Von Kolja Mensing

Der geplante Umzug des Suhrkamp-Verlags nach Berlin ist Thema auch in den Montagszeitungen. Der Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki betrachtet in der "Frankfurter Rundschau" die Entscheidung nicht als Fehler. Die "taz" berichtet über die alten Familienstreitereien aus dem Hause Unseld.
Noch einmal Suhrkamp - und das sicher nicht zum letzten Mal. Dieser Verlag ist nun einmal das Lieblingskind des deutschen Feuilletons, und der Wechsel des ach-so-traditionsreichen Hauses nach Berlin wird vermutlich noch über Wochen hinweg gründlich analysiert werden.

Zuerst zu den beliebten Stimmen der Prominenten: Marcel Reich-Ranicki lässt ausgerechnet über die FRANKFURTER RUNDSCHAU mitteilen, dass der Umzug des Verlags seiner Meinung nach "kein Fehler" ist - und auch Martin Mosebach hat sich beherzt in die Debatte eingemischt.

Nachdem der Schriftsteller gerade noch im aktuellen SPIEGEL für die umstrittene Pius-Bruderschaft in die Bresche gesprungen ist, macht er jetzt in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG Werbung für seine angeblich so "wirklichkeitshungrige" Heimatstadt Frankfurt am Main.

Zu spät, lieber Herr Mosebach, die Entscheidung des Verlags ist längst gefallen, und das ausschlaggebende Kriterium war nicht die Wirklichkeit, sondern offenbar das liebe Geld.

Das behauptet zumindest Uwe Wittstock in der Tageszeitung DIE WELT, und er liefert auch die recht pikanten Hintergründe des Standortwechsels. Mit dem geschichtsträchtigen Nicolai-Haus stellt nämlich nicht nur das Land Berlin auf Kosten des Steuerzahlers eine standesgemäße Immobilie zur Verfügung.

Darüber hinaus gibt es in Frankfurt offenbar Pläne, dem Verlag die Villa Unseld abzukaufen, sie gründlich zu renovieren - und sie Suhrkamp anschließend im Rahmen einer Erbpachtregelung wieder zu Verfügung zu stellen, damit wenigstens Teile des Unternehmens in der der Stadt bleiben.

Einfach gesagt: Es sieht so, als ob Suhrkamp die ganze Geschichte keinen Pfennig kostet. Ganz im Gegenteil: Der Verlag verdient sogar noch daran.

Felicitas von Lovenberg kann über die neue Großzügigkeit der öffentlichen Hand nur den Kopf schütteln:

Mit dem Suhrkamp Verlag "wird ein mittelständisches Unternehmen gleich von zwei Städten mit Angeboten hofiert, die eine Alimentierung sondergleichen bedeuten", wundert sich die Literaturchefin der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG und fragt sich, was passieren würde, wenn das Angebot Schule macht - und weitere Verlage mit dem Umzug drohen, um zu testen, was sie einer Stadt wert sein könnten.

Vielleicht möchten Fischer und Rowohlt ja auch nach Berlin?

In Frankfurt kocht es derweil in der Gerüchteküche. Christoph Schröder hat für die TAZ eine Autorenlesung des Suhrkamp Verlages besucht, und dort wurde nun über alles geredet, nur nicht über Literatur.

Der geplante Umzug ist ein willkommener Anlass, die alten Familienstreitereien aus dem Hause Unseld noch einmal aufzuwärmen: Niemand scheint daran zu zweifeln, dass die Suhrkamp-Chefin Ulla Berkewicz mit den Einnahmen aus dem Verkauf ihrer Villa die Verlags-Anteile ihres ungeliebten Stiefsohns Joachim Unseld aufkaufen will: "Macht und Geld", seufzt Christoph Schröder, "darum geht es immer."

Das mag für Frankfurt gelten, ergänzt Dirk Knipphals in einem weiteren Artikel in der TAZ, in Berlin sieht das seiner Meinung nach allerdings ganz anders aus: In dieser Stadt lebt man "von Projekt zu Projekt und bloggt sich arm, aber sexy ins kulturelle Leben hinein, tut das aber inzwischen hinter hübsch renovierten Altbaufassaden".

In diesem Sinne hat der Verlag sich mit dem Nicolai-Haus in der Mitte der Hauptstadt genau richtig positioniert, findet Knipphals: Das altehrwürdige Gebäude nicht weit vom ehemaligen Stadtschloss ist genau der richtige Ort, um sich zwischen digitaler Boheme und deutscher Geschichte auf die Suche nach einer neuen Suhrkamp-Kultur zu machen.

Demnächst also eine "edition preußen" und ein Ulla-Berkewicz-Video-Blog?

Ganz so einfach wird es sicher nicht werden, und vielleicht hat Gerrit Bartels recht, wenn er im TAGESSPIEGEL noch einmal darauf hinweist, dass sich "auch und gerade in Berlin ein Laden an die Wand fahren lässt."