Von Kolja Mensing

Der Chor der klagenden Filmkritiker und der Chor der rechtschaffenen Bildungsarbeiter - sie treten in den Feuilletons auf. Themen: die Oscar-Verleihung und die Causa Guttenberg.
Auftritt: der Chor der klagenden Filmkritiker. "Keine Politik, keine Polemik und erst recht kein Humor": Jan Schulz-Ojala vom TAGESPIEGEL fand die Oscar-Zeremonie "staubig", "rechtschaffen öde" stöhnt seine Kollegin Anke Westphal von der BERLINER ZEITUNG und Hanns-Georg Rodek – das ist jetzt richtig böse! – beschwert sich in der WELT:

"Die Qualität der Gags bewegte sich ungefähr auf jener der Deutschen Filmpreisverleihungen."

Auch die Preisträger lösen im Feuilleton ein breites Gähnen aus: "Wenig überraschend", das liest man in fast allen Zeitungen. Tom Hoopers mehrfach ausgezeichneter Film "The King's Speech" sei eine "uninspirierte Instantlösung" für einen "All-Time-Klassiker", erklärt Bert Rebhandl in der TAZ: "persönliches Handicap, nobles Milieu, britischer Akzent".

"Altbacken" ist ein anderes Wort, das in diesem Zusammenhang fällt. Für die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG spiegelt der Film über den "stotternden englischen König, der sein Land für den Zweiten Weltkrieg mobil machen muss", die demografische Entwicklung des Kinopublikums wieder, genau wie der Ballettfilm "Black Swan": "Alles keine Teenie-Themen", schreibt Susan Vahabzadeh. Im Grunde sei das sinnvoll, fügt sie ironisch hinzu. In den USA sei der Anteil der Zuschauer, die über 50 sind, in den letzten Jahren überproportional gestiegen:

"Das Kino muss sich auf eine älter werdende Gesellschaft einstellen."

Die statistischen Angaben zur demografischen Entwicklung des Kinopublikums hat Susan Vahabzadeh aus der "New York Times" übernommen – und die Quelle auch genannt. Selbstverständlich ist das nicht. Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg hat Teile seiner Doktorarbeit aus der Zeitung abgeschrieben, und auch das, was in der Zeitung steht, ist nicht immer ein Original. Die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG meldet auf ihrer Medienseite einen brancheninternen Copy-and-Paste-Skandal: Petra Kistler, Redakteurin bei der BADISCHEN ZEITUNG, soll einen ihrer Texte

""in etlichen Passagen von rund einem halben Dutzend anderer Medien übernommen haben","

von "Spiegel" bis zu "news.de". Eine "ärgerliche Angelegenheit", erklärte Thomas Hausner, der Chefredakteur der BADISCHEN gegenüber der SZ. Die Formulierung könnte auch von Angela Merkel stammen, die die Causa Guttenberg ein bisschen lästig findet, personelle Konsequenzen aber nicht für nötig hält.

Im Moment sieht es fast so aus, als ob die Kanzlerin damit durchkommen könnte – und das, obwohl die bildungsbürgerliche Presse weiterhin Front macht gegen den bedingt zitierfähigen Verteidigungsminister:

""Das fortgesetzte Leugnen einer Täuschungsabsicht einerseits, das Bestreiten eines schludrigen Ghostwriters andererseits zeugen von einem Realitätsverlust, der für jede Kommandohöhe disqualifiziert","

schreibt Christian Geyer in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG – während die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG eine ganze Seite mit Stimmen empörter Hochschulprofessoren gefüllt hat.

Auftritt: der Chor der rechtschaffenen Bildungsarbeiter. Die versammelten Juristen, Philosophen und Ingenieurwissenschaftler betonen, dass die Affäre Guttenberg selbstverständlich nicht repräsentativ sei. Margret Wintermantel, Sozialpsychologin und Präsidentin der Hochschulrektorenkonferenz meint:

""Einzelfälle dürfen auf keinen Fall zu einem Generalverdacht gegen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler führen","

und der Althistoriker Stefan Rebenach behauptet, "die weit überwiegende Zahl der Studenten und Forscher" würde sich durch "wissenschaftlichen Anstand und intellektuelle Redlichkeit" auszeichnen.

Wie es genau mit der Ehrlichkeit an der Universität steht, das wollen die Angehörigen der deutschen Wissenschaftselite dann lieber doch nicht wissen. Germanist Theodor Ickler erklärt in der SZ kategorisch, Professoren hätten Besseres zu tun, als

""mit detektivischem Scharfsinn ehrliche Arbeit vom Betrug zu trennen"."

Das ist doch mal eine klare Ansage: Wer die nächste Hausarbeit allein verfasst, ist wirklich selbst schuld.