Von Kolja Mensing

29.11.2010
Die Enthüllungen von WikiLeaks sind zentrales Thema der Feuilletons, doch offenbaren viele Kommentare zunächst die Hilflosigkeit dem Thema gegenüber. Einzig die Taz schreibt über ein Land, zu dem auch WikiLeaks keinen Zugang hat: Nordkorea.
Wikileaks, die neueste Lieferung: Die Internet-Plattform hat rund 250.000 Dokumente aus dem Bestand des amerikanischen Außenministeriums veröffentlicht, darunter auch wenig schmeichelhafte Einschätzungen zu deutschen Politikern.

Im Feuilleton macht sich Unbehagen breit. Die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG meldet behutsam Zweifel an der Transparenz der Aktion an: Hoffentlich handele es sich bei den Mitarbeitern von Wikileaks wirklich um "vertrauenswürdige Gewährsleute", schreibt Jordan Mejias, und dem Berliner TAGESSPIEGEL geht es viel zu schnell mit dem Verrat im digitalen Zeitalter:

"Die Daten fliegen nur so um die Welt. Konten von Steuersündern landen so immer häufiger beim Finanzamt, Industriespionage geht neue Wege, und wo Menschen käuflich sind oder idealistisch, je nachdem, bleibt tendenziell nichts mehr geheim."

- meint Peter von Becker und warnt vor den "neuen Sittenwächtern", die das Internet zum Tribunal machen.

Auch die FRANKFURTER RUNDSCHAU ist misstrauisch und vergleicht die Internet-Plattform und ihre jüngsten Enthüllungen mit der Big-Brother-Show von RTL: "Prinzip Container. Schadenfreude als Maxime", schreibt Christian Thomas und philosophiert über die "Schlüssellochperspektive als weltweiter Wille und universale Vorstellung" und "Mobbing als erstes Gebot sozialer Umgangsformen".

Vor neunmalklugen Gedanken zum Phänomen Wikileaks können wir uns auf jeden Fall kaum retten – doch unter dem Jargon der Kulturkritik ist die Hilflosigkeit der Kommentatoren deutlich zu spüren. Die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG bringt es auf den Punkt, wenn sie über Julian Assange schreibt, den Gründer der umstrittenen Internet-Plattform: Für Andrian Kreye ist er eine "der prominentesten Figuren der Hackerszene, einer Subkultur, die sich gerade deswegen dem allgemeinen Verständnis entzieht, weil sie sich nicht nur hermetisch vom analogen Rest der Welt abschottet, sondern weil sie eine Sprache spricht, die nur wenige beherrschen – die Codes und die Algorithmen des Computers."

Man muss allerdings kein Programmierer sein, um zu verstehen, dass Julian Assange ein gefährlicher Mann ist. Andrian Kreye gibt einen kurzen Abriss seines Lebenslaufes und zeichnet das Bild eines Hackers aus Leidenschaft, der seit seiner Teenagerzeit Datenbanken plündert und, so Kreye, von einem "fundamentalistischen Ethos" und einem "missionarischen politischen Bewusstsein" geprägt ist. Und man darf ergänzen: von einem tiefen Misstrauen gegenüber den vermeintlich offenen, westlichen Demokratien. Spektakuläres Material hat Wikileaks bisher nämlich vor allem über die USA und ihre Verbündeten geliefert.

Ein Staat, über den wir zurzeit tatsächlich gerne mehr wüssten, ist dagegen Nordkorea. Das Land, das kurz vor dem Krieg steht, hat sich komplett abgeschottet.

Jutta Lietsch gehört zu den wenigen Journalisten, die Nordkorea in den letzten Jahren gelegentlich bereisen durften. Gesehen hat sie dabei allerdings wenig, berichtet sie in der TAZ. Zu dem obligatorischen Programm für ausländische Besucher gehöre unter anderem das Geburtshaus des Staatsgründers Kim Il Sung, das zu einer Art Wallfahrtsstätte umgebaut worden ist, und das Museum für Staatsgeschenke, in dem sage und schreibe 240.000 Präsente ausgestellt sind, die Kim Il Sung und seine Nachfolger erhalten haben:

"Darunter Eisenbahnwaggons von Stalin und Mao."

Kontakte mit der einfachen Bevölkerung seien während dieser Pressereisen dagegen nicht gewünscht: Glaubt man Jutta Lietsch, dann ist Nordkorea ein Land, an dem man sich als Journalist die Zähne ausbeißen kann.

Wäre das nicht ein Fall für Wikileaks? Keine Chance. Nordkorea, auch das erfahren wir in der TAZ, hat einen einfachen, aber wirkungsvollen Schutzmechanismus gegen Hacker-Angriffe etabliert: Die "Stecker raus!"-Lösung. Sämtliche Gesprächspartner haben Jutta Lietsch bei ihren Reisen glaubhaft versichert, dass es in ganz Pjöngjang keine einzige Internet-Verbindung ins Ausland gebe.