Von Kolja Mensing
Die "Berliner Zeitung" schreibt über das in Mode gekommene Verfahren des Live-Tickers und dessen Folgen. Ansonsten ist in den Feuilletons eine Debatte über das (fehlende) Engagement deutscher Intellektueller gegen Despoten und Menschenrechtsverletzungen entbrannt.
Foul, Freistoß, Tor, das alles im Sekundentakt: Der Liveticker kann ein Fußballspiel in Echtzeit abbilden. Oder eine Reaktorkatastrophe.
Seit dem verheerenden Erdbeben in Japan laufen die Liveticker auf Nachrichten-Websites wie "Spiegelonline" auf Hochtouren: "Das Verfahren ist effektiv", schreibt Charlotte Funke auf der Medienseite der BERLINER ZEITUNG:
"Es garantiert maximale Aktualität bei minimalem Aufwand."
Der Liveticker liefert kontextfreie Nachrichtenhäppchen und steht damit im krassen Widerspruch zum journalistischen Anforderungsprofil:
"Wenn das Aktuellste gerade aktuell genug ist, dann wird das Sortieren, Werten, das Herstellen von Zusammenhängen zum Störfaktor."
Und ein Erdbeben, eine Reaktorkatastrophe oder ein Raketenangriff wird zu einem Ereignis, dass sich an der medialen Oberfläche von einem Fußballspiel kaum unterscheidet:
"Minute 42: 1:0, das ist heute 4.34 Uhr, 9000 Tote."
Das Feuilleton ist der Anti-Liveticker. Hier herrscht Kontext pur. Das aktuelle Beispiel: Der Militäreinsatz in Libyen hat eine Debatte in Gang gebracht – über politisches und intellektuelles Engagement.
Der Schriftsteller Peter Schneider – früher ein Maoist, heute ein geläuterter Achtundsechziger – erklärt im Gespräch mit der BERLINER ZEITUNG:
"Die deutsche Haltung ist kläglich und verlogen. Man kann doch nicht einerseits immer wieder beteuern: Gaddafi muss weg! und sich dann einem Einsatz entziehen."
Schneider hatte einen Aufruf zur Intervention unterschrieben, der von den französischen Philosophen André Glucksmann, Bernard-Henry Lévy und Pascal Bruckner initiiert worden war.
Der deutsche Schriftsteller Hans Christoph Buch gehört ebenfalls zu den Unterzeichnern – und nachdem die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG den Aufruf heftig kritisiert hatte, setzt er sich jetzt im Berliner TAGESSPIEGEL zur Wehr:
"Glucksmann und Co. sind nimmermüde Verteidiger von Rechtsstaat und Demokratie. Was man von den deutschen Intellektuellen nicht sagen kann, die sich oft schwer tun mit der Verdammung von Menschenrechtsverletzungen und Diktatur."
Auch Richard Herzinger zeigt in der Tageszeitung WELT irritiert. Er schreibt:
"Die Angst vor möglichen Folgen der UN-Intervention in Libyen scheint bei deutschen Moralisten weit höher zu sein, als es das Entsetzen über den Gedanken jemals war, der Westen könne dem blutigen Rachefeldzug eines verbrecherischen Despoten gegen sein eigenes Volk tatenlos zusehen."
Der Thesenticker läuft – im Feuilleton wird eine Meinungsschlacht geführt. Die Schlachtfelder, um die es eigentlich geht, geraten dabei allerdings in den Hintergrund.
Nur die FAZ kommt der blutigen, der tödlichen Wirklichkeit nahe. Sie druckt einen "Augenzeugenbericht" von Jürgen Todenhöfer, dem ehemaligen CDU-Bundestagsabgeordneten, der seit vielen Jahren Krisenherde in der ganzen Welt bereist, Hilfsprojekte unterstützt und Bücher über seine Erfahrungen veröffentlicht.
Gerade war Todenhöfer in Libyen, mitten im Bürgerkriegsgebiet. Zusammen mit seinem libyschen Freund Abdul Latif und einer Fotoreporterin geriet er in der Nähe der Hafenstadt Brega unter Beschuss .Mit Absicht, glaubt Todenhöfer:
"Ziel war, uns daran zu hindern, Informationen über die Lage im Kriegsgebiet zu veröffentlichen. Gaddafi möchte ohne Zeugen morden."
Beinahe wäre das geglückt: Der libysche Freund – Abdul Latif – kam bei dem Angriff ums Leben. Eine Phosphorbombe traf das Auto, in dem er sich aufhielt. Todenhöfer selbst konnte nur knapp entkommen.
Es ist ein bestürzender Text. Vielleicht die richtige Gelegenheit, um die Debattenmaschine für einen kurzen Moment anzuhalten.
Seit dem verheerenden Erdbeben in Japan laufen die Liveticker auf Nachrichten-Websites wie "Spiegelonline" auf Hochtouren: "Das Verfahren ist effektiv", schreibt Charlotte Funke auf der Medienseite der BERLINER ZEITUNG:
"Es garantiert maximale Aktualität bei minimalem Aufwand."
Der Liveticker liefert kontextfreie Nachrichtenhäppchen und steht damit im krassen Widerspruch zum journalistischen Anforderungsprofil:
"Wenn das Aktuellste gerade aktuell genug ist, dann wird das Sortieren, Werten, das Herstellen von Zusammenhängen zum Störfaktor."
Und ein Erdbeben, eine Reaktorkatastrophe oder ein Raketenangriff wird zu einem Ereignis, dass sich an der medialen Oberfläche von einem Fußballspiel kaum unterscheidet:
"Minute 42: 1:0, das ist heute 4.34 Uhr, 9000 Tote."
Das Feuilleton ist der Anti-Liveticker. Hier herrscht Kontext pur. Das aktuelle Beispiel: Der Militäreinsatz in Libyen hat eine Debatte in Gang gebracht – über politisches und intellektuelles Engagement.
Der Schriftsteller Peter Schneider – früher ein Maoist, heute ein geläuterter Achtundsechziger – erklärt im Gespräch mit der BERLINER ZEITUNG:
"Die deutsche Haltung ist kläglich und verlogen. Man kann doch nicht einerseits immer wieder beteuern: Gaddafi muss weg! und sich dann einem Einsatz entziehen."
Schneider hatte einen Aufruf zur Intervention unterschrieben, der von den französischen Philosophen André Glucksmann, Bernard-Henry Lévy und Pascal Bruckner initiiert worden war.
Der deutsche Schriftsteller Hans Christoph Buch gehört ebenfalls zu den Unterzeichnern – und nachdem die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG den Aufruf heftig kritisiert hatte, setzt er sich jetzt im Berliner TAGESSPIEGEL zur Wehr:
"Glucksmann und Co. sind nimmermüde Verteidiger von Rechtsstaat und Demokratie. Was man von den deutschen Intellektuellen nicht sagen kann, die sich oft schwer tun mit der Verdammung von Menschenrechtsverletzungen und Diktatur."
Auch Richard Herzinger zeigt in der Tageszeitung WELT irritiert. Er schreibt:
"Die Angst vor möglichen Folgen der UN-Intervention in Libyen scheint bei deutschen Moralisten weit höher zu sein, als es das Entsetzen über den Gedanken jemals war, der Westen könne dem blutigen Rachefeldzug eines verbrecherischen Despoten gegen sein eigenes Volk tatenlos zusehen."
Der Thesenticker läuft – im Feuilleton wird eine Meinungsschlacht geführt. Die Schlachtfelder, um die es eigentlich geht, geraten dabei allerdings in den Hintergrund.
Nur die FAZ kommt der blutigen, der tödlichen Wirklichkeit nahe. Sie druckt einen "Augenzeugenbericht" von Jürgen Todenhöfer, dem ehemaligen CDU-Bundestagsabgeordneten, der seit vielen Jahren Krisenherde in der ganzen Welt bereist, Hilfsprojekte unterstützt und Bücher über seine Erfahrungen veröffentlicht.
Gerade war Todenhöfer in Libyen, mitten im Bürgerkriegsgebiet. Zusammen mit seinem libyschen Freund Abdul Latif und einer Fotoreporterin geriet er in der Nähe der Hafenstadt Brega unter Beschuss .Mit Absicht, glaubt Todenhöfer:
"Ziel war, uns daran zu hindern, Informationen über die Lage im Kriegsgebiet zu veröffentlichen. Gaddafi möchte ohne Zeugen morden."
Beinahe wäre das geglückt: Der libysche Freund – Abdul Latif – kam bei dem Angriff ums Leben. Eine Phosphorbombe traf das Auto, in dem er sich aufhielt. Todenhöfer selbst konnte nur knapp entkommen.
Es ist ein bestürzender Text. Vielleicht die richtige Gelegenheit, um die Debattenmaschine für einen kurzen Moment anzuhalten.