Von Kolja Mensing

Die Kulturpresseschau befasst sich unter anderem mit der Vergabe der Goldenen Bären auf der Berlinale und mit Helene Hegemann, der Autorin des umstrittenen Bestsellers "Axolotl Roadkill".
Auf den Goldenen Bären können sich alle einigen. Semih Kaplanoğlus Film "Bal", zu Deutsch "Honig", bringt sämtliche Kritiker in ihren Rückblicken auf die Berlinale zum Schwärmen.

Für Hanns-Georg Rodek und die WELT ist die melancholische Kindheitsgeschichte aus der Türkei dann auch gleich der Beweis dafür, dass Festival-Leiter Dieter Kosslick alles richtig macht. Die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG ist da ganz anderer Meinung: "Bal" sei einer der wenigen Filme gewesen, die überhaupt etwas auf dem Festival verloren gehabt hätten, schreibt Michael Althen, und weiter: "Mit dem diesjährigen Wettbewerbsprogramm hat sich die Berlinale bis auf weiteres aus der Konkurrenz mit Cannes und Venedig verabschiedet – um sich irgendwo in der Liga von Locarno oder San Sebastián anzusiedeln."

Auch die TAZ findet Kosslicks Programm langweilig: "gemütliches Arthouse statt herausforderndes Autorenkino", urteilt Cristina Nord. Ihre Münchner Kollegin Susan Vahabzadeh bezweifelt allerdings, dass es die herausragenden Werke, die sie und die anderen Kritiker in Berlin vermisst hätten, überhaupt gebe: "Es sind überall in der Welt seit Beginn der Finanzkrise weniger Filme produziert worden – und langsam macht sich das bemerkbar", schreibt sie in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG.

Susan Vahabzadeh hat darüber hinaus eine interessante inhaltliche Beobachtung gemacht: Nehme man den Wettbewerb der Berlinale als repräsentative Stichprobe, so scheine das Kino zur Zeit wenig Wert auf individuelle Verantwortung zu legen.

Die Hauptfiguren in Oskar Roehlers Annäherung an "Jud Süß", in Rafi Pitts Iran-Drama "Zeit des Zorns" oder in Benjamin Heisenbergs "Die Räuber" seien ausnahmslos Opfer ihrer Umstände: "Ob Mord oder politischer Extremismus – immer ist die böse Welt dran schuld."

Die "böse Welt", die brachte an diesem Wochenende auch der rumäniendeutsche Schriftsteller Peter Grosz ins Spiel. Grosz hatte sich dazu bekannt, in den siebziger Jahren Kollegen im Auftrag der Securitate bespitzelt zu haben – und hatte gleichzeitig darauf hingewiesen, dass er vom Geheimdienst zu dieser Zusammenarbeit gezwungen worden sei.

Das will der Schriftsteller Richard Wagner – ebenfalls ein Rumäniendeutscher – so nicht stehen lassen: Man dürfe die "Schurken" nicht mit den Opfern verwechseln, erklärt Wagner jetzt in einem recht harschen Gespräch mit der FAZ. Er betont Peter Grosz' "kriminelle Energie" und beschuldigt ihn, seinen Lebenslauf nachträglich mit einem frei erfundenen Gefängnisaufenthalt aufgebessert zu haben.

Im vergangenen Jahr war bereits über einen ähnlichen Fall diskutiert worden, über den rumäniendeutschen Dichter und IM Werner Söllner. Im Vergleich dazu ist der Ton der Auseinandersetzung jetzt allerdings deutlich schärfer geworden – vielleicht auch deshalb, weil Richard Wager und andere Schriftsteller-Opfer der Securitate wissen, dass man ihnen im deutschen Feuilleton sonst kaum zuhören würde.

Dort sind die Prioritäten nämlich doch ein wenig anders gelagert. Auch die Montagszeitungen kommen natürlich nicht ohne ein paar Anmerkungen zum Fall Helene Hegemann aus. Die Autorin des umstrittenen Bestsellers "Axolotl Roadkill" ist gerade 18 Jahre alt geworden. Nachdem ihr der Ullstein Verlag im Berliner "Tresor" eine Geburtstagsparty mit rund 2000 Gästen ausgerichtet hatte, mussten jetzt noch einmal einige originelle Gedanken her – und wem partout nichts mehr einfiel, der machte es wie Helene Hegemann selbst und schrieb einfach ab: Gustav Seibt dokumentiert seinen Party-Besuch in der SZ in dem gleichen Hardcore-Stil, in dem auch "Axolotl Roadkill" geschrieben ist, und wenn es dabei nicht die ganze Zeit um Drogen und Geschlechtsverkehr gehen würde – wir würden gerne länger daraus zitieren.

So bleibt nur der Verweis auf ein letztes Detail, das zum Fall Hegemann unbedingt noch nachgetragen werden muss. Die WELT meldet, dass der mexikanische Schwanzlurch Axolotl, der dem Roman seinen Namen gegeben hat, in deutschen Zoogeschäftigen mittlerweile verstärkt nachgefragt werde.