Von Kolja Mensing
Die Feuilletons werten die Oscar-Verleihung aus und beschäftigen sich mit den Missbrauchsfällen an der Odenwaldschule.
"Tödliches Kommando" ist kein Kassenknüller. Nur 25 Millionen Dollar hat Kathryn Bigelows Film bisher eingespielt – so gut wie nichts im Vergleich zu den 25 Milliarden von James Camerons "Avatar".
Die Filmkritiker geraten nach der Oscar-Verleihung darum zunächst einmal ins Schwärmen. Die Entscheidung der Academy sei "eine Verneigung vor einer Art des Filmemachens, die in Hollywood in Vergessenheit geraten ist: nämlich die Konzentration auf ein Genrekino, das ohne großes Brimborium auskommt und ohne Rücksicht auf Zuschauererhebungen seinen Job erledigt", schreibt Michael Althen in der "FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG".
Auch die "WELT" möchte im Sieg von "Tödliches Kommando" über "Avatar" ein Signal dafür erkennen, dass das klassische Kinohandwerk trotz der Digitalisierung unentbehrlich bleibe – doch die "TAZ" weist darauf hin, dass beim Urteil der "Academy of Motion Picture Arts and Sciences" nicht nur ästhetische Kriterien eine Rolle gespielt haben dürften. "Die größte Gruppe der fast 6000 Mitglieder sind Schauspieler", erklärt Sven von Reden: "Die Allmacht eines Regisseurs wie Cameron, der Pixel für Pixel eine monomanische Fantasiewelt formt und statt Menschen drei Meter große blaue Aliens in den Mittelpunkt rückt, kann ihnen nur Angst machen."
Kathryn Bigelow hat als erste Frau einen Oscar für die beste Regie bekommen. Eine "weibliche Handschrift" will in ihrem neuen Werk, das die Geschichte eines Trupps von Bombenentschärfern im Irak erzählt, trotzdem niemand erkennen. "Tödliches Kommando" sei ein Machofilm, stellt Tobias Kniebe in der "SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG" fest: Die Soldaten würden darin zu "naturgeborenen Killern" überhöht.
Dass die Regisseurin sich in Los Angeles dann auch noch bei den GIs im Irak und Afghanistan bedankt hat, geht Kniebe dann deutlich zu weit: Er wundert sich über den "seltsamen Rechtsruck" der amerikanischen Filmcommunity.
Eine deutsche Produktion, die als sicherer Kandidat für den "Besten ausländischen Film" galt, ist bei der Oscar-Verleihung leer ausgegangen: "Das weiße Band" von Michael Haneke, eine nüchtern erzählte Gesellschaftsstudie über die Gewalt im Verhältnis zwischen Erwachsenen und Kindern. Der Film lief bereits im vergangenen Herbst im Kino, und im Nachhinein möchte man in ihm fast einen Kommentar zu den erschreckenden Enthüllungen über die Missbrauchsvorfälle in deutschen Internaten sehen – ein Thema, das auch weiterhin die Feuilletons beherrscht.
Der Lyriker, Literaturkritiker und ehemalige Lehrer Albert von Schirnding bemüht sich angesichts der aktuellen Ereignisse in der "SZ" um eine Art Ehrenrettung des "pädagogischen Eros". Der schwärmerische Tonfall wirkt allerdings ziemlich befremdlich: Schirnding erinnert daran, dass diese Form der Zuneigung sich in der griechischen Antike an der "Aura einer unverbrauchten Zukunft" des Jugendlichen festgemacht habe, an "Offenheit, Begeisterungsfähigkeit, Formbarkeit". Einen Sinn dafür, meint Schirnding müsse man sich auch heute noch bewahren, zumindest dann, wenn man als Lehrer über eine "solide Pflichterfüllung" hinauskommen wolle.
Das geht eigentlich zu weit: Mit Blick auf die Schüler und Schülerinnen, die in den vergangenen Jahrzehnten zum Opfer sexuellen Missbrauchs geworden sind, wirken Schirndings Ausführungen zu einer sinnlichen Pädagogik geradezu höhnisch.
Auch Gerold Becker soll sich auf den "pädagogischen Eros" berufen haben: Der ehemalige Direktor der Odenwaldschule, in dessen Amtszeit sich eine ganze Reihe von Missbrauchsfällen ereignet haben, strich bei öffentlichen Anlässen gerne die "emotionalen Verstrickung von Schülern und Lehrern" heraus. Jürgen Kaube hat sich das Vokabular des erklärten Reformpädagogen für die "FAZ" jetzt einmal genauer angesehen und erschrickt über den inflationären Gebrauch von Wörtern wie "Liebe" und "Gemeinschaft".
Dann doch lieber solide Pflichterfüllung: "Wer sich darüber beschwert, wenn Schule nur Stoff unterrichtet und gar ,frontal'", so Kaube, "mag es sich in Zukunft noch einmal überlegen."
Die Filmkritiker geraten nach der Oscar-Verleihung darum zunächst einmal ins Schwärmen. Die Entscheidung der Academy sei "eine Verneigung vor einer Art des Filmemachens, die in Hollywood in Vergessenheit geraten ist: nämlich die Konzentration auf ein Genrekino, das ohne großes Brimborium auskommt und ohne Rücksicht auf Zuschauererhebungen seinen Job erledigt", schreibt Michael Althen in der "FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG".
Auch die "WELT" möchte im Sieg von "Tödliches Kommando" über "Avatar" ein Signal dafür erkennen, dass das klassische Kinohandwerk trotz der Digitalisierung unentbehrlich bleibe – doch die "TAZ" weist darauf hin, dass beim Urteil der "Academy of Motion Picture Arts and Sciences" nicht nur ästhetische Kriterien eine Rolle gespielt haben dürften. "Die größte Gruppe der fast 6000 Mitglieder sind Schauspieler", erklärt Sven von Reden: "Die Allmacht eines Regisseurs wie Cameron, der Pixel für Pixel eine monomanische Fantasiewelt formt und statt Menschen drei Meter große blaue Aliens in den Mittelpunkt rückt, kann ihnen nur Angst machen."
Kathryn Bigelow hat als erste Frau einen Oscar für die beste Regie bekommen. Eine "weibliche Handschrift" will in ihrem neuen Werk, das die Geschichte eines Trupps von Bombenentschärfern im Irak erzählt, trotzdem niemand erkennen. "Tödliches Kommando" sei ein Machofilm, stellt Tobias Kniebe in der "SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG" fest: Die Soldaten würden darin zu "naturgeborenen Killern" überhöht.
Dass die Regisseurin sich in Los Angeles dann auch noch bei den GIs im Irak und Afghanistan bedankt hat, geht Kniebe dann deutlich zu weit: Er wundert sich über den "seltsamen Rechtsruck" der amerikanischen Filmcommunity.
Eine deutsche Produktion, die als sicherer Kandidat für den "Besten ausländischen Film" galt, ist bei der Oscar-Verleihung leer ausgegangen: "Das weiße Band" von Michael Haneke, eine nüchtern erzählte Gesellschaftsstudie über die Gewalt im Verhältnis zwischen Erwachsenen und Kindern. Der Film lief bereits im vergangenen Herbst im Kino, und im Nachhinein möchte man in ihm fast einen Kommentar zu den erschreckenden Enthüllungen über die Missbrauchsvorfälle in deutschen Internaten sehen – ein Thema, das auch weiterhin die Feuilletons beherrscht.
Der Lyriker, Literaturkritiker und ehemalige Lehrer Albert von Schirnding bemüht sich angesichts der aktuellen Ereignisse in der "SZ" um eine Art Ehrenrettung des "pädagogischen Eros". Der schwärmerische Tonfall wirkt allerdings ziemlich befremdlich: Schirnding erinnert daran, dass diese Form der Zuneigung sich in der griechischen Antike an der "Aura einer unverbrauchten Zukunft" des Jugendlichen festgemacht habe, an "Offenheit, Begeisterungsfähigkeit, Formbarkeit". Einen Sinn dafür, meint Schirnding müsse man sich auch heute noch bewahren, zumindest dann, wenn man als Lehrer über eine "solide Pflichterfüllung" hinauskommen wolle.
Das geht eigentlich zu weit: Mit Blick auf die Schüler und Schülerinnen, die in den vergangenen Jahrzehnten zum Opfer sexuellen Missbrauchs geworden sind, wirken Schirndings Ausführungen zu einer sinnlichen Pädagogik geradezu höhnisch.
Auch Gerold Becker soll sich auf den "pädagogischen Eros" berufen haben: Der ehemalige Direktor der Odenwaldschule, in dessen Amtszeit sich eine ganze Reihe von Missbrauchsfällen ereignet haben, strich bei öffentlichen Anlässen gerne die "emotionalen Verstrickung von Schülern und Lehrern" heraus. Jürgen Kaube hat sich das Vokabular des erklärten Reformpädagogen für die "FAZ" jetzt einmal genauer angesehen und erschrickt über den inflationären Gebrauch von Wörtern wie "Liebe" und "Gemeinschaft".
Dann doch lieber solide Pflichterfüllung: "Wer sich darüber beschwert, wenn Schule nur Stoff unterrichtet und gar ,frontal'", so Kaube, "mag es sich in Zukunft noch einmal überlegen."