. „Ideologie“ und „falsches Bewusstsein“, das heißt, dass wir vergessen, dass unser Denken von unserem Handeln abhängt, von unserer eigenen „Praxis“, schreibt Dath – mit einem theoretischen Ernst, der eher an eine staubtrockene Kapitalschulung aus den 70ern denken lässt als an einen Zeitungstext aus dem Jahre 2011.
Doch genau da will er hin – mit Marx und Engels in die digitale Gegenwart: „Wenn jemand gegen Microsoft oder Bertelsmann bloggt, die Piratenpartei wählt oder ihr beitritt, weil Information frei sein soll oder das digitale Zeitalter neue Formen von Arbeit erlaubt“, schreibt Dietmar Dath, „dann liegt Ideologie vor.“ Die Kritiker der neuen Großkonzerne und die Anhänger der Piratenpartei würden nämlich gerne vergessen, so argumentiert er streng marxistisch, dass ihre hehren Ideale auch nur ein Ausdruck gesellschaftlicher Verhältnisse sind.
Kurz: Die junge, digitale Avantgarde besteht nicht aus Visionären, sondern – und da wird Dath doch recht unterhaltsam – sie besteht aus „überausgebildeten, gegenüber den eigenen Eltern jämmerlich unterversicherten, ohne Tarifdruckmittel auf dem Zeitvertrags-Markt unverstandenen Gezeitenkräften ausgelieferten Würstchen“. An dieser Stelle ist Dietmar Daths Text dann weniger eine Kapitalschulung, sondern eher eine Art marxistisch inspirierte Generationenbeschimpfung: Links geht anders!
Der pessimistische Grundton deckt sich mit den Ergebnissen einer Studie, die Soziologen gerade in den USA durchgeführt haben. Sie haben junge Amerikaner nach ihren moralischen Werten gefragt – und das Ergebnis, schreibt Andrea Köhler in der NEUEN ZÜRCHER ZEITUNG, ist „einigermaßen ernüchternd“.
Zwei Drittel der Befragten wussten nicht einmal, was ein „ethisches Dilemma“ überhaupt ist, kaum jemand konnte Kriterien benennen, um eine gute von einer schlechten Tat zu unterscheiden. Es zählt allein die Intuition; gut ist, was sich gut anfühlt: „Lügen, Ehebruch und so weiter sind nicht als solche bedenklich, sondern allenfalls unangenehm, wenn andere davon wissen“, fasst Andrea Köhler die Studie in der NZZ zusammen. Und weiter: „Es versteht sich, dass auf einer solchen Grundlage kaum eine Vorstellung davon zu vermitteln ist, dass – jenseits von der Vermeidung von Mord und Totschlag – noch mehr zu einem gelingenden Leben gehört als shoppen, shoppen, shoppen.“
Die Bestandsaufnahme ist verheerend – und mit Ideologiekritik aus dem 19. Jahrhundert ist hier bestimmt nichts mehr zu retten. Wenn sich der Gedanke an ein Revival der linken Gesellschaftstheorie auch noch so gut anfühlt.
Weiter hinter im Blatt sieht das allerdings ganz anders aus. Hier wird zurzeit ganz offen mit linken Positionen geflirtet. Feuilleton-Herausgeber Frank Schirrmacher hatte angesichts der anhaltenden Krisenstimmung auf den Finanzmärkten vor kurzem scharfe Kritik am „politischen Konservativismus“ formuliert – und sich überraschend als Anhänger „linker Gesellschaftskritik“ geoutet.
Nun legt der Schriftsteller Dietmar Dath nach, der seit längerem für die FAZ schreibt. Dath ist bekennender Marxist und Leninist, er hat kein Problem damit, auch mal Wahlkampf-Werbung für „Die Linke“ zu machen. Jetzt betreibt er Klassiker-Exegese – und gibt dem spätbürgerlichen Lesepublikum der FRANKFURTER ALLGEMEINEN Nachhilfestunden in Ideologiekritik.
Achtung, alle zuhören: „Die Ideologie ist ein Prozess, der zwar mit Bewusstsein vom sogenannten Denker vollzogen wird, aber mit einem falschen Bewusstsein“, zitiert Dietmar Dath einen Brief von Friedrich Engels von 1893, und erklärt uns sogleich, warum dieser Satz heute so wichtig ist. „Ideologie“ und „falsches Bewusstsein“, das heißt, dass wir vergessen, dass unser Denken von unserem Handeln abhängt, von unserer eigenen „Praxis“, schreibt Dath – mit einem theoretischen Ernst, der eher an eine staubtrockene Kapitalschulung aus den 70ern denken lässt als an einen Zeitungstext aus dem Jahre 2011.
Doch genau da will er hin – mit Marx und Engels in die digitale Gegenwart: „Wenn jemand gegen Microsoft oder Bertelsmann bloggt, die Piratenpartei wählt oder ihr beitritt, weil Information frei sein soll oder das digitale Zeitalter neue Formen von Arbeit erlaubt“, schreibt Dietmar Dath, „dann liegt Ideologie vor.“ Die Kritiker der neuen Großkonzerne und die Anhänger der Piratenpartei würden nämlich gerne vergessen, so argumentiert er streng marxistisch, dass ihre hehren Ideale auch nur ein Ausdruck gesellschaftlicher Verhältnisse sind.
Kurz: Die junge, digitale Avantgarde besteht nicht aus Visionären, sondern – und da wird Dath doch recht unterhaltsam – sie besteht aus „überausgebildeten, gegenüber den eigenen Eltern jämmerlich unterversicherten, ohne Tarifdruckmittel auf dem Zeitvertrags-Markt unverstandenen Gezeitenkräften ausgelieferten Würstchen“. An dieser Stelle ist Dietmar Daths Text dann weniger eine Kapitalschulung, sondern eher eine Art marxistisch inspirierte Generationenbeschimpfung: Links geht anders!
Der pessimistische Grundton deckt sich mit den Ergebnissen einer Studie, die Soziologen gerade in den USA durchgeführt haben. Sie haben junge Amerikaner nach ihren moralischen Werten gefragt – und das Ergebnis, schreibt Andrea Köhler in der NEUEN ZÜRCHER ZEITUNG, ist „einigermaßen ernüchternd“.
Zwei Drittel der Befragten wussten nicht einmal, was ein „ethisches Dilemma“ überhaupt ist, kaum jemand konnte Kriterien benennen, um eine gute von einer schlechten Tat zu unterscheiden. Es zählt allein die Intuition; gut ist, was sich gut anfühlt: „Lügen, Ehebruch und so weiter sind nicht als solche bedenklich, sondern allenfalls unangenehm, wenn andere davon wissen“, fasst Andrea Köhler die Studie in der NZZ zusammen. Und weiter: „Es versteht sich, dass auf einer solchen Grundlage kaum eine Vorstellung davon zu vermitteln ist, dass – jenseits von der Vermeidung von Mord und Totschlag – noch mehr zu einem gelingenden Leben gehört als shoppen, shoppen, shoppen.“
Die Bestandsaufnahme ist verheerend – und mit Ideologiekritik aus dem 19. Jahrhundert ist hier bestimmt nichts mehr zu retten. Wenn sich der Gedanke an ein Revival der linken Gesellschaftstheorie auch noch so gut anfühlt.