Von Kolja Mensing

Die "Süddeutsche Zeitung" befasst sich mit den Zukunftssorgen der Mittelschicht. "Welt" und "FAZ" beschäftigen sich mit den Daten, die User im Internet hinterlassen. Die "taz" kritisiert die Experimente, bei denen Menschen längere Zeit ohne Internet und Handy auszukommen versuchten.
"Soziologische Studien helfen selten weiter", stellt die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG lakonisch fest. Jens Bisky hat sich über die "Abstiegsängste" der deutschen Mittelschicht informiert – und wundert sich, dass Meinungsforscher die grassierende "Statuspanik" auf ein paar Schwankungen in der Einkommensstatistik zurückführen.

Bisky glaubt, dass die Verunsicherung in der Mitte der Gesellschaft nicht auf einer "ökonomischen Bedrohungslage" beruhe, sondern auf tiefgreifenden sozialen Veränderungen. Die Angehörigen der Mittelschicht seien heimatlos geworden:

"Die Ausdifferenzierung der verschiedenen Milieus (...), das Ende der Großorganisationen, die Auswanderung aus dem allgemeinen Bildungssystem und das faktische Ende des gemeinsamen Wehrdienstes haben dazu geführt, dass es kaum noch einen Ort gibt, an dem 'Gesellschaft' erscheint."
Das kann man doch weiterdenken. Wenn die Gesellschaft keine Bühne mehr hat, drängt der Einzelne zur Präsenz: "Ich bin sichtbar, also bin ich, könnte ein Grundsatz unserer Zeit lauten", schreibt der Architekturtheoretiker Friedrich von Borries in der WELT. Mithilfe von sozialen Netzwerken und der dazugehörigen Hardware würden wir freiwillig jede Menge Informationen über uns ins Netz stellen, im Wettstreit um das kostbarste Gut der Gegenwart: die Aufmerksamkeit.

Die Grenzen zwischen "Überwachung, Service und Unterhaltung" seien fließend geworden, stellt von Borries skeptisch fest. Das Prinzip der "elektronischen Fußfessel", über die vor zehn Jahren noch heiß debattiert worden sei, sei heute zum Normalfall geworden: "Ihre neuen Geschwister – von Facebook bis iPhone – sind keine Schrecken mehr, sondern erscheinen als sinnvolle Instrumente der Bewegungskontrolle. Nicht nur der Sträfling, auch wir selbst sind zu elektronisch überwachten Gefangenen geworden. Allerdings nicht des Staates, sondern unserer eigenen Ansprüche an die uns fast schon totalitär umgebende Service- und Entertainment-Kultur."

Was tun? In der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG meldet sich Norbert Schneider zu Wort. Er ist Direktor der nordrhein-westfälischen Landesanstalt für Medien – und zeichnet ein schonungsloses Bild von der zeitgemäßen Ausbeutung des Menschen: Wer sich im Internet bewegt, produziert Daten, egal was er dort macht, und diese Daten sind Gold wert. Sie werden "gewaschen und gekämmt" und dann "zur Grundlage von Geschäftsmodellen, in denen die digitalen Menschen, indem ihre Datenprofile an die analogen Waren- und Dienstleistungsgesellschaften verkauft werden, ihrerseits zum Kauf anstehen."

Anders gesagt: Wenn unsere Daten auf den Markt kommen, dann werden wir auch selbst zur Ware. "Es steht nicht weniger als die Würde des Menschen auf dem Spiel", warnt Norbert Schneider und fordert eine "gesellschaftliche Regulierung" des Informationshandel:

"Paragraph 1. Die Daten eines Menschen sind sein Eigentum. Wenn sie jemand nutzen möchte, dann zu den Bedingungen, die dafür allgemein festgelegt werden."

Eigentlich höchste Zeit, offline zu gehen. Einfach mal den Stecker ziehen: In den letzten Wochen konnte man in den Zeitungen häufiger von solchen Selbstexperimenten lesen. Im SPIEGEL war der Ausstieg aus dem "digitalen Wahnsinn" sogar Titelthema. Die TAZ sieht das kritisch. Kolumnist Aram Lintzel hat den Verdacht, dass sich hinter der Sehnsucht nach einem Leben ohne Internet ein "neoaristokratischer Abschottungswunsch" verberge. Eine "neue Lust aufs Ausloggen", dass sei nichts anderes als die arrogante Kampfansage eines selbsternannten "Geschmacksadels" gegen die "Zumutungen der Massen" und "ihre hohle Betriebsamkeit".

Also bleiben wir online. Die TAZ liefert auch gleich noch einen Surftipp. Auf der Website mundraub.org können die Standorte von herrenlosen Obstbäumen gemeldet werden, "auf dass die Früchte nicht verfaulen, sondern geerntet werden".

Vielleicht lindert das ein wenig die Zukunftssorgen der deutschen Mittelschicht: Für das digitale Prekariat sorgt Mutter Natur.