Von Kolja Mensing
Die Verblödung der "Schwarmintelligenz" ist das Thema der neuen Feuilleton-Glosse in der umgekrempelten Süddeutschen Zeitung. Noch ärger erscheint jedoch die Furcht vor einem Angriff auf den Volkskulturkörper, die asiatische Musiker auslösen.
Die SZ hat sich aufgehübscht. Eigentlich sollte nur an den typographischen Stellschrauben gedreht werden. Doch auch die Sprachglosse "Zwischenzeit" – immer dienstags, immer auf Seite zwei des Feuilletons, immer ein Ort der Ruhe im allgemeinen Meinungs-Klimbim … – auch diese beruhigend altmodische "Zwischenzeit" hat es erwischt: Abgeschafft, statt dessen gibt es jetzt einen verschlankten und auf aktuell gemachten Tag-für-Tag-Glossenplatz auf der Seite eins, wie in jedem anderen Feuilleton auch.
Immerhin: Evelyn Roll, eine der angestammten "Zwischenzeit"-Autorinnen, meldet sich hier gleich zu Wort, mit Anmerkungen zur so genannten Schwarmintelligenz: einem Modewort, das sie lieber durch "Schwarmverblödung" ersetzen würde. Angesichts der saisonal auftretenden "shitstorms" im Netz will Evelyn Roll an die "Weisheit der Massen" nicht mehr so recht glauben: "Injiziere eine beliebige, spektakuläre und oberflächlich plausible Dummheit in einen Schwarm", so formuliert sie ihr Gesetz der Schwarmverblödung in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG, "und sie hat die Chance, sich leicht und schnell auszubreiten."
Es gibt jedoch nicht nur "Schwarmverblödung", sondern auch Schwarmblindheit. Dass Richard Wagner ein Antisemit war, ist zum Beispiel bekannt – genau wie die Tatsache, dass der Grüne Hügel in Bayreuth von den Nationalsozialisten zur Wallfahrtsstätte gemacht worden war. Und trotzdem – darauf weist Lucas Wiegelmann in der WELT hin – hat sich lange Zeit niemand dafür interessiert, wie man in Bayreuth mit jüdischen Künstlern umgegangen ist. Erst jetzt hat der Historiker Hannes Heer diese Lücke mit einer Monographie geschlossen.
"Eine Mischung aus glühendem Judenhass und intellektuell verbrämter Rassenideologie, lange bevor die NSDAP in Deutschland mehrheitsfähig war", so fasst Lucas Wiegelmann die Ergebnisse zusammen. Nur ein Beispiel: Die kroatische Sopranistin Milka Ternina, die nach einem ersten Engagement im Jahre 1899 nie wieder nach Bayreuth eingeladen wurde. Ein Fall von Schwarmblindheit: Bis heute hat sich die Auffassung gehalten, die Wagner-Familie habe ihr einen Auftritt in einem nicht lizenzierten "Parsifal" in New York übelgenommen. Doch der Grund ist viel einfacher: Ternina war Jüdin – und wurde darum nicht wieder eingeladen.
Spannend wird es, wenn man vom Archiv aus in die Gegenwart schaut. "Die Stereotypen, die damals in Bayreuth verbreitet wurden, klingen seltsam vertraut", schreibt Lucas Wiegelmann in der WELT: "Es fehle ihnen an der nötigen Seele, am Sinn für die wahren Tiefen von Beethoven, Mozart oder eben Wagner. Diese Argumentation" – fährt Wiegelmann fort – "erlebt seit einigen Jahren in der Musikszene eine Renaissance: im Umgang mit asiatischen Musikern. Dort ist der Topos vom fleißigen, aber seelenlosen Virtuosen ständig zu hören, ob die Rede vom chinesischen Starpianisten Lang Lang ist oder ob es um asiatische Musikstudenten geht." Und das, so möchte man ergänzen, ist mehr als Schwarmblindheit, es ist gefährliche Schwarmverblödung: die Furcht vor einem Angriff auf den Volkskulturkörper.
Traurig, dass man das Gegenmodell an diesem Feuilleton-Tag mit Nachrufen belegen muss: Der große Hollywood-Schauspieler Ernest Borgnine ist gestorben, gefürchtet und gefeiert als Outlaw, Gangster und abgründiger Revolverheld. Die Kino-Kritiker nehmen der Reihe nach Abschied, von Fritz Göttler in der SZ über Verena Lueken in der FAZ bis hin zu Daniel Kothenschulte in der FRANKFURTER RUNDSCHAU.
Und dort, in der FR, erfahren wir dann auch, dass Ernest Borgnine eigentlich Ernesto Borgnino hieß – und ein Sohn italienischer Einwanderer war.
Immerhin: Evelyn Roll, eine der angestammten "Zwischenzeit"-Autorinnen, meldet sich hier gleich zu Wort, mit Anmerkungen zur so genannten Schwarmintelligenz: einem Modewort, das sie lieber durch "Schwarmverblödung" ersetzen würde. Angesichts der saisonal auftretenden "shitstorms" im Netz will Evelyn Roll an die "Weisheit der Massen" nicht mehr so recht glauben: "Injiziere eine beliebige, spektakuläre und oberflächlich plausible Dummheit in einen Schwarm", so formuliert sie ihr Gesetz der Schwarmverblödung in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG, "und sie hat die Chance, sich leicht und schnell auszubreiten."
Es gibt jedoch nicht nur "Schwarmverblödung", sondern auch Schwarmblindheit. Dass Richard Wagner ein Antisemit war, ist zum Beispiel bekannt – genau wie die Tatsache, dass der Grüne Hügel in Bayreuth von den Nationalsozialisten zur Wallfahrtsstätte gemacht worden war. Und trotzdem – darauf weist Lucas Wiegelmann in der WELT hin – hat sich lange Zeit niemand dafür interessiert, wie man in Bayreuth mit jüdischen Künstlern umgegangen ist. Erst jetzt hat der Historiker Hannes Heer diese Lücke mit einer Monographie geschlossen.
"Eine Mischung aus glühendem Judenhass und intellektuell verbrämter Rassenideologie, lange bevor die NSDAP in Deutschland mehrheitsfähig war", so fasst Lucas Wiegelmann die Ergebnisse zusammen. Nur ein Beispiel: Die kroatische Sopranistin Milka Ternina, die nach einem ersten Engagement im Jahre 1899 nie wieder nach Bayreuth eingeladen wurde. Ein Fall von Schwarmblindheit: Bis heute hat sich die Auffassung gehalten, die Wagner-Familie habe ihr einen Auftritt in einem nicht lizenzierten "Parsifal" in New York übelgenommen. Doch der Grund ist viel einfacher: Ternina war Jüdin – und wurde darum nicht wieder eingeladen.
Spannend wird es, wenn man vom Archiv aus in die Gegenwart schaut. "Die Stereotypen, die damals in Bayreuth verbreitet wurden, klingen seltsam vertraut", schreibt Lucas Wiegelmann in der WELT: "Es fehle ihnen an der nötigen Seele, am Sinn für die wahren Tiefen von Beethoven, Mozart oder eben Wagner. Diese Argumentation" – fährt Wiegelmann fort – "erlebt seit einigen Jahren in der Musikszene eine Renaissance: im Umgang mit asiatischen Musikern. Dort ist der Topos vom fleißigen, aber seelenlosen Virtuosen ständig zu hören, ob die Rede vom chinesischen Starpianisten Lang Lang ist oder ob es um asiatische Musikstudenten geht." Und das, so möchte man ergänzen, ist mehr als Schwarmblindheit, es ist gefährliche Schwarmverblödung: die Furcht vor einem Angriff auf den Volkskulturkörper.
Traurig, dass man das Gegenmodell an diesem Feuilleton-Tag mit Nachrufen belegen muss: Der große Hollywood-Schauspieler Ernest Borgnine ist gestorben, gefürchtet und gefeiert als Outlaw, Gangster und abgründiger Revolverheld. Die Kino-Kritiker nehmen der Reihe nach Abschied, von Fritz Göttler in der SZ über Verena Lueken in der FAZ bis hin zu Daniel Kothenschulte in der FRANKFURTER RUNDSCHAU.
Und dort, in der FR, erfahren wir dann auch, dass Ernest Borgnine eigentlich Ernesto Borgnino hieß – und ein Sohn italienischer Einwanderer war.