Von Kolja Mensing

In Nordafrika gehen Menschen auf die Straße, die nicht länger akzeptieren, dass drei mal vier elf ist - erklärt "Die Welt". Die "FAZ" analysiert die Internetblockade in Ägypten.
Es ist eine einfache Rechenaufgabe: Drei mal vier, das ist zwölf. Das lernen Kinder in der Schule, überall auf der Welt. Außer in Marokko. Dort ist drei mal vier nämlich elf. So steht es zumindest im Mathematikbuch.

Natürlich ist es ein Druckfehler. Doch die Schüler, die darauf hinweisen, bekommen schlechte Noten:

"Lernen bedeutet im arabischen Kulturraum vor allem Auswendiglernen","

schreibt Hannes Stein in der Tageszeitung DIE WELT:

""Kritik, Zweifel, Fragen – solchen Mätzchen sind dort ausdrücklich nicht erwünscht."

Damit soll nun Schluss sein. In Tunesien, im Jemen, in Ägypten gehen Menschen auf die Straße, die nicht länger akzeptieren, dass drei mal vier elf ist.

"Neben steigenden Preisen und fehlenden Arbeitsplätzen ist es vor allem das Verlangen nach Respekt und Würde, das die jungen Leute befeuert","

schreibt der Berliner TAGESSPPIEGEL. Für Andrea Nüsse, die lange Jahre als Korrespondentin in Amman und Kairo gearbeitet hat, weisen die aktuellen Proteste auf einen grundlegenden Wandel hin:

""Es geht erstmals seit Jahrzehnten nicht gegen Israel oder dessen Schutzmacht, die USA. ‚Es geht um uns’, wie ein Demonstrant in Tunis sagt. Und darin schwingt ein ganz neues Selbstbewusstsein mit. Der Pan-Arabismus ist zwar längst totgesagt","

erklärt Andrea Nüsse:

""Aber es gibt eine arabische Identität, die sich neben Kultur, Religion und Sprache auf gemeinsame historische und aktuelle Erfahrungen stützt und ein Band zwischen den 230 Millionen Arabern knüpft."

Es ist nicht nur die arabische Identität, die dieses Band knüpft, sondern auch das Internet. Die Demonstranten in Kairo gehören zur Generation Facebook, das hat auch die Regierung Mubarak verstanden – und Ägypten Ende der Woche vom Netz genommen. Frank Rieger, Sprecher des Chaos Computer Clubs, hat die Blockade für die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG analysiert. Zunächst wurden einzelne IP-Adressen gesperrt.

Nachdem die meisten Seiten jedoch in kürzester Zeit mit ein paar technischen Tricks wieder zugängig gemacht worden waren, bekamen sämtliche Internetanbieter kurzerhand die Order, den Betrieb einzustellen. Ein ganzes Land ging offline – ein Vorgang, der in der Geschichte des Internets bislang einmalig ist, so Rieger.

Der Erfolg der Netzblockade blieb allerdings aus: Die Proteste wurden nach dem "digitalen Blackout" einfach analog koordiniert, unter anderem kamen billige Kopierer zum Einsatz. Darüber hinaus trieb der Zusammenbruch des Internets weitere Menschen auf die Seiten der Systemgegner. Das ist die ironische Pointe dieser historisch einmaligen Zensurmaßnahme:

"Plötzlich gab es keinen Grund mehr, vor dem Bildschirm zu sitzen und dort zu [verfolgen], wie sich die Proteste entwickeln. Um mitzubekommen, was los [war], musste man auf die Straße gehen. Und wenn man schon dort war, [konnte] man auch gleich mitdemonstrieren","

so Frank Rieger in der FAZ:

""Mit dem Abschalten des Netzes wurden die Proteste durch die Regierung zur Revolution geadelt."

Bleibt noch ein kurzer Blick auf die politische Kultur in Deutschland. Die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG hat mit Jens Oliver Haas und Micky Beisenherz gesprochen. Die beiden Autoren haben die Moderationstexte für die erfolgreiche RTL-Show "Ich bin ein Star – Holt mich hier raus" geschrieben – und halten ernüchternde Einsichten bereit. Jeder weiß offenbar, dass Peer Kusmagk am Wochenende "Dschungelkönig" geworden ist.

Unsicherheit besteht dagegen anscheinend darüber, wer unser Land tatsächlich regiert. Anspielungen auf Guido Westerwelle würden ihnen von ihren Redakteuren regelmäßig gestrichen, beschwert sich Micky Beisenherz, aus Angst, der Zuschauer könnte den deutschen Außenminister nicht kennen und den Gag nicht verstehen. "Wobei", fügt er trocken hinzu,

"die Angst wahrscheinlich berechtigt ist."