Von Kolja Mensing

Die Feuilletons von "Tagesspiegel" bis "FR" lassen Bob Dylan an seinem 70. Geburtstag hochleben. Und Ulf Poschardt schreibt in der "Welt" seine ganz persönliche Abrechnung mit dem Konservativismus à la Merkel nieder.
"Immer wieder haben Fans versucht, eines ihrer Idole zum Gott auszurufen. Elvis Presley, Eric Clapton, Michael Jackson und John Lennon, der mal von sich sagte, er sei berühmter als Jesus (…). Aber der einzige ernsthafte Anwärter auf das höchste Amt ist Bob Dylan","

schreibt Rüdiger Schaper im Berliner TAGESSPIEGEL.

Hoch soll er leben, so hoch wie möglich: Bob Dylan wird an diesem Dienstag 70 Jahre alt – und die Zeitungen überschlagen sich geradezu: Im TAGESSPIEGEL ist er Gott, DIE WELT findet ihn besser als Frank Sinatra, die SÜDDEUTSCHE und die FRANKFURTER RUNDSCHAU schlagen ihn für den Literaturnobelpreis vor – und für die BERLINER ZEITUNG ist er der moderne Mensch schlechthin:

""Bei einem Bob-Dylan-Konzert",

schreibt Harald Jähner,

"kann man den unfassbar weiten Weg erleben, den ein modernes Individuum von der Gesellschaft fort und wieder zu ihr zurück legen kann."

Auf Bob Dylan können sich alle einigen, zumindest im Feuilleton. Die Frage ist: Was kann eigentlich Angela Merkel mit Bob Dylan anfangen? Oder etwas allgemeiner formuliert: Wie steht es um die CDU und ihr Verhältnis zur zeitgenössischen Kultur?

Schlecht! Besser gesagt: miserabel. Das behauptet zumindest Ulf Poschardt:

"Kultur für die Union, das heißt in der Regel: Herr Mandoki von Dschinghis Khan und Merkel-Freund Volker Schlöndorff begrüßen sich im Konrad-Adenauer-Haus bei einem Gläschen Wein", "

schreibt Poschardt in der WELT und merkt mit Blick auf die Wahlen in Bremen an:

""Wenn jetzt Gestalten wie Volker Kauder oder Hermann Gröhe ankündigen, dass die CDU an ihrer Großstadtkompetenz arbeiten müsse, (…) dann hat das etwas von einem Didi-Hallervorden-Sketch, in dem die Ebene der optischen oder akustischen Zeichen in offensichtlichem Konflikt zur Bedeutung des Gesagten stehen. Sowohl Kauder wie Gröhe repräsentieren eine Union, die personell, ästhetisch und lebensweltlich eine denkbar große Ignoranz für das bunte, nur vermeintlich wilde Leben in den Städten an den Tag legt."

Ulf Poschardt ist ein bekennender Ex-Linker, Jahrgang 1967, der es mittlerweile in die Chefredaktion der WELT geschafft hat – und seit geraumer Zeit ein "Geschmacksbürgertum" propagiert. Selten sei es "chicer" gewesen, konservativ zu sein als im Moment, erklärt er jetzt – schade nur, dass der CDU nichts davon anzumerken sei!

Im "Merkelschen Sinne" bedeute "konservativ", sich zu spät dem Zeitgeist anzubiedern, meint Poschardt und empfiehlt einen Blick in aktuelle Mode-Blogs:

"Gerade in jenem Augenblick, wo die Streber von der Jungen Union (…) ihre Krawatten ausziehen","

stellt Poschardt triumphierend fest,

""werden die Binder von afrikanischen Stylisten und skandinavischen Elektromusikern wieder umgelegt."

Für Ulf Poschardt, den selbst ernannten ästhetischen Mastermind des deutschen Feuilletons, ist Politik offenbar nicht mehr als eine Stilfrage: Gut angezogen sein ist alles.

Dass man Politik auch anders denken kann, zeigen die Proteste in Spanien. Paul Ingendaay hat für die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG das Camp der Aktivisten auf der Puerta del Sol besucht – und eine "Solidarität" entdeckt, die weit über die "ideologischen Grenzen" hinweg gehe. Und mehr noch: "Emsig" und "ernsthaft" seien die Demonstranten in Madrid, staunt Ingendaay, "frech" und gleichzeitig "entschlossen", mit einem Forderungskatalog, der vom Recht auf eine Wohnung über scharfe Kontrolle der Banken bis zur Stilllegung sämtlicher Atomkraftwerke reicht:

"Eine Utopie zu formulieren und mit dieser Konsequenz in die Öffentlichkeit zu tragen, das hat es in dreißig Jahren Demokratie nicht gegeben."

Ein bisschen neidisch kann man da schon werden. Ob die Protestwelle noch nach Deutschland überschwappt? Wenn es nach Ulf Poschardt ginge, sollten wir uns allerdings vorher unbedingt neue Krawatten kaufen!